Außenministerin Baerbock verteidigt Rüstungsexport-Entscheidung
Regierungsbeteiligung und Krisen haben die Streitlust der Grünen gedämpft. Selbst die schwierige Entscheidung zur Atomkraft ging in der Nacht ohne Wutreden durch.
Mit Debatten über Außenpolitik, Rüstungsexporte und die Protestwelle im Iran wollen die Grünen ihren Bundesparteitag in Bonn fortsetzen. Nach einer kontroversen Debatte hatten die rund 800 Delegierten am späten Freitagabend ihrem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Rücken gestärkt für seinen Plan zum Atomausstieg.
Unter dem Tagesordnungspunkt "Wertegeleitet, multilateral, handlungsfähig: grüne Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende" geht es am Samstag auch um die Unterstützung der Ukraine in der Verteidigung gegen Russland und um Asylpolitik. Auch die umstrittene Genehmigung der Bundesregierung von Rüstungsgütern an Saudi-Arabien sollte diskutiert werden. Eine Debatte zum Klimaschutz steht kurz vor Abschluss der Veranstaltung am Sonntag an. Der Parteitag steht unter dem Motto "Wenn unsere Welt in Frage steht: Antworten".
Grüne unterstützen Reservebetrieb zweier Atomkraftwerke
Am ersten Tag hatten die Delegierten mit klarer Mehrheit beschlossen, die beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 sollten bis zum 15. April in einer Reserve gehalten und bei Bedarf weiter für die Stromerzeugung genutzt werden. Das dritte noch verbleibende AKW Emsland hingegen soll zum 1. Januar 2023 endgültig abgeschaltet werden.
Die Beschaffung neuer Brennelemente lehnten die Delegierten ab. "Bündnis 90/Die Grünen werden im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, mit der neue Brennelemente, noch dafür notwendiges neues angereichertes Uran beschafft werden sollen", heißt es im beschlossenen Antrag. Die Mehrheit der Delegierten bekräftigte damit jene Linie, die führende Grüne wie die beiden Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour in der Auseinandersetzung mit der FDP vertreten.
Um den Umgang mit den deutschen Atomkraftwerken ist in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ein heftiger Streit entbrannt. Während die FDP auf einen längeren Weiterbetrieb dringt, lehnen dies insbesondere die Grünen ab. Habeck hatte eine AKW-Reserve vorgeschlagen, zuletzt aber bereits deutlich gemacht, dass er davon ausgeht, dass ein Weiterbetrieb der beiden süddeutschen Atomkraftwerke nötig werden dürfte.
Habeck: Atomkraftwerke leisten Beitrag zur Stromversorgung
Einige Delegierte äußerten Sicherheitsbedenken sowie die Befürchtung, es könne durch die sogenannte Einsatzreserve schleichend zu einem Ausstieg aus dem Atomausstieg kommen. "Wer garantiert uns dieses Datum?", fragte der Delegierte Karl-Wilhelm Koch aus der Vulkaneifel rhetorisch mit Blick auf das von Habeck vorgesehene endgültige Betriebsende der deutschen Atomkraftwerke Mitte April. Schon der Atomausstieg zum 31. Dezember des laufenden Jahres sei doch eigentlich garantiert gewesen.
Habeck sagte, Atomkraftwerke könnten im kommenden Winter einen wenn auch begrenzten Beitrag zur Sicherung der deutschen Stromversorgung leisten. "Als Minister, der am Ende für die Versorgungssicherheit zuständig ist", bat er um Zustimmung.
Baerbock verteidigt Rüstungsexporte
Außenministerin Annalena Baerbock und die Delegierten der Grünen versuchten derweil, ihre friedenspolitische Tradition mit der Rolle als Regierungspartei zu versöhnen. Bei der Debatte am Samstag ging es unter anderem um Rüstungsexporte in das islamische Königreich Saudi-Arabien. Große Solidarität bekundeten die rund 800 Anwesenden in Bonn für Geflüchtete aus Afghanistan und Protestierende im Iran.
"Wir liefern direkt nicht nach Saudi-Arabien", ein Land "wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden", betonte Baerbock. Die Genehmigung für den Export sei für sie und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schwierig gewesen. Sie sei aber der Auffassung, dass "wir europäische Rüstungskooperation brauchen". Auch damit Ausgaben für Soziales nicht zugunsten von nationalen Verteidigungsausgaben gekürzt werden müssten. Gleichzeitig versprach sie für die Zukunft eine restriktivere Rüstungspolitik.
Trotz eines weitgehenden Exportstopps hat die Ampel-Regierung kürzlich grünes Licht für die Lieferung von Ausrüstung und Munition an Saudi-Arabien im Wert von 36 Millionen Euro gegeben. Dabei geht es um ein Programm mit Italien, Spanien und Großbritannien. Über Anträge, die das kritisch beurteilen, war vor Beginn des Parteitages, der am Freitag begonnen hatte, intensiv diskutiert worden, um Kompromisse zu finden. Die frühere Bundesregierung hatte die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien unter anderem wegen der Beteiligung des Königreichs am Jemen-Krieg sowie des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi weitgehend gestoppt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: "Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind."
Grüne solidarisieren sich mit protestierenden Frauen im Iran
Im Ukraine-Krieg müsse Deutschland helfen, wo es möglich sei, "weil wir sehen, dass diese Waffen Menschenleben retten", sagte der Parteivorsitzende Omid Nouripour. Er rief den rund 800 Delegierten am zweiten Tag des Treffens zu: "Ich weiß, dass ist für eine Friedenspartei nicht einfach, aber Frieden ist nicht einfach."
Die Grünen stünden fest an der Seite der von Frauen angeführten Proteste im Iran, bekräftigte Nouripour und erntete dafür tosenden Applaus. Das gelte auch für Frauen in der Ukraine und in Saudi-Arabien. Menschenrechte und Frauenrechte seien für diese Partei "nicht verhandelbar". (dpa)
Die Diskussion ist geschlossen.
Die Grünen sind halt mehr denn je im Politikbetrieb der Märchen, Lügen, billigen Tricks und vorallem der fetten Tröge für das Spitzenpersonal angekommen.
Dieser sog. Parteitag - defacto eine Abnickveranstaltung für die Führung - macht es deutlich. Wurzeln und Werte ade!
Die Grünen sind jetzt eine Regierungspartei, die ihrer Verantwortung gerecht wird. Würden sich die Grünen wie früher oftmals in Flügelkämpfen zerstreiten, würden Sie ihr das vorwerfen und für regierungsunfähig erklären.
Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, das Regimegegner umbringen lässt, Frauen unterdrückt und einen schlimmen Krieg im Jemen führt, sind grundfalsch.
Mir ist schleierhaft, warum die zwei grünen Ministerer*innen dem zugestimmt haben.
Raimund Kamm
Sie haben die grünen Gene wohl doch noch nicht ganz ad acta gelegt.
Sehr geehrter Herr Kamm,
Ich kann mir vorstellen, warum die Minister dem zugestimmt haben: Weil sie, als Teil der Regierung, in der Realität angekommen sind und Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen. Das ist anders, als aus der Opposition heraus große Töne zu spucken. Ich bin wahrlich kein Fan von Frau Baebock und Herrn Habeck, aber dieser Beschluss nötigt mir Respekt ab.
Derartige Entscheidungen haben 2 Dimensionen:
Einmal eine moralische, innerhalb dieser ich Ihnen völlig zustimme, und eine strategische.
Interessant ist doch zunächst mal, was "Waffenlieferungen" hier konkret bedeutet. Jeder, dem die Materie fremd ist, denkt hier erst mal an Gewehre, Panzerfäuste, Kanonen, etc. Sowas kann man doch nicht an Saudi-Arabien liefern!
Die Aussage im Artikel, daß es aber um ein "Programm mit Italien, Spanien und Großbritannien" geht, läßt darauf schließen, daß es hier um ein internationales Konsortium geht, wie sie bei teuren Rüstungsprojekten mittlerweile üblich sind, um sich die Entwicklungskosten zu teilen und die Stückzahlen zu erhöhen, was die Kosten für die einzelnen Nationen senkt.
Folgender älterer Artikel läßt den Schluß zu, daß es sich hier konkret um Ersatzteile oder Bewaffnung für Kampfflugzeuge, die Saudi-Arabien längst geliefert wurden und für die bereits Wartungsverträge bestehen, handelt:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ruestungsexporte-nach-saudi-arabien-brandbrief-aus-grossbritannien-an-deutschland-a-1253997.html
Selbstverständlich hat jede souveräne Nation das Recht, eine "wertebasierte" Politik zu fahren, und den Export derartiger Artikel zu unterbinden.
Was wird dann im konkreten Fall die ungünstigste Folge sein?
Bei zukünftigen High-Tech Rüstungsprojekten könnten sich unsere bisherigen europäischen Partner entschließen, nicht mehr mit dem unzuverlässigen Deutschland zusammenzuarbeiten, und wir könnten dann zusehen, ob wir hunderte von Milliarden für die Entwicklung eines Kampfflugzeuges oder 'zig Milliarden für dessen Bewaffung selbst aufbringen (bei unserem Rüstungsetat sehr unwahrscheinlich), oder die Güter fertig vom Ausland beziehen und uns dabei Abhängig machen und gleichzeitige das Know-How im Ausland finanzieren. Aufgegebene Expertise in der Industrie ist dann übrigens weg, denn entlassene Wissenschaftler und Ingenieure suchen sich dann andere Arbeitsplätze, auch im Ausland.
Und haben wir es damit Saudi-Arabien dann "so richtig gezeigt"?
Wohl kaum, die kaufen ihre Kampfflugzeuge dann halt aus der Portokasse bei anderen "stategischen Partnern", die zuverlässiger liefern, und im Endeffekt lachen sich dann möglicherweise Boeing oder Lockheed Martin tot über uns.
Und war da nicht noch was mit gewünschten Öl- und Flüssigaslieferungen?
Daher gilt schon im Eigeninteresse der Grundsatz: "Verträge sind einzuhalten".
@ R.
Zur Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsfähigkeit brauchen wir natürlich die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Verbündeten. Und auch gemeinsame Rüstungsprojekte. Doch diese dürfen nicht Länder begünstigen, die übel die Menschenrechte verletzen. Wenn diese Grenze überschritten wird, wird jeder Einsatz für Bedrängte – wie jetzt in Mali oder in der Ukraine – unglaubwürdig.
Die aktuelle Erlaubnis der Bundesregierung für Waffenexporte gestattet Munitionslieferungen für Schlachtflugzeuge an Saudi-Arabien, wo Frauen, Christen und Demokraten unterdrückt werden. Ein Land, das im benachbarten Jemen einen Krieg führt, dem direkt oder durch Verhungern Tausende Menschen zum Opfer fallen. Ein Land, das seine menschenverachtende Ideologie des Wahhabismus in alle Welt exportiert.
Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind ähnlich verwerflich wie Waffenlieferungen an den Iran oder Russland.
Raimund Kamm
@ Herrn Kamm:
Ich gebe ihnen grundsätzlich in allen Punkten Recht.
Diese Frage hätte aber zu dem Zeitpunkt diskutiert gehört, als der Verkauf der Kampfflugzeuge Tornado (ebenfalls ein Trinationales Projekt mit Italien, GB und D) und Eurofighter an Saudi-Arbien genehmigt wurde.
Und das Problem ist eben, daß, anders als wir (oder zumindest ein Teil der Deutschen), andere Partnernationen Saudi-Arabien als derart wichtigen Wahrer ihrer nationalen strategischen Interessen im Nahen Osten sehen, daß "Bagatellen" wie Menschenrechte eben eine untergeordnete Rolle spielen.
Ich vermute, der Deal ist: Ihr liefert uns die Hightech-Waffen, mit denen wir unser Regime sichern, und haltet Euch aus unseren inneren Angelegenheiten heraus, und wir liefern Euch dafür günstig Energieträger und unterstützen Eure Angelegenheiten in unserem Einflußgebiet. Gegen den Iran ist das ja sogar eine Win-Win-Situation.
Wenn wir das Spiel nicht mitmachen wollten, dann müßten wir die "cojones" und die militärischen Mittel (die finanziellen hätten wir vielleicht noch) zu einer eigenständigen "wertebasierten" Außen- und Sicherheitspolitk sowie Verfolgung eigener strategischer Interessen (wie zum Beispiel Handel und Energieversorgung) haben.
Das sehe ich jedoch auf keiner Ebene. Und Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien haben eben eigene Vorstellungen davon, wie man "The Great Game" spielt, und welchen Stellenwert dabei Menschenrechte oder Feminismus haben.
@Stefan R.:
Die Erarbeitung und die Verabschiedung von Exportgrundsätze für gemeinsam entwickeltes und gebautes Kriegsgerät, wie z. B. dem voraussichtlich ab 2040 marktreifen deutsch-französisch-spanischen Luftkampfsystem FCAS, erfordern einen demokratischen Prozess, wie er nur in einer EU als Bundesstaat stattfinden kann. Für mich wäre von daher nicht die Erweiterung der EU, sondern die Bildung eines europäischen Bundesstaates vordringlich.
@ Herrn Eimiller:
Das wäre sicher eine Lösung. Einen Europäischen Bundesstaat sehe ich jedoch aus verschiedenen Gründen, aber gerade im Hinblick auf Kriegseinsätze, äußerst kritisch. Wollen sie im schlimmsten Fall, daß deutsche Soldaten innerhalb einer europäischen Armee in einem Auslandseinsatz kämpfen, den wir nicht wollen, der keinerlei deutschen Interessen dient, bei dem wir aber überstimmt wurden?
Unsere europäischen Partner haben mitunter andere Interessen und herangehensweisen als Deutschland. Siehe Irakkrieg, Afghanistankrieg ("Enduring Freedom" 2001), dem Militäreinsatz in Libyen 2011, oder auch Mali, wo wir uns, wenn ich mich recht erinnere, auch nur auf Bitte der Franzosen beteiligt haben.
Zudem: Sollen Staaten (EU) bei einem Projekt mit abstimmen können, an dem sie gar nicht beteiligt sind? Was machen wir dann mit Projekten wie dem Eurofighter, bei dem die Briten mit im Boot sind? (Nicht EU), oder EU-Übergreifenden Rüstungskonzernen wie MBDA?
Ich denke, ein "demokratischer Prozess" kann auch bei einem Vertragsabschluss durch die beteiligten Nationen stattfinden, wie es vermutlich jetzt schon gemacht wird: Indem vertraglich geregelt wird, wie bei Exporten oder weiteren Nationen, die in das Projekt einsteigen wollen, verfahren wird: Einstimmigkeit, Mehrheit, Veto-Regelung, usw.
Wobei es bei dem im Artikel genannten Streitpunkt ja um Lieferverpflichtungen geht, die längst eingegangen wurden (Eurofighter, Tornado, Airbus-Teile).
Für Geld und Öl sind Moral, Menschenrechte und das Leben schon mal nur optional, auch bei den Grünen. Ekelhaft diese selektive Moral. Sind halt nur Jemeniten, die von Saudi Arabien abgeschlachtet werden?
Wertegeleitet!? Wer's glaubt.
Wie kann man nur so negativ denken über die Grünen. Wertepolitik überall- im UA Krieg von der Pazifistenpartei zur eifrigen Befürwortern von Waffenlieferungen, Erdöl und Erdgas werden jetzt auch von Golfstaaten angenommen, die ja die Menschenrechte mit Füssen treten und bei Waffenlieferungen an die Saudis redet man sich heraus, da dies ja über internat. Vereinbarungen laufe also nicht direkt von DEU aus. Natürlich alles nur der Not gehorchend.