Herr Kiesewetter, für SPD-Kanzler Olaf Scholz stellt Ihre Haltung in der Ukrainepolitik das Gegenteil des von ihm für sich beanspruchten „besonnenen“ Kurses dar. Vor einem Jahr forderten Sie, der Ukraine die Möglichkeit zu geben, den Krieg bis nach Moskau zu tragen, gar russische Ministerien anzugreifen. Schürt so etwas nicht Ängste in der Bevölkerung?
Roderich Kiesewetter: Wir müssen der Bevölkerung Ängste nehmen, indem wir die Ukraine so unterstützen, dass sie in der Lage ist, ihr Territorium wiederherzustellen. Was ich damals gesagt habe, nämlich die Ukraine zu befähigen, den Krieg nach Russland zu tragen, wird inzwischen seit Monaten umgesetzt. Briten und Franzosen liefern weitreichende Waffen, mit denen russische Angriffsstellungen und Depots bekämpft werden. Natürlich war die Formulierung, das russische Kriegsministerium zu attackieren, zugespitzt. Aber der Kern ist richtig: Die Ukraine muss in der Lage sein, sich effektiv zu verteidigen. Der russische Krieg zielt auf die Unterwerfung der Ukraine, auf die Vernichtung ihrer Existenz. Und das müssen wir auch unserer Bevölkerung klarmachen: Eine Niederlage der Ukraine hätte verheerende Auswirkungen für die Sicherheit in ganz Europa und würde zu einer neuen, gewaltigen Flüchtlingswelle führen.
Kann die Ukraine ihr Territorium überhaupt noch zurückerlangen?
Kiesewetter: Die Ukraine hält seit über einem Jahrzehnt russischem Druck stand und kämpft seit fast drei Jahren im Krieg gegen die zweitstärkste Landmacht der Welt. Das zeigt, wie entschlossen die ukrainische Bevölkerung die Werte von Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung verteidigt. Denn sie weiß genau, was in den besetzten Gebieten geschieht: Abgabe der ukrainischen Pässe, Zwangsarbeit, Jugendliche, die zur russischen Armee eingezogen werden, rohe Gewalt bis hin zu Kindesentführung, Folter und Vergewaltigung. Es darf in keinem Abkommen festgeschrieben werden, dass die Ukraine auf Teile ihres Territoriums verzichtet. Das wäre ein Sieg für autoritäre Staaten und würde weltweit ein nukleares Wettrüsten anheizen. Wenn ein Land wie die Ukraine, das auf internationalen Druck seine Nuklearwaffen aufgegeben hat, nun auf sein Territorium verzichten müsste, wäre das ein fatales Signal. Nicht nur der Iran, auch Staaten wie die Türkei oder Saudi-Arabien würden Überlegungen für eigene Atomwaffen anstellen.
Der Kanzler sagt, dass Taurus-Waffen nicht ohne Beteiligung deutscher Soldaten an die Ukraine geliefert werden könnten …
Kiesewetter: Diese Behauptung ist längst widerlegt. Auch Südkorea verfügt über das Taurus-System, selbstverständlich ohne Beteiligung deutscher Soldaten. Natürlich würde eine Lieferung bedeuten, dass eine Ausbildung von Ukrainern notwendig ist – genau wie bei den von Briten gelieferten Marschflugkörpern „Storm Shadow“. Die Ukraine hat bewiesen, dass sie solche Systeme effektiv einsetzt und sich dabei an alle getroffenen Vereinbarungen hält.
Bislang war keine der Waffenlieferungen ein sogenannter „Game-Changer“. Immer mehr beklagen ein sinnloses Blutvergießen …
Kiesewetter: Waffensysteme allein ändern nicht alles, aber ihr politischer Einsatz kann viel bewirken. Man hätte von Anfang an klare Signale gegenüber Moskau setzen müssen: „Wenn ihr Schulen und Krankenhäuser zerstört, liefern wir der Ukraine Kampfpanzer und Taurus-Flugkörper.“ Russland versteht nur Stärke. 300 oder 400 Leopard-Panzer hätten politisch ein anderes Signal gesendet als die wenigen, die Deutschland viel zu spät geliefert hat. Russland hat das Blutvergießen in ungeheurem Ausmaß vorangetrieben, tötet täglich ukrainische Zivilisten und Soldaten. Jeden Tag sterben bis zu 1500 Soldaten auf russischer Seite – das interessiert Putin nicht. Die Ukraine leidet bis heute massiv unter der zögerlichen deutschen Unterstützung. Der Kanzler hat rote Linien gezogen, wo keine hingehören. Zum Beispiel hätte man den Taurus einsetzen können, um die Krimbrücke und russische Versorgungswege zu treffen. Stattdessen wurde minimal geliefert.
Reden Sie da nicht die Hilfe klein? Deutschland gilt als zweitgrößter Unterstützer der Ukraine …
Kiesewetter: Die deutsche Hilfe ist wichtig. In die Rechnung des Kanzlers sind aber die Ausgaben für die Integration ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland eingerechnet. Nur 15 Prozent der Summe sind Militärhilfen. Die knapp elf Milliarden Euro sind kaum höher als die Mittel der Briten. Gemessen an der Wirtschaftskraft liegt die Bundesrepublik bei den Militärhilfen für die Ukraine auf Rang 17 hinter Rumänien. Dänemark gibt gemessen am Bruttoinlandsprodukt über siebenmal so viel für Militärhilfen aus wie Deutschland.
Dennoch erscheint eine militärische Lösung kaum möglich. Wie soll es weitergehen?
Kiesewetter: Der Krieg, den Russland mit China, Iran und Nordkorea gegen die Ukrainer führt, muss so rasch wie möglich und nicht zulasten der Ukraine beendet werden. Eine diplomatische Lösung wird nur möglich sein, wenn die Ukraine aus einer Position der Stärke verhandelt. Ihr Anspruch auf die Krim und andere Gebiete muss völkerrechtlich bestehen bleiben. Russland muss das Existenzrecht aller seiner Nachbarstaaten unwiderruflich anerkennen – das wäre die Grundlage für künftige Verhandlungen. Ein Diktatfrieden zulasten der Ukraine würde Deutschland und die EU sehr viel teurer kommen als eine stärkere Unterstützung. Unsere eigene Sicherheit steht auf dem Spiel. Wir müssen aus eigenem Interesse verteidigungsbereit sein und Prioritäten setzen.
All das kostet Geld. Muss die Schuldenbremse gelockert werden? Sie haben selbst vergangenes Jahr ein Sondervermögen von 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr gefordert …
Kiesewetter: Nein, ich habe kein neues Sondervermögen gefordert, ich hatte damals gesagt, die Streitkräfte haben bis zum Jahr 2030 einen Mehrbedarf von 300 Milliarden Euro. Der Bund kann aktuell jedes Jahr gut 50 Milliarden Euro Schulden machen. Dies allein würde reichen, um mindestens Zwei-Prozent zu erreichen. Die Schuldenbremse bleibt richtig, es müssen Prioritäten gesetzt werden.
Donald Trump fordert von den Nato-Partnern fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben, Grünen-Kandidat Robert Habeck will 3,5 Prozent. Wären Ihnen die Grünen lieber als Koalitionspartner?
Kiesewetter: In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es mit den Grünen erfreulich mehr Schnittstellen als in der Wirtschaftspolitik. Ich kann mich noch erinnern, da hieß es bei den Grünen noch: „Raus aus der Nato, rein ins Vergnügen“. Deshalb bereitet es nun mir „Vergnügen“, wie sehr sich die Grünen hier weiterentwickelt haben. Hätte in der SPD Boris Pistorius das Sagen, gäbe es beim Thema Sicherheitspolitik auch wenig Probleme. Für die Union geht es jetzt nicht um Koalitionsgedankenspiele, sondern darum, möglichst stark zu werden.
Wie wird sich die Ukraine-Politik unter Trump verändern?
Kiesewetter: Vieles, was man aus Washington hört, hat sich seit dem US-Wahlkampf verändert. Europa muss nun der neuen US-Regierung noch deutlicher machen, welche Vorteile eine Westanbindung der Ukraine auch für Amerika bietet: Zum Beispiel eine Bevölkerung, die absolut auf der Seite von Frieden und Freiheit steht, und gegen die zweitstärkste Armee der Welt kämpft. Bei Bodenschätzen eines der größten Lithiumvorkommen der Welt außerhalb chinesischer Kontrolle. Bei künstlicher Intelligenz, Drohnen und Vernetzung inzwischen eine der besterfahrenen Armeen der Welt. Umgekehrt gilt: Ein Verlust der Ukraine würde Europa so sehr schwächen, dass die USA ihren wichtigsten Partner gegenüber China aufs Spiel setzen würden.
Zur Person: Roderich Kiesewetter, 61, ist Sicherheitsexperte der Unionsfraktion und Vizevorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums der Nachrichtendienste. Der Oberst a.D. und frühere Nato-Mitarbeiter ist seit 2009 direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Aalen-Heidenheim.
Wieviele Söhne hat Herr Kiesewetter in diesen Krieg geschickt und verloren? Ein typische deutscher Sofa-Held.
Unbestritten ist, dass die Armeen der europ. NATO Länder ihre Verteidigungsanstrengungen erhöhen müssen. Insb. die BW muss wieder zu einem ernst zu nehmenden Faktor werden. Hierzu gehört die Aufstockung der Mannschaftsstärke und vor allem der Ausrüstung. Anstrengungen hierzu sind nachvollziehbar von Rüstungshilfen an andere Länder zu treffen und dürfen nicht weiter zu Materiaverlusten bei der BW führen. Das gilt insb. für den Ukraine Support mit ständiger Priorisierung für den UA Krieg bei der Produktion und Entnahme von Material aus BW Beständen. Ansonsten kann ich dem Ansinnen von Hr. Kiesewetter nicht folgen. Jede weitere Eskalation des Krieges muss unterbleiben und Ansterngungen Richtung Waffenstillstand und anschliessenden Friedensverhandlungen durch Druck auf beide Kriegsparteien angegangen werden und zwar auf dem Status Quo des Frontverlaufs.
Der europäische Teil der NATO hat (inklusive GB) in etwa 1,4 Millionen Soldaten. Die Türkei mit ihren ca. 480 000 Soldaten habe ich nicht mit eingerichtet. Das ist für die Verteidgung ausreichend. Auch das Waffenmaterial ist ausreichend. Was mangelhaft ist, ist trotz Joint Operation Centers u.ä. eine koordinierte Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Nationale Interessen und Befindlichkeiten stehen dem halt entgegen.
Widerspruch - Gerade im europ. Zentralbereich sind die Truppen nicht auf Sollstärke personell und materiell aufgerüstet. In den letzten 20 Jahren wurden die Anzahl der Kampfverbände zu dem drastisch reduziert. Die Ausstattung mit Munition ist kläglich, die Reserven in den Munitionsdepots völlig unzureichend - nur für Kurzzeiteinsatz genug. Die Produktionskapazitäten für Waffen und Munition mangels Aufträgen von der Industrie herunter gefahren- Manufakturen nennt man so etwas. Um diese Mängel zu beheben braucht es mehrere Jahre.
Ich weiß nicht, warum man diesem Kriegstreiber immer wieder eine Bühne gibt?
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