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Israels Ultraorthodoxe müssen bald Wehrdienst leisten

Israel

Gericht kippt Wehrdienst-Ausnahme für Ultraorthodoxe

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    Auch ultraorthodoxe Männer müssen künftig zum Wehrdienst in der israelischen Armee verpflichtet werden.
    Auch ultraorthodoxe Männer müssen künftig zum Wehrdienst in der israelischen Armee verpflichtet werden. Foto: Leo Correa, dpa (Archivbild)

    Die Fliehkräfte innerhalb der israelischen Regierung sind groß: Der Umgang mit dem Gazastreifen, die Proteste gegen Premierminister Benjamin Netanjahu, der Streit mit der Schutzmacht USA – an vielen Stellen brodelt es. Nun sorgte die israelische Justiz für einen weiteren Konflikt, der zu einer echten Belastungsprobe werden könnte: Neun Richter entschieden am Dienstag einstimmig, dass es keine legale Grundlage für die bisherige Wehrdienstbefreiung von ultraorthodoxen Tora- und Talmudstudenten geben könne. Rund 63.000 junge Männer sind davon potenziell betroffen.

    Die Richter in Jerusalem stimmten zwei Petitionen zu, die eine sofortige Einberufung wehrpflichtiger ultraorthodoxer Männer gefordert hatten. "Auf dem Höhepunkt eines harten Krieges ist die Belastung durch eine ungleiche Verteilung der Bürde größer denn je, und erfordert eine Lösung", hieß es in der Urteilsbegründung. Damit wird ein Thema beendet, das in der israelischen Gesellschaft seit Langem für Debatten sorgt. 

    Parteien reagieren empört

    Die beiden ultraorthodoxen Parteien der Koalition reagierten mit erwartbarer Empörung. Das israelische Volk habe „ohne Torastudenten kein Recht zu existieren“, sagte Moshe Gafni, Vorsitzender der Partei Vereinigtes Torajudentum. Sein Parteifreund Israel Eichler behauptete gar, das "diktatorische" Gericht wolle "einen religiösen Krieg" entfachen. Unter den Ultraorthodoxen, in Israel Haredim genannt, ist die Furcht verbreitet, dass ihre jungen Männer während des Wehrdienstes ihren strengreligiösen Lebensstil ablegen könnten. Politiker der Opposition begrüßten das Urteil dagegen.

    Jahrzehntelang galten Ausnahmen für ultraorthodoxe Männer bei der Wehrpflicht in Israel. Diese waren aber vor drei Monaten ausgelaufen. Netanjahus Regierung gelang es jedoch nicht, ein Gesetz zu verabschieden, das die Erleichterungen zementieren sollte. 

    Ausnahmen für Strenggläubige gelten seit Jahrzehnten

    Die Ausnahmeregelung für die Strenggläubigen reicht zurück in die frühen Jahre des Staates: David Ben-Gurion, Israels erster Regierungschef, erlaubte damals eine Wehrdienstbefreiung für 400 Männer, die an religiösen Hochschulen – Jeshivot – studierten. Seither ist der Anteil der Haredim an der Bevölkerung auf zwölf Prozent gewachsen. In der jüdischen Mehrheitsgesellschaft, für die ein zwei- beziehungsweise dreijähriger Wehrdienst für Frauen und Männer gilt, stößt die Wehrdienstbefreiung der Frommen schon lange auf Unmut. Seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober und dem Gaza-Krieg gilt sie als endgültig unhaltbar – moralisch und praktisch: Über 300 Soldaten sind bei den Kämpfen in Gaza bislang ums Leben gekommen, viele mehr wurden verletzt und traumatisiert. Zudem braucht Israels Armee, die IDF, dringend Soldaten. Kurz nach dem 7. Oktober hatte sie über 300.000 Reservisten eingezogen, von denen viele monatelang dienten – eine Bürde nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Familien, Arbeitgeber, die Wirtschaft insgesamt.

    Niemand rechnet damit, dass das Urteil des Obersten Gerichts diese Bürde rasch lindern wird: Die IDF hat gar nicht die Kapazitäten, über Nacht Zehntausende Haredim einzuziehen, viele womöglich gegen deren Willen. Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara wies die Armee an, mit 3000 Jeshivastudenten zu beginnen. Doch das kann nur ein erster Schritt hin zu der „gerechten Verteilung der Bürde“ sein, die die Kritiker der Ausnahmeregelung seit Langem fordern.

    Verlassen die Ultraorthodoxen die Regierung?

    Um dem unmittelbaren Mangel an Soldaten zu begegnen, hatte die Regierung in einem temporär begrenzten Schritt letztes Jahr die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht. Am Mittwoch hätte das Parlament eigentlich über ein Gesetz abstimmen sollen. Doch der Vorsitzende des Außen- und Verteidigungsausschusses, Yuli Edelstein von Netanjahus rechter Likudpartei, verschob die Abstimmung überraschend. Am Tag zuvor hatte er im Rahmen einer Konferenz in der Küstenstadt Herzliya nach dem Urteil des Obersten Gerichts von einem „historischen Moment“ gesprochen und seine Bereitschaft angedeutet, in die Konfrontation mit den ultraorthodoxen Parteien zu gehen: „Das letzte Mal, als ich geprüft habe, hatten die noch keine Mehrheit“ in der Koalition.

    Israels öffentlich-rechtlicher Sender Kan berichtete am Mittwoch, Vertreter der ultraorthodoxen Parteien hätten hinter den Kulissen klargemacht, dass sie das Bündnis trotz früherer Drohungen nicht wegen der Wehrdienstfrage sprengen wollen. Ein Blick auf die Umfragen dürfte sie darin bestärken: Demnach wäre im Fall von Neuwahlen eine gemäßigte Rechts-Mitte-Links-Koalition ohne die Religiösen möglich. Viele Analysten vermuten zudem, dass Netanjahu die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes so lange wie möglich herauszögern wird. Eigentlich hatte Israels stellvertretender Generalstaatsanwalt Gil Limon die zuständigen Sicherheitsbehörden in einem Schreiben angewiesen, das Urteil umgehend umzusetzen. 

    Männer müssen in Israel regulär drei Jahre, Frauen zwei Jahre Wehrdienst leisten. (mit dpa)

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