Bei der Stiftung Verantwortungseigentum war man erfreut über den Koalitionsvertrag. Und das mit gutem Grund. Die Stiftung hat so ziemlich alle ihre Forderungen untergebracht. Wobei man dazu sagen sollte, dass sie eigentlich nur eine Forderung an die Verhandler hatte. Nämlich die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ (GmgV) als eigene Rechtsform einzuführen.
Bevor Sie nun weiterlesen, eines vorweg: Für den Inhalt dieses Textes muss man nicht unbedingt wissen, was eine GmgV ist. Trotzdem hier die Erklärung der Stiftung. Die GmgV sei gekennzeichnet durch „Vermögensbindung und die mitgliedschaftliche Logik“. Sie soll „gegenüber anderen Rechtsformen steuerlich weder benachteiligt noch begünstigt werden.“
Warum diese Erklärung, wenn man das nicht wissen muss? Weil sie sich ähnlich formuliert im Koalitionsvertrag von Union und SPD findet. Man werde die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ einführen, heißt es dort. Merkmale dieser Rechtsform seien eine „unabänderliche Vermögensbindung und die Teilhabe nach mitgliedschaftlicher Logik ohne steuerliche Privilegierungen oder Diskriminierungen.“ Immer wieder tauchen in Koalitionsverträgen Passagen auf, die an die Formulierungen von Lobby-Verbänden erinnern. Wie groß ist ihr Einfluss?
Manche verschickten gar fertige Textbausteine für den Koalitionsvertrag
Zunächst einmal bedeutet Lobby-Arbeit nichts Negatives. Verbände, Unternehmen und Gewerkschaften stellen Politikern Informationen zur Verfügung – Studien zum Beispiel oder Gutachten. Dabei setzen sie sich in vielen Fällen für Projekte ein, die nicht nur der Lobby-Gruppe nutzen. Für die Einführung der GmgV hatten in der Vergangenheit auch Wissenschaftler plädiert. Und nur weil die Forderungen von Verbänden übernommen werden, heißt das noch lange nicht, dass das nur an der Lobby-Arbeit lag.
Wobei manche Verbände in diesem Jahr durchaus vehement vorgingen, mitunter auch kreativ. Die Stiftung Verantwortungseigentum zum Beispiel ließ für ihre Social-Media-Kanäle Olaf Scholz, Lars Klingbeil und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt im Vorfeld der Wahl mit einem Transparent posieren. Darauf gedruckt: Ein Passus aus dem Parteiprogramm der Sozialdemokraten, in dem sich die SPD für die GmgV ausspricht. Anderes Beispiel: eine E-Mail-Kampagne der Stiftung. Auf ihrer Internetseite findet sich ein Tool, über das Bürgerinnen und Bürger mit nur wenigen Klicks eine vorgefertigte Mail mit der Forderung nach einer GmgV an ihre Abgeordneten schicken können.
Wieder andere, wie die Firma Rolls-Royce, sendeten gar Dokumente mit fertigen Textbausteinen an die Verhandler. Die hätten die Passagen nur noch für ihren Vertrag kopieren und einfügen müssen. Getan haben sie das nicht. Das Dokument mit dem Titel „Textvorschläge für einen Koalitionsvertrag 2025“ findet sich offen einsehbar im Lobbyregister der Bundesregierung. Ähnliche Papiere mit Textvorschlägen haben auch andere ausgearbeitet, beispielsweise der Verband „Netzwerk Autorenrechte“.

Manche Verhandler waren überrascht von dieser Vehemenz. Das war eine „große Mail-Schlacht“, heißt es aus Kreisen der SPD. Dass Verbände an Verhandler herantreten, sei nicht ungewöhnlich. Allerdings nicht in diesem Maß. Dabei hätten die Positionen zu diesem Zeitpunkt längst festgestanden.
Dass manche Lobbyisten besonders forsch auftraten, lag wohl auch an der kurzen Zeitspanne
Ähnliches berichtet Klaus Holetschek, CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag. „Ich hätte wahrscheinlich einen zwei Meter hohen Papierstapel gehabt, wenn ich das alles ausgedruckt hätte“, sagt Holetschek, der in der Arbeitsgruppe zur Gesundheitspolitik verhandelt hat. „Teilweise kamen Mails von Verbänden, von denen ich noch nie gehört habe.“ Man nehme das zwar „zur Kenntnis“, vieles davon habe er aber gar nicht lesen können. „Man ist ja ohnehin schon in den Themen drin, sonst säße man ja nicht in der Verhandlungsgruppe.“
Auch manche Lobby-Gruppen bestätigen dieses Bild. Es sei auffällig gewesen, „wie forsch einige aufgetreten sind“, sagt der Vertreter eines Verbands. „Die haben die Verhandler regelrecht bombardiert“. Grund sei die kurze Zeit durch die vorgezogene Wahl gewesen. Es blieb wenig Vorlauf, um Themen zu platzieren. Eine andere Lobbyistin berichtet, dass es zunächst schwierig war, Kontakt aufzunehmen. Als dann aber die Arbeitspapiere durchgestochen wurden, habe sich „ein Fenster geöffnet“. So konnte man sehen, wo die Konfliktlinien zwischen Union und SPD verliefen.
Kritisiert wird auch, was nicht im Vertrag steht
Am Ende fanden sich einige Stellen im Vertrag, die an Lobby-Sprech erinnern. „Wir engagieren uns für eine einheitliche europäische Finanzregulierung und verzichten in diesem Zusammenhang auch auf Goldplating“, steht beispielsweise im Koalitionsvertrag. Ähnliche Formulierungen findet man in Papieren des Genossenschaftsverbands Bayern: „Für eine reibungslose Verzahnung europäischer und deutscher Gesetze ist Goldplating (…) unbedingt zu vermeiden.“
Oder hier: „Die Abwanderung energieintensiver Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Klimaschutzstandards (Carbon Leakage) wollen wir verhindern“, steht im Koalitionsvertrag. „Carbon Leakage und Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden“, schrieb zuvor der Bundesverband der deutschen Industrie. Ähnlichkeiten zu Formulierungen von Lobby-Verbänden findet man auch in den Kapiteln zum Bürokratieabbau, zur Kreislaufwirtschaft oder zur Biotechnologie.
Weitere Zitate, die Lobby-Formulierungen ähneln
Bürokratieabbau
Koalitionsvertrag: „Wir streichen die Ausnahmen der so genannten ‚One in, one out‘-Regel und berücksichtigen den Aufwand aus EU-Vorgaben, den Aufwand für Bürgerinnen und Bürger und Verwaltung sowie den einmaligen Umstellungsaufwand, und entwickeln sie zu einer ‚One in, two out‘-Regel“ fort.“
Bundesverband der Deutschen Industrie: „Spürbar sinken Bürokratielasten erst, wenn „one in, two out“ gilt. Zudem bestehen entscheidende Ausnahmen: Die 1:1-Umsetzung von EU-Recht ist nicht von der Bürokratiebremse umfasst. Hierin liegt großes Einsparpotenzial, da EU-Recht einen wesentlichen Teil des von Unternehmen anzuwendenden Rechtsrahmens ausmacht.“
Biotechnologie
Koalitionsvertrag: „Die Biotechnologie wird als Schlüsselindustrie gefördert und ihre Anwendungen werden regulatorisch erleichtert, auch mit Blick auf neue genomische Techniken.“
BIO Deutschland: „Biotechnologie ist nicht nur ein wesentlicher Treiber für Innovation und wirtschaftliches Wachstum, sondern auch eine strategisch bedeutsame Schlüsselindustrie. (…) Wir benötigen bessere Bedingungen für klinische Studien und den Abbau bürokratischer beziehungsweise regulatorischer Hürden.“
Chemiestandort Deutschland
Koalitionsvertrag: „Für uns ist der risikobasierte Ansatz im Chemikalienrecht die Richtschnur, die Umwelt-, Gesundheitsschutz und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringt, auch bei einer Überarbeitung der Europäischen Chemikalienverordnung (REACH).“
Verband der Chemischen Industrie: „Der risikobasierte Ansatz unter REACH muss beibehalten werden, da oft nur so wirksames, effizientes und verhältnismäßiges Risikomanagement möglich ist.“
Kreislaufwirtschaft
Koalitionsvertrag: „Die Zulassung von Anlagen im immissionschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren werden wir vereinfachen und die Kreislaufwirtschaft und das chemische Recycling von Kunststoffen unterstützen.“
Zentralverband des Deutschen Handwerks: „Ziel sollte sein, das Verfahren zu vereinfachen, insbesondere für jene Anlagen, die unter die Ausnahmen der Genehmigungserfordernis fallen. Dies würde nicht nur das Antragsverfahren vereinfachen, sondern auch die Bürokratiebelastung erheblich minimieren.“
Interessant kann auch sein, was nicht im Vertrag steht. Verbraucherschützer unterstellten den Verhandlern beispielsweise, dass aufgrund der Lobby-Aktivitäten von Red Bull keine Altersgrenze für Energydrinks vereinbart wurde. Beweisen jedoch lässt sich das nicht.
Lücken im Lobbyregister helfen Verbänden
Kritik übt auch der Verband Lobby-Control. „Bei den Verhandlungen werden die wichtigsten Vorhaben der kommenden Jahre festgelegt“, sagt Aurel Eschmann, der als Rechercheur für Lobby-Control arbeitet. „Gleichzeitig sind die Regeln dafür lasch.“ Verbände und Unternehmen müssen zwar seit 2022 ihre Aktivitäten im Lobbyregister kenntlich machen. Das gilt aber nur, wenn sie damit an Abgeordnete oder Regierungsmitglieder herantreten. Bei Parteifunktionären oder Vertreter von Landesregierungen muss die Tätigkeit nicht offengelegt werden.
Generell seien die Interessen der Wirtschaft überrepräsentiert. Unternehmen und Wirtschaftsverbände geben laut Lobbyregister mit Abstand am meisten Geld für politische Arbeit aus. „Und dazu kommt noch, dass zum Teil sogar Lobbyisten in den Verhandlungsgruppen saßen. Beispielsweise der bayerische Bauernpräsident Felßner“, sagt Eschmann. „Die Regeln müssten dringend verschärft werden. Nur kann ich da gerade wenig politischen Willen erkennen.“
Die, die Verbände, Interessengruppen und ihre Lobbyisten, wollten nicht nur Einfluß nehmen, sie nahmen Einfluß, wie auch im Artikel ausgeführt. Dieses formale und (teils)öffentliche Wirken ist nur die eine Seite der Lobbyarbeit; die andere, die im Verborgenen, die Kamingespräche, illustere Einladungen, etc. stattfindende Seite war und ist sicherwesentlich wichtiger und durchaus auch erfrolgreicher!
Zitat: "Zunächst einmal bedeutet Lobby-Arbeit nichts Negatives." So ist es. Ohne das Fachwissen von Fachleuten, und die sitzen nun mal nicht im öffentlichen Dienst, käme vermutlich weniger als nichts raus. Da bei muß natürlich nichjt verschwiegen werden, daß diese Interssenvertreter auch die Interessen ihrer Branche vertreten. Das muß aber nicht unbedingt gegen das Gemeinwohl gerichtet sein.
Sie glauben, dass Lobbyisten am Gemeinwohl interessiert sind? Geht es noch naiver?
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