Die Horrortat von Halle darf sich niemals wiederholen
Menschen jüdischen Glaubens, die hinter einer Tür um ihr Leben zittern: So eine Tat wie in Halle darf sich niemals wiederholen. Aber "Nie wieder!" reicht nicht.
Der Mensch gewöhnt sich an alles. Das ist kein Gemeinplatz, sondern eine biologische Überlebenstechnik. Wären wir nicht in der Lage, uns immer wieder an Umstellungen, auch an Schreckliches zu gewöhnen, es gäbe uns Menschen gar nicht mehr.
Für den Menschen als moralische Instanz gilt dies aber nicht. Er zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er Grenzen zieht – an deren Überschreitung er sich nicht mehr gewöhnen kann. Und nicht will. Die Bilder der vergangenen Tage zeigen uns so eine Grenze auf.
Es handelte sich beim Todeslauf von Halle keineswegs um die erste antisemitische Gräueltat in der Geschichte der Bundesrepublik. Leider reicht der Platz nicht, um diese alle aufzuzählen. Aber es ist das erste Mal, dass ein Attentäter gewaltsam versucht hat, in eine Synagoge einzudringen, um dort Menschen zu töten.
Menschen jüdischen Glaubens, die hinter einer Tür angstvoll warten müssen, ob der Tod zu ihnen kommt; vier Kilo Sprengsätze vor eben dieser Tür; ein Täter, der den Holocaust in Kameras leugnet und sich dabei auf Englisch an eine internationale Klientel richtet. So etwas darf es nie wieder bei uns geben.
Deutschland muss sich seiner Verantwortung nach dem Holocaust bewusst sein
Wie man sich dazu positioniert, hat nichts mit dem üblichen politischen Ringen zu tun – so wie man sich vielleicht zwischen einem Gesetz zur Grundsicherung mit Bedürftigkeitsprüfung entscheiden muss oder einer ohne. Diese Haltung ist alternativlos. Wir Deutschen sind nach der Ursünde des Holocaust noch einmal in die Gemeinschaft der Völker aufgenommen worden, aber unter Bewährung und einer Bedingung – nämlich dass „Nie wieder“ das Gründungsmanifest der Bundesrepublik wird.
Das war auch Voraussetzung dafür, dass überhaupt wieder Juden in unserem Land leben können. Wie mutig diese waren, zeigte eine Resolution des Jüdischen Weltkongresses nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges. Diese enthielt die Aufforderung an Juden, sich „nie wieder auf dem blutgetränkten deutschen Boden anzusiedeln“.
Natürlich hat seither viel „Vergangenheitsbewältigung“ stattgefunden – wenn auch oft erst eingefordert durch den (Jugend-)Aufstand der 68er. Sie verlief gründlicher als in Ländern wie Österreich, wo Rechtspopulisten auch deswegen heute viel salonfähiger sind.
Im Deutschen Bundestag sitzt kein Jude
Aber ein bisschen besser ist noch lange nicht richtig gut. Die Aufgabe endet auch nie. Vor gar nicht langer Zeit nannte ein Vertreter der AfD die NS-Zeit einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte, ein anderer bezeichnete das Holocaust-Denkmal als „Monument der Schande“. Es ist in manchen Kreisen üblich, nicht erst nach dem Menschen zu fragen, sondern woher dieser kommt und woran er glaubt. Gekoppelt mit der Frage: Ist er einer von „uns“?
Nichts davon ist direkt verantwortlich für den Horror von Halle. Aber dafür, dass unser Diskurs sich teilweise geändert hat. Es genügt nun nicht, „Nie wieder!“ zu sagen. Es hilft auch nicht, Juden wegzupacken, „als seien sie wertvolles Porzellan, das in Deutschland besonderer Pflege bedarf“, wie ein kluger Kolumnist schrieb.
Wir müssen miteinander reden statt übereinander. Welcher Deutsche kann Purim, Pessach oder Jom Kippur erläutern? Wer begreift wirklich ihre Urängste vor Antisemitismus, zu finden auch unter muslimischen Einwanderern? Und: Wie verhindern wir, dass Juden in Deutschland immer Opfer bleiben – und Debatten über sie ohne sie geführt werden? Kein Jude sitzt im Deutschen Bundestag.
Nehmen wir diesen Austausch ernst, wird auch klar: Es ist nicht der wahre Skandal, dass die Synagoge von Halle unbewacht war. Der wahre Skandal ist, dass diese überhaupt bewacht werden muss.
Die Diskussion ist geschlossen.
Jeder von uns trägt Schuld an dem was geschehen ist.
Keiner kann sich zurück lehnen und sagen „Kein Wunder weil...“
Wie lange wird dieser Vorfall in den Medien bleiben?
Solange es der Auflage dient. Solange es der eigenen Empörung dienbar ist.
Es ist unabhängig von Juden, Christen, Moslem, oder welcher „Religion“ auch
immer, die sich einzig aus fanatischen Überzeugung einzelner gebildet haben.
Nur zusammen können wir leben.
Es ist richtig: „Nie wieder“ reicht nicht.
Und eine seit angeblich 70 Jahren praktizierte wehrhafte Demokratie in diesem Staat wirft Fragen auf, wenn die Gesellschaft immer wieder voller Schrecken auf schlimmste Auswüchse bis hin zu Morden und Mordserien hilflos obigen Satz repetiert.
Sind wir eine Mantra-Demokratie, deren Vortragen demokratischer Inhalte zur Beruhigung vorgegaukelt wird, zum Einlullen geeignet?
Und oft genug gegen ur-demokratische Qualitäten ins Feld geführt. Und gegen missliebige Gesellschaftsgruppen unserer Republik sowieso.
Gibt unser fabelhaftes Grundgesetz Verantwortlichen wie gemeinem Bürger nicht eine Anleitung dafür, dass man nicht an höchsten staatlichen Feiertagen das Demokratie-Mantra heilig sprechen kann und im Alltag des Jahres darauf pfeift?
Und wehrhafte Demokratie hat etwas mit politischer und persönlicher Anstrengung zu tun. Und es stellt sich die Frage, ob die Selbstverständlichkeit des Artikel 1 eine beliebige Floskel ist oder gelebt werden sollte.
Und wenn wir auf das Ergebnis von 70 Jahren möglicher Demokratie, denn dieser Zeitraum ist nicht gleichzusetzen mit gelebter Demokratie, zurückblicken, stellen wir fest:
Der heutige Zustand spiegelt auch das staatlich politische Versagen wider.
Es reicht nicht, z.B. als aufgeblähter Bundestag, sich den wichtigsten politischen Aufgaben zu verweigern. Die Damen und Herren sind nicht in der Lage und willens, ein gefordertes Wahlgesetz zu verabschieden, was als Grundvoraussetzung politischer Legitimation gelten kann.
Politisches Handeln und Sprache sind nicht deckungsgleich. Holocaust in Sonntagsreden, das wird warnend praktiziert. Die Selbstverständlichkeit, Bürgern jüdischen Glaubens – wie auch anderen Gruppen unserer Gesellschaft – einen normalen Alltag zu ermöglichen, ist Hetze und Diffamierung gewichen.
Die Extremen und das Extreme sind in 70 Jahren BRD nicht vom Himmel gefallen. Sie sind schon ein Ergebnis 70-jähriger Politik. Wenn Verbalakrobatik bis hin zu ungezügelter Hetze und Diffamierung bis hin zum höchsten Verfassungsschützer dieser Republik möglich waren oder sind, dann brauchen wir uns über das angezüchtete heutige Extreme oder Extremistische nicht zu wundern.
>>Die Nationalität ist doch überhaupt nicht wichtig...<<
Die Nationalität ist nur für diejenigen wichtig, die sonst immer wissen wollen, welche Nationalität ein Täter hatte! Zum Erkenntnisgewinn.
Für Sie also beispielsweise Herr P. ;-)
Ich stehe da zu 100% hinter den Grundsätzen des Presserates ;-)
https://www.presserat.de/files/presserat/dokumente/pressekodex/Pressekodex_Leitsaetze_RL12.1.pdf
Moral-Dusche hin oder her - niemand kann systematisch und zuverlässig einen verwirrten Einzeltäter erkennen und rechtzeitig unschädlich machen. Jedenfalls nicht mit den Mitteln, die hierzulande zur Diskussion stehen. Beispiel dafür ist der Syrer, der kurz vorher mit dem LKW Amok fahren wollte oder der Mann, der in FFM jemanden auf das Gleis stieß. Den Bogen zwischen politischer Kritik und diesen Taten als zwingende Logik hinzustellen, halte ich für unlauter. Und noch etwas: wer redet eigentlich von den zwei Opfern dieses Anschlags? Das waren wohl nur Kollateralschäden. Sehr sehr traurig.
Von wegen "verwirrter Einzeltäter".
Nichts anderes als Ablenkungsmanöver und geheuchelte Betroffenheit - einfach widerlich.
Wort für Wort wie aus einem Agitationshandbuch für AfD-Funktionäre stammend, der Partei der geistigen Brandstifter und Hetzer.
Haben Sie einen Beweis, dass es kein verwirrter Einzeltäter war?
(edit/mod)
>> niemand kann systematisch und zuverlässig einen verwirrten Einzeltäter erkennen und rechtzeitig unschädlich machen. Jedenfalls nicht mit den Mitteln, die hierzulande zur Diskussion stehen. <<
Na ja Herr Stadler, bei Tätern anderer Motivation ist der Staat auch kreativer bei der Verhinderung der Hintergründe:
https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/amri-video-103.html
Es wird in diesem Land keinen gesellschaftlichen Frieden mehr geben, wenn Terror gleich welcher Motivation nicht 100% gleich behandelt wird.
@ MARKUS STADLER
Sie behaupten das und wären somit beweispflichtig.
Besuchen Sie mal einen der typisch bayerischen, ländlichen Stammtische und hören auf das dort gebräuchliche Vokabular. Sie würden sich sehr wundern wie groß die Sympathisanten- und Verharmloser-Szene Fremdenhass und Antisemitismus betreffend ist.
Oder informieren Sie sich mal über die Anzahl von Verletzten und Toten durch rechtsradikale Gewalttäter allein im 1. Vierteljahr 2019. Ein wenig sehr viele Einzeltäter, oder?
@ PETER P.
"Na ja Herr Stadler, bei Tätern anderer Motivation ist der Staat auch kreativer bei der Verhinderung der Hintergründe:"
In keinem anderen Fall, als bei der NSU-Mordserie war der Staat dabei kreativer. Was auch daran liegen dürfte, dass ein ganz wichtiger Relativierer und Verharmloser rechtsradikaler Verbrechen an der Spitze des Verfassungsschutzes saß. Der - zwar nicht mehr an dieser Stelle - doch noch immer sein Spielchen treiben darf.
(edit/mod/lassen Sie die persönlichen Angriffe bitte sein)
Einigen wir uns einfach darauf, dass der Täter ein Mensch war.
Die Nationalität ist doch überhaupt nicht wichtig...