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Kommentar: Österreichs Konservative haben ausgespielt

Kommentar

Österreichs Konservative haben ausgespielt

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    Christian Stocker ist aktuell geschäftsführender ÖVP-Chef. Österreichs konservative Partei ist offen für Verhandlungen mit der rechten FPÖ. Egal, was sie angekündigt hatte.
    Christian Stocker ist aktuell geschäftsführender ÖVP-Chef. Österreichs konservative Partei ist offen für Verhandlungen mit der rechten FPÖ. Egal, was sie angekündigt hatte. Foto: Heinz-Peter Bader, AP/dpa

    Nun ist es also fix. Österreichs Konservative, die viele Monate lang Herbert Kickl als Sicherheitsrisiko, als völlig untragbar für ein öffentliches Amt und, nicht ohne Argumente, als rechtsextrem bezeichnet hatten, verhandeln seit Freitag offiziell eine Regierung mit der FPÖ. Kickl, das steht außer Frage, wird ihr als Kanzler vorstehen.

    Wie konnte es dazu kommen? Den Anfang machten Österreichs Liberale, NEOS, die als erste vom Verhandlungstisch für eine Dreier-Variante aufgestanden waren. Als Neun-Prozent-Partei wollten sie der Koalition ihren Stempel aufdrücken, Pensionen kürzen und große Reformen im Bereich Bildung – beim letzten Punkt dürften sie auch einiges erreicht haben. Das aber dürfte den Marktradikalen in der Partei nicht gereicht haben. Durch ihre Entscheidung haben die Liberalen den Pro-FPÖ-Kräften bei den Konservativen die Handlungsmacht überlassen. Handstreichartig drehten Industrielle und Wirtschaftler in der ÖVP – nicht wenige davon übrigens haben Investitionen in Russland und beste Kontakte nach Moskau – den Kurs um 180 Grad, und ermöglichten damit den bevorstehenden Griff von Herbert Kickl nach der Macht. Egal, wie man zu den Gründen der NEOS steht: Diese Mitverantwortung bleibt den Liberalen. Sie wird in den österreichischen Medien zum größten Teil heruntergespielt oder ganz außen vor gelassen.

    Kickl will Österreich in die Riege der EU-feindlichen Staaten einreihen

    Jetzt kommt Kickl. Der FPÖ Chef will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk radikal umbauen, spricht von „Gesinnungsjournalismus“, während er dem ihm nahestehenden Netzwerk aus rechtsextremen Hetzplattformen künftig Presseförderungen zukommen lassen will. Kickl möchte, dass Regierungen künftig per Volksentscheid ausgehebelt werden können, er will Österreichs Veto für Ukraine-Gelder, ein Ende der Russland-Sanktionen – kurz, der FPÖ-Chef hat vor, Österreich in die Riege der EU-feindlichen Staaten einzureihen. Das in den österreichischen Vertretungen im Ausland nun vorgegebene Wording, Österreich bleibe selbstverständlich ein treuer Partner der EU, gleicht wohl eher einer Wunschvorstellung als der kommenden Realität. Schließlich würde Kickl als Kanzler im EU-Rat schalten und walten können, wie er möchte. Eine zu pessimistische Erwartung? Kickls erstes und bisher einziges Statement am Wochenende kam einer Unterwerfungsforderung an die ÖVP gleich: „Entweder, ihr tanzt nach meiner Pfeife, oder es gibt Neuwahlen – und dann ich bin noch stärker als zuvor“. Die Reaktion der neuen ÖVP-Spitze: Halbherzige Beteuerungen, man wolle weiter hinter EU, Rechtsstaat und hinter den freien Medien stehen – allerdings so formuliert, dass es genug Spielraum für etwaige weitere Umfaller des künftigen Juniorpartners der FPÖ gibt.

    Die ÖVP sendet ein Signal: Egal, was wir sagen, ihr könnt euch auf Nichts davon verlassen

    Schwer wiegt, dass die ÖVP mit dem Bruch ihres strikten Versprechens, sicher nicht mit Kickl koalieren zu wollen, jegliche Glaubwürdigkeit verspielt hat. Das fatale Signal an die Österreicher ist: Egal, was wir sagen, ihr könnt euch auf Nichts davon verlassen. Den Schaden nehmen davon auch alle anderen politischen Parteien. Vom einer internen Aufarbeitung des umfassend gescheiterten ÖVP-Projekts „Sebastian Kurz“ kann in der ÖVP ebenfalls keine Rede sein. Um den Preis eines sehr steilen, aber sehr kurzen Höhenflugs hat Kurz die österreichischen Konservativen in eine rechtspopulistische „Bewegung“ verwandelt, und damit von Asyl und Migration bis zur EU erst recht den Boden für den Siegeszug der extremen Rechten bereitet. Friedrich Merz und Markus Söder in Deutschland scheinen diesen Zusammenhang bis heute nicht sehen zu wollen.

    Bisweilen blickte man in Deutschland mit einer Mischung aus schockiertem Voyeurismus und wohligem „Gruseln“ auf den kleinen Nachbarn. Nur sehr langsam wird auch in Deutschland klar, wie schnell es gehen kann, mit dem Machtverlust und dem Abgleiten der konservativen Mitte und einem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit.

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    2 Kommentare
    Wolfgang Schwank

    Diese typische Causa Austria dient ganz gut als Lehrbeispiel. Ein ÖVP-Finanzminister, in einer sich permanent gegenseitig blockierenden Koalition, verschleiert das horrende Haushaltsdefizit vor den Wahlen. Zum Dank wird er nach Brüssel als EU-Kommissar delegiert. Der momentane ÖVP-Vorsitzende bekannte sich noch vor ein paar Monaten als Generalsekretär zu einer Nichtzusammenarbeit mit Kickl. Dank des Versagens der sog. Parteien der Mitte eine Koalition zu schmieden, wird nun selbiger Kickl auf den Schild gehoben mit Steigbügeln der ÖVP. Nebenbei, in vielen Fragen decken sich Inhalte von Schwarz (die sich in Austria ja Türkise nennen) und Blau(Braun). Nun kurz zu uns; wenn ich das Statement von Generalsekretär Huber lese, der bewusst die inhaltlichen Deckungsgleichheiten zur AfD ausspart, ist es von Österreich zu uns oder umgekehrt nicht all zu weit.

    Jochen Hoeflein

    Guter Vergleich. Die etablierten Parteien sowohl in DEU als auch im Nachbarland haben ein hohes Mitschuld am Anwachsen von AFD bzw FPÖ. Durch Stillstand , Beharren auf bisheriger Politik Praxis. Viele Bürger fühlen sich nicht mehr mitgenommen. Die miese Wirtschaftslage tun das Übrige verursacht durch hohe Energiepreise. Im Nachbarland wird man sehen ob die FPÖ sich in Verantwortung bewährt; ansonsten kann man sie ja wieder abwählen. So funktioniert Demokratie und nicht durch Errichtung von Brandmauern, die am in der Unregierbarkeit enden können.

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