Früher ging es mit Megafon und Flugblättern auf die Straße, heute heißt es: „Lass uns das mal auf TikTok posten!“ Die Jugend von heute sei protestfaul, so reagieren die älteren Generationen auf diese Entwicklung. Und angeblich ist Social Media Schuld: Die Likes seien wichtiger als die Anliegen, echte Demonstrationen würden durch virtuelle Empörung ersetzt. Doch dieses Bild der digitalen Couch-Potatoes ist so realistisch wie ein Instagram-Filter, nämlich verzerrt und übertrieben. Die Realität ist komplexer.
Die Protestkultur hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Die Demos der 60er- oder 80er-Jahre waren geprägt von Radikalität und Ideologie. Feindbilder waren klar umrissen, es ging da beispielsweise gegen den autoritären Staat oder die Atomkraft. Heute ist der Protest vielschichtiger und digitaler. Abgesehen davon, dass dieser Tage wie in München auch viele jungen Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gehen, gibt es daneben neue Protestformen und die Themen sind diverser: von Klimawandel über Migration bis hin zu Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Es geht da nicht mehr überwiegend um nationale Anliegen, sondern um globale Probleme. Bewegungen wie „Fridays for Future“ schaffen es, Millionen Menschen weltweit zu mobilisieren. So viel zur angeblichen Passivität der Jugend.
Die angeblich passive Jugend sorgt für Demo-Rekorde auf der Straße
Doch der Vorwurf bleibt: Digitale Bewegungen seien unverbindlich, und Likes und Shares könnten keine echten Demonstrationen ersetzen. Klar, das Internet birgt Gefahren. Die Schnelllebigkeit der sozialen Medien kann Proteste fragmentieren, Algorithmen verstärken Meinungsblasen und erschweren den Dialog. Ein Trend jagt den nächsten, was heute viral geht, ist morgen vergessen. Die Informationsflut führt zudem dazu, dass sich junge Menschen schwerer auf ein Thema konzentrieren können. Gleichzeitig ist es für Protestbewegungen schwierig, aus der eigenen Echokammer auszubrechen. In einer zunehmend segmentierten Medienlandschaft bleibt vieles auf die bereits Überzeugten beschränkt.
Dennoch greift die Kritik zu kurz. Denn sie ignoriert, dass die Digitalisierung Proteste nicht zurückdrängt, sondern zugänglicher macht. Digitale Plattformen erleichtern die Mobilisierung zu Demonstrationen und eröffnen neue Möglichkeiten des Engagements. Wer früher keine Zeit, kein Geld oder keine Möglichkeit hatte, zu einer Demo zu reisen, kann sich heute online informieren, engagieren und vernetzen. Digitale Petitionen, Livestreams oder gezielte Kampagnen erweitern das Repertoire der Protestkultur.
Die Wahrnehmung von Prostest hat sich verändert
Protest ist nicht länger ein Privileg für Studierende oder Aktivisten aus akademischen Kreisen. Er ist inklusiver geworden, greift in unterschiedlichste Schichten und Regionen. Diese Demokratisierung des Protests ist ein Novum - und eine Chance. Bewegungen wie „Black Lives Matter“ zeigen, wie digitale Werkzeuge genutzt werden können, um nicht nur Aufmerksamkeit zu erzeugen, sondern Resonanzräume weit über nationale Grenzen hinaus zu schaffen. Sie gibt Menschen, die lokal isoliert oder marginalisiert sind, eine Stimme und ermöglicht es, Solidarität und Unterstützung weltweit zu mobilisieren.
Das eigentliche Problem liegt nicht in der Jugend, sondern in der Wahrnehmung, die früher nicht so sehr mit unzähligen anderen Schlagzeilen konkurrierte. Heute kämpft jede Bewegung um Aufmerksamkeit, eingebettet in eine Flut von Informationen, die durch Algorithmen gefiltert wird. Was in einer Bubble riesig erscheint, bleibt in einer anderen unsichtbar. Das heißt aber nicht, dass nichts passiert – es wird nur nicht überall wahrgenommen.
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