Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat der Nato wieder frischen Sinn eingeblasen. Der Krieg Wladimir Putins offenbart jedoch, wie desolat die deutsche Armee aufgestellt ist.
Für blank erklärte der Inspekteur des Heeres die eigenen Streitkräfte am Morgen des russischen Losschlagens. Wenn das erneuerte Bekenntnis zum westlichen Verteidigungsbündnis keine noblen Worte bleiben sollen, dann kommen große Aufgaben auf die Bundeswehr zu. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Erwartungen hochgeschraubt.
Die Zahl schnell einsetzbarer Soldaten soll von heute 40.000 auf über 300.000 gesteigert werden. Die 30 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer werden das auf dem Nato-Gipfel in Madrid, der bis Donnerstag läuft, beschließen – sofern sie Stoltenberg folgen. „Für die Bundeswehr bedeutet das eine enorme Herausforderung und erfordert große Anstrengungen hinsichtlich Personal, Material, Ausrüstung und Infrastruktur“, sagte die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, unserer Redaktion.
Die Bundeswehr: Eine Armee des Mangels
Högl weiß, wie es bei Heer, Luftwaffe und Marine aussieht. Dass der Bundeswehr schnell die Munition ausgehen könnte, dass in Osteuropa abgestellte Soldaten keine warmen Jacken hatten, dass Hubschrauber nicht abheben und sich die Kosten für die Sanierung des Segelschulschiffes vervielfacht haben. Es gäbe also auch ohne die zusätzliche Anforderung gut zu tun bei der Truppe, um sie robust zu machen. Gleichwohl hält die Wehrbeauftragte den Vorschlag Stoltenbergs für richtig. Sie sieht darin ein „deutliches Zeichen“ an Putin und „eine konsequente Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.“
Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hat früher selbst ein Bataillon der Raketenartillerie geführt. Er erinnert daran, dass die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen hat, Deutschland solle 10 Prozent der Nato-Fähigkeiten stellen. „Wenn wir da nach den neuen Plänen von rund 30.000 Soldaten sprechen, dann bedeutet das eine Verdopplung der jetzigen Zahl.“ Derzeit stellt Deutschland rund 14.000 Männer und Frauen für die sogenannte Nato-Responce-Force, die schnelle Einsatzgruppe des Nordatlantik-Pakts.
Diese Soldaten stehen nicht zwingend in Osteuropa zur Abschreckung Russlands, sondern in Kasernen in ganz Deutschland. Die Anforderung an sie lautet: Dass sie binnen 30 Tagen einsatzbereit sind und regelmäßig das Kämpfen geübt haben müssen. „Wenn diese Einheiten mal zwei genommen werden sollen, ist das eine erhebliche Anstrengung. Die Gefahr ist groß, dass das eine Schimäre wird“, erklärte der Oberst a. D. im Gespräch mit unserer Redaktion. Offen sei, wie schnell die Nato verlangt, dass Deutschland liefert. Das gehe nicht über Nacht, sondern werde mehrere Jahre dauern.
Deutschland und die Niederlande sollen zusammen eine Division stellen
Im Verteidigungsministerium und im Kanzleramt gibt es schon konkretere Überlegungen für den Beitrag Deutschlands. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in Litauen angekündigt, dass Deutschland eine Kampfbrigade führen werde. Die 3000 bis 5000 Soldaten werden nicht direkt an die Ostflanke der Nato verlegt, sondern sollen im Notfall schnell von Deutschland aus mobilisiert werden. Sie könnte über die kommenden Jahre um eine weitere gepanzerte Brigade aufgestockt werden, die wiederum durch eine niederländische verstärkt würde.
So bildeten Deutschland und die Niederlande zusammen eine schwere Division zur Landverteidigung. Die Division müsste Deutschland, wenn es bei den Planspielen bleibt, noch durch einen Verband aus zwei Fliegerstaffeln sowie Flugabwehreinheiten und Marineschiffen ergänzen.
Die Ertüchtigung der Armee und eine höhere Einsatzbereitschaft wird viel Geld kosten. Mit den 100 Milliarden, die die Ampelkoalition in die Truppe stecken will, „beseitigt man das Gröbste“, sagt Kiesewetter. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spricht von einen Dauerauftrag der Bundeswehr, für den die „Einmalüberweisung“ von 100 Milliarden nicht reiche.
Der frühere Soldat Kiesewetter ist skeptisch, dass das Geld effizient für mehr Feuerkraft eingesetzt wird. „Die Verteidigungsministerin scheut sich, an die Strukturen ranzugehen. Wir haben zu viele Hauptquartiere, die einer effizienten Bundeswehr im Weg stehen.“ Wie das Beschaffungswesen reformiert werden soll, dafür hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) noch keinen Vorschlag ausgearbeitet.