Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland bei den Organspenden hinterher. Zehn Spenden pro eine Million Einwohner – damit steht das Land relativ schlecht da. Länder wie Spanien sind mit 47 Spenden pro eine Million Einwohner anders aufgestellt. Ein Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung könnte das ändern, so eine neue Studie des Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo). Die Forscher untersuchten die Auswirkungen einer solchen Regelung in Wales. Seit Einführung der Widerspruchsregelung 2015 stiegen dort die Organspenden um 34 Prozent. Das Prinzip: Jeder gilt automatisch als Spender, solange er oder sie nicht aktiv widerspricht. „Eine vergleichbare Steigerung der Spenderrate wäre bei einem Wechsel auf die Widerspruchslösung auch in Deutschland möglich“, erklärte Ifo-Forscherin Selina Schulze Spüntrup. Deutschland und Wales seien in vielen Punkten vergleichbar.
Die Daten stützen die Argumente einer erneuten Gesetzesinitiative zum Regelungswechsel. Nach dem Scheitern eines ähnlichen Vorstoßes im Jahr 2020 starteten Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen einen neuen Anlauf. Anfang Dezember wurde der Gesetzentwurf für eine „Widerspruchsregelung bei der Organspende“ in einer hitzigen Bundestagsdebatte diskutiert. Die Stimmung war emotional und die Meinungen gespalten. Der neue Entwurf sieht vor, dass künftig jeder Mensch als potenzieller Organspender gilt, sofern kein Widerspruch vorliegt. Ein zentrales Register soll sicherstellen, dass der Wille jedes Einzelnen klar dokumentiert ist. Angehörige könnten sich zwar äußern, hätten aber keine Entscheidungsgewalt, wenn der oder die Betroffene keinen Widerspruch eingetragen hat. Das Ziel: Jeder soll sich zumindest einmal im Leben mit dem Thema auseinandersetzen. Dafür soll Zeit bleiben – der Vorschlag sieht eine Einführung erst 2027 vor, um eine umfassende Aufklärung sicherzustellen.
Die Widerspruchslösung für Organspenden stößt auf Widerstand im Bundestag
Der Gesetzentwurf stieß jedoch auf Widerstand. Kritiker und Kritikerinnen fürchten, dass die Widerspruchslösung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger führen könnte. Kristine Lütke (FDP) warnte: „Vergessen wird oft, dass die Entscheidung des Staates – jeder ist nun erst einmal Organspender – die Grundrechte der Einzelnen zutiefst berührt.“ Eine Neuregelung der Organspenden sei daher „ultima ratio“ und müsse gut durchdacht sein.
Auch Kirsten Kappert-Gonther zeigt sich skeptisch. Für sie ist die Widerspruchslösung schlichtweg eine „Scheinlösung“, wie die Grünen-Abgeordnete erklärte. „Es gibt keine validen Daten, die einen Zusammenhang von Widerspruchslösung und Organspendezahlen belegen“, betonte sie. Stattdessen sollten bestehende Gesetze aus der letzten Legislaturperiode ihre Wirkung entfalten. Doch laut Ifo-Studie zeigt der Regelungswechsel in Wales ein anderes Bild: Er war nicht nur effektiv, sondern auch kostengünstig. Das Institut hebt hervor, dass die Vorteile für das Gesundheitssystem deutlich sichtbar seien – auch wenn zusätzliche Maßnahmen notwendig sein könnten, um die Spenderzahlen weiter zu erhöhen.
Die Widerspruchslösung würde weiter die Wahlfreiheit lassen
Für die Befürworter der Widerspruchslösung ist die Dringlichkeit klar. Ein Weiter-so sei keine Option mehr, denn die derzeitige Entscheidungslösung sei eklatant gescheitert, heißt es in ihren Reihen. Sabine Dittmar, die SPD-Abgeordnete ist Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium von Karl Lauterbach, sagte: „Täglich sterben bis zu drei Menschen, die vergeblich auf ein Spenderorgan warten.“ Niemand werde gezwungen, Organspender zu sein – man müsse nur widersprechen, wenn man nicht spenden wolle. Für Dittmar überwiegen die Vorteile: „Es gibt ein Recht auf Schweigen und Nichtbefassung, aber es gibt auch ein Recht auf Leben. Und in Abwägung dieser beiden Schutzrechte sage ich in aller Klarheit: Das Recht auf Leben hat für mich einen höheren Stellenwert als das Recht, sich nicht mit dem Thema Organspende befassen zu müssen.“
Die Bundesärztekammer unterstützt den Entwurf. „Diese Regelung kann zu einem echten Mentalitätswandel in der Bevölkerung beitragen und so die Diskrepanz zwischen der hohen Spendebereitschaft und den tatsächlich niedrigen Spenderzahlen verringern“, sagte Präsident Klaus Reinhardt. Er stellte klar: „Dabei bleibt die individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger gewahrt – ein entscheidender Faktor für die breite Akzeptanz der Widerspruchslösung.“
Der Gesetzentwurf zur Einführung der Widerspruchslösung wurde an den Gesundheitsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen. Ob es vor den nächsten Neuwahlen zu einer Entscheidung kommt, ist noch offen.
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