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Regierungserklärung: Regierungserklärung von Merz: Schluss mit Work-Life-Balance

Regierungserklärung

Regierungserklärung von Merz: Schluss mit Work-Life-Balance

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    Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag.
    Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Als sie im November 2005 vor dem Bundestag ihre erste Regierungserklärung abhält, benötigt Angela Merkel rund 90 Minuten. „Mehr Freiheit wagen“, ist einer der Leitsätze der CDU-Politikerin, die beim Volk hängen bleiben. „Wir werden neue Wege einschlagen“, verspricht ihr Nachfolger Olaf Scholz bei seiner Bundestags-Premiere als Kanzler im Dezember 2021. Der SPD-Politiker erreicht damals eine ähnlich lange Redezeit wie Merkel. Am Mittwoch ist es an Kanzler Friedrich Merz, seine erste Regierungserklärung unter der Reichstagskuppel abzuhalten. Der CDU-Vorsitzende kommt mit rund 30 Minuten weniger aus. Seine gut einstündige Ansprache nutzt er, um den Bürgerinnen und Bürgern Zuversicht einzuflößen: „Unser Land hat alle Stärken und alle Fähigkeiten, um wieder nach vorne zu kommen.“

    69 Jahre ist der zehnte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland alt, mit dem Vater von drei Kindern kann sich der Nachwuchs im Land das mit der Work-Life-Balance erst mal abschminken. Er wende sich, erklärt der Sauerländer, „ganz besonders an die junge Generation: Die neue Bunderegierung wird mit aller Kraft daran arbeiten, dass wir einen neuen Generationenvertrag verwirklichen.“ Die Regierung habe dabei „Eure Chancen“ im Blick: „Aber ich bitte Euch auch: Helft mit, denn die Zukunft gehört Euch, und dafür wollen wir gemeinsam arbeiten.“

    Kanzler Merz fordert Schweiß und Tränen ein

    Am Abend zuvor hatte Merz Alt wie Jung schon mal darauf eingestimmt, was er gerne von ihnen hätte. Mehr Schweiß und Tränen fordert er auf dem CDU-Wirtschaftstag. So wie es Winston Churchill einst von den Briten verlangte. Aber da war Krieg. Im Vergleich dazu sind die Entbehrungen klein, die der deutsche Bundeskanzler heute anmahnt.

    „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, ruft er in riesigen dunklen Saal des Berliner Marriott Hotels nahe dem Potsdamer Platz. 4000 Unternehmer und Lobbyisten haben sich versammelt. Wenn sich Merz die Leute malen könnte, wären sie so wie diese 4.000. Konservativ, leistungsbewusst und risikobereit. „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, legt er in seiner Rede nach. Empfangen wurde er im Hotel wie ein Boxer auf dem Weg zum Ring. Laute Musik hämmert aus den Lautsprechern, der Saal steht und klatscht. In seiner Rede gibt der Kanzler eine Orientierung, wie viel länger die Beschäftigten anpacken sollen. Die 40-Stunden-Woche soll in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen werden. Ob das genügt gegen den Furor von Donald Trumps Wirtschaftspolitik und die Arbeitswut der Asiaten? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte eine Agenda 2030 versprochen, angelehnt an die tiefgreifende Sozialreform (Agenda 2010) von Altkanzler Gerhard Schröder.

    Der Wirtschaftstag wird vom CDU-Wirtschaftsrat ausgerichtet, eines parteinahen Unternehmerverbandes. Anzug, Krawatte und Einstecktuch sind dort noch Normalität, so wie es früher die 40-Stunden-Woche gewesen ist.

    Der Wirtschaftsrat ist Merz‘ Schutzburg

    Der Wirtschaftsrat ist Merz‘ Schutzburg in seiner Partei. Im Jahr 2019 wurde er zum Vizepräsidenten gewählt und arbeitete an seinem politischen Comeback. Sein erster Anlauf, CDU-Chef zu werden, war da bereits gescheitert. Ausgestattet mit dem Titel Vizepräsident stichelte er gegen die in seinen Augen schlaff gewordene Union unter Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel.

    Nach dem ersten Rückschlag sollten auf dem Weg zur Kanzlerschaft noch einige Tief- und Rückschläge folgen. Den letzten musste Merz vergangene Woche einstecken, als ihn im ersten Wahlgang die eigene Koalition hängen ließ und er durchfiel. Auf der Tribüne des Reichstagsgebäudes sitzen seine Frau Charlotte sowie seine beiden Töchter, als die Bundestagspräsidentin das Ergebnis der Abstimmung verkündet. „Der Abgeordnete Friedrich Merz hat die erforderliche Mehrheit von mindestens 316 Stimmen nicht erreicht“, erklärt Julia Klöckner (CDU). Nicht „der CDU-Vorsitzende“ oder sonst eine schöne Amtsbezeichnung, sondern „der Abgeordnete“. Die Schmach ist groß.

    AfD-Chefin Weidel bezeichnet Merz genüsslich als „Kanzler der zweiten Wahl“

    Die Opposition bohrt am Mittwoch im Bundestag noch genüsslich und tief in dieser Wunde. „Sie sind der Kanzler der zweiten Wahl, und diesen Makel werden Sie nicht mehr los“, meint die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, die als erste auf die Regierungserklärung von Merz reagieren darf. Für die Grünen erklärt deren Fraktionschefin Katharina Dröge, die Niederlage sei keine Kleinigkeit. „Es ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, sagt sie und ergänzt: Die „bittere Nachricht an das Land“ sei, dass „diese Koalition Ihnen das Vertrauen erst einmal nicht ausgesprochen hat.“

    Die historische Schlappe lastet auf Merz, den richtigen Umgang damit muss er wohl erst noch finden. Am Montag hat er einen Termin nachgeholt, der wegen des notwendig gewordenen zweiten Wahlgangs zunächst gestrichen werden musste: Die Amtsübergabe im Bundespresseamt. „In Rom hat‘s vier Durchgänge gebraucht, in Berlin zwei“, sagt Merz da. Der Vergleich mit der Papstwahl soll komisch sein, so richtig zündet der Witz aber nicht. Die Anwesenden mühen sich zum Lächeln. Und überhaupt: Ob der Vergleich seines Jobs mit dem des Papstes tatsächliche der richtige Umgang mit der Niederlage ist?

    Andere gehen sanfter mit ihm um. „Dieser Neustart ist kein Zufall. Dieser Neustart ist das Ergebnis von Hartnäckigkeit“, begrüßte die Präsidentin des Wirtschaftsrates, Astrid Hamker, ihren Stargast. „Willkommen zu Hause.“ Der Wirtschaftsrat verleiht einmal im Jahr den Ludwig-Erhard-Preis für herausragende Leistungen. Dieses Mal hat ihn der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotaki bekommen, wie Merz ein Konservativer. Nach einem Jahrzehnt schwerster Zumutungen gibt es in Griechenland Wachstum und solide Haushalte. Was wurden die Hellenen in Deutschland während der Finanzkrise nicht als faule Südländer verdächtigt, die sorglos am Strand liegen. Heute stellt sich die Frage, ob die Deutschen nicht zu sorglos sind.

    Merz sieht das offenbar so. Er betont in seiner Regierungserklärung erneut, dass Schwarz-Rot für „einen Politikwechsel“ stehe. „Und ein solcher Politikwechsel setzt ein Umdenken und neue Prioritäten an vielen Stellen voraus“, sagt er. 

    Jörg Dittrich, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), freut sich über den „Klartext vom neuen Bundeskanzler“. Die erste Regierungserklärung von Friedrich Merz mache deutlich, dass der politische Stillstand vorbei sein solle, sagt der Dachdeckermeister und Mittelständler. Was der Kanzler ankündige, klinge nach Aufbruch mit Ansage: „Tatkräftig, konkret, unbequemer als bisher“. Besonders bemerkenswert sei, sagt der Dresdner, der neue Ton gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. „Der Versuch zu Ampel-Zeiten, tiefgreifende Veränderungen als folgenlos zu verkaufen, hat offenbar ein Ende. Stattdessen die überfällige Ehrlichkeit, dass es angesichts des Ernstes der Lage ohne Zumutungen nicht gehen wird.“

    Merz bekommt auch Lob für seine Ansagen

    Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa lobt den Merz’schen Blick auf die Herausforderungen der alternden Gesellschaft. „Der demographische Wandel ist ein Stresstest für unsere Demokratie: es geht um unsere sozialen Sicherungssysteme, um unsere soziale Infrastruktur, um das Miteinander der Generationen im Alltag“, sagt sie und macht gleichzeitig Druck. „Notwendige Reformschritte dürfen nicht mit Verweis auf eine große Reform aufgeschoben werden.“

    Aber um diese Schritte zu gehen, braucht Merz Geld, und das kann regelkonform nur mit einem gültigen Bundeshaushalt fließen. Zwei Etats muss seine Regierung beschließen, den für 2025 soll es möglichst noch vor der Sommerpause geben. Zumindest in den Grundzügen. „Uns stehen Mittel zur Verfügung, die über neue Schulden finanziert werden können“, sagt der CDU-Vorsitzende in seiner Regierungserklärung mit Blick auf die umstrittene Lockerung der Schuldenbremse und ergänzt: „Lassen Sie mich dazu ein offenes Wort sagen: Wir müssen mit diesen Möglichkeiten äußerst behutsam und vorsichtig umgehen, diese Schulden lösen Zinszahlungen aus und müssen auch wieder zurückgezahlt werden.“

    Ob die SPD darunter die gleichen Ausgaben versteht, wie CDU und CSU, wird sich noch weisen. Die Sozialdemokraten applaudieren allenfalls freundlich, von Begeisterung kann keine Rede sein. Nicht einmal, als Merz seinem Vorgänger pflichtschuldigst Dank ausspricht. „Sie, Herr Kollege Scholz, und Ihre Regierung haben Deutschland durch Zeiten außergewöhnlicher Krisen geführt. Ihre Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war wegweisend und sie war historisch“, lobt Merz. Wie anders klang das, als der damalige Oppositionsführer mit Scholz die Klingen kreuzte. Sätze der Abrechnung wurden mit „Herr Bundeskanzler“, eingeleitet, um dem Angesprochenen die eigene Unzulänglichkeit vorzuwerfen. Nun, da Merz den Posten hat, ist jeglicher Feuer aus seiner Rhetorik gewichen. Er reiht sich ein bei Scholz und Merkel.

    Und wie seine Vorgänger muss er eine Koalition zusammenhalten, die keine Liebesheirat ist. Einen Vorgeschmack auf das, was da noch kommen kann, hat allerdings kurz zuvor bei einer Regierungsbefragung sein neuer Finanzminister Lars Klingbeil geliefert. Der SPD-Politiker spricht sich dafür aus, dass auch Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollen. „Ich fände, das wäre ein richtiger Schritt, aber ich will das an dieser Stelle ausdrücklich als meine private Meinung markieren“, sagt der Vizekanzler, wohl wissend, dass in seiner herausgehobenen Position eine solche Äußerung gar nicht privat sein kann. Klingbeil springt damit der neuen Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas bei. Seine Parteifreundin hatte vorgeschlagen, Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, und war dafür von CDU und CSU kritisiert worden.

    Merz hat eine Ahnung, dass es nicht einfach wird. „Und wir wollen regieren, um Zusammenhalt zu stiften, wo er uns abhanden zu kommen droht“, sagt er. Das ist ans Volk draußen vor den Türen des Reichstagsgebäudes gerichtet - und gleichzeitig auch Mahnung an die eigenen Leute dahinter.

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    2 Kommentare
    Richard Markl

    Die Überschrift über diesem Artikel ist offensichtlich falsch. Schluss mit Work-Life-Balance (und 4-Tage-Woche) hat er vor dem CDU-Wirtschaftsrat bzw. -tag eingefordert, also vor Unternehmern und Managern, die für sich in Anspruch nehmen, dass sie hart arbeiten, egal ob das stimmt oder nicht. Die fühlten sich also gar nicht persönlich angesprochen, sondern klatschten zustimmend Beifall. Gut, dass er das den anderen mal sagt.... Im Bundestag, also vor dem ganzen Volk, bei der Regierungserklärung hat Merz solche Ansagen nicht gemacht. Da hätte es aber hingehört, genauso wie in den Koalitionsvertrag oder das Wahlprogramm der Union. Überall Fehlanzeige.

    Martin Müller

    Ein Boomer, der einen neuen Generationenvertrag abschließen will, die Zukunft der Jungen im Blick hat, diese mit deren Geldern finanziert und ihnen gleichzeitig erklärt, wie Arbeit zu funktionieren hat. Grandios, die Jungen werden sich in Scharen um den Geronten sammeln um die Republik zu retten.

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