Wer mit dem Hausboot über die Müritz in der Mecklenburgischen Seenplatte schippert, genießt echte Entschleunigung. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat auf dem ruhigen See, dem größten, der vollständig innerhalb Deutschlands liegt, seinen Urlaub verbracht und dabei offenbar viel Zeit gehabt, über die ganz großen Fragen nachzudenken. Über die Zukunft der Rente etwa. Nach seiner Rückkehr in die hektische Hauptstadt Berlin verkündete der SPD-Hoffnungsträger in einem Interview, das Rentenniveau bis ins Jahr 2040 festschreiben zu wollen. Die Forderung schlägt nun derart heftige Wellen, dass in der Großen Koalition einmal mehr Aufruhr herrscht und die Opposition vor Wut schäumt.
FDP-Chef Lindner: "Seriöse Politik sieht anders aus"
FDP-Chef Christian Lindner etwa wirft der gesamten Bundesregierung angesichts des umstrittenen Vorstoßes des SPD-Mannes eine unseriöse Rentenpolitik vor. "Bundesfinanzminister Scholz’ Rentenvorschläge sind abenteuerlich, denn mit keinem Wort sagt er, wie diese zusätzlichen Milliarden bezahlt werden sollen", sagte Lindner unserer Redaktion. "Seriöse Politik sieht anders aus", kritisierte der FDP-Parteichef und mahnte stattdessen ein realistisches Rentenkonzept an.
Die Große Koalition müsse endlich "einen konkreten Plan liefern, wie die Rente zukunftssicher gemacht werden kann", betonte Lindner. "Dazu gehört beispielsweise ein Konzept für den flexiblen Renteneintritt, wie es uns die Skandinavier vormachen", fordert der FDP-Chef. "Außerdem müssen wir die kapitalgedeckte Vorsorge stärken.
Streit um die Rente kommt für viele überraschend
Der neue Streit um die Rente kommt für viele überraschend. In der Großen Koalition schien das heikle Thema schon vor Wochen abgearbeitet zu sein, als Scholz’ Parteifreund, Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, sein Rentenpaket präsentierte. Das sieht vor, dass der Beitragssatz, derzeit 18,6 Prozent, bis 2025 nicht über 20 Prozent steigen, das Rentenniveau im gleichen Zeitraum nicht unter 48 Prozent des Durchschnittsentgelts sinken darf. Scholz will das Rentenniveau nun sogar bis 2040 garantieren – und wenn die Union da nicht mitmache, werde die SPD mit dem Thema eben in den Wahlkampf ziehen.
Die Union reagiert verschnupft. Karl-Josef Laumann (CDU), der Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, sagte unserer Redaktion: "Das Thema Zukunft der Rente muss seriös angegangen werden. Deswegen ist es richtig, dass wir eine Rentenkommission eingesetzt haben. Neben Vertretern der Politik gehören ihr auch die Tarifpartner und Wissenschaftler an."
CDU kritisiert Wahlkampfdrohung
Die Rentenkommission, so Laumann weiter, werde auch prüfen müssen, "wie wir einen Ausgleich zwischen der jungen und der älteren Generation schaffen". Erst wenn die Kommission im Frühjahr 2020 ihren Bericht vorlege "können wir diskutieren, wie wir mit den Ergebnissen politisch umgehen". Zuvor hatte auch ein Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel betont, der Arbeit der Rentenkommission dürfe nicht vorgegriffen werden. Stabile Renten seien aber erklärtes Ziel der Bundesregierung. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer kritisierte die Drohung von Scholz, die Rente zum Wahlkampfthema zu machen, sei "keine angemessene Herangehensweise".
Rückendeckung erhält Scholz erwartungsgemäß aus den eigenen Reihen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sagte unserer Redaktion: "Auch kommende Generationen haben einen Anspruch auf eine sichere Rente. Die SPD ist die einzige Partei, die ein seriöses Rentenkonzept über 2025 hinaus anbietet, das den Erwartungen der Menschen gerecht wird."
Stegner verteidigt die Aussage von Scholz, stabile Renten würden einen "deutschen Trump" verhindern: "Wenn wir den Menschen keine gerechte und gute Zukunftsperspektive anbieten, treiben wir sie in die Arme von Populisten und Demagogen." Gewohnt kämpferisch keilt Stegner in Richtung CDU und CSU: "Eine Rente mit 70, wie es die Union vorsieht, ist mit der SPD nicht zu machen." Zur Frage der Finanzierung schweigt auch Stegner.
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