
Neuer Prozess gegen Kremlgegner Alexej Nawalny: Zur Isolation verdammt

Willkür, Repression, rabiate Sprache: Russlands offizielle Politik radikalisiert sich immer mehr. Das zeigt sich unter anderem am Prozess gegen ihren Kritiker.
Eine Tasse dürfe er dabeihaben, auch eine Zahnbürste. Selbst ein Buch sei in Ordnung in seiner Isolationszelle, lässt Alexej Nawalny, Russlands Polithäftling Nummer eins, seine Anwälte der Öffentlichkeit mitteilen. Die sechs Quadratmeter Raum samt Klappbett sind letztlich dafür da, den Oppositionspolitiker, der gerade seine neunjährige Haftstrafe absitzt, zu schikanieren. Auch mit immer wieder neuen Anklagen. Die neueste: wegen Gründung, Finanzierung und Beteiligung an extremistischen Organisationen, wegen Aufrufs zu Extremismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Bis zu 30 weitere Jahre Haft drohen.
Die Vorwürfe sind in 196 Aktenordnern abgeheftet, fast 4000 Seiten umfasst das Material. Mit dem aber durfte sich der Beschuldigte nicht beschäftigen, da Anklageschriften in Isolationszellen nicht vorgesehen sind. Nach russischer Strafprozessordnung sind auch Gerichtsverhandlungen mitten in einer Strafkolonie nicht vorgesehen. Bei Nawalny wird es dennoch wiederholt gemacht. Auch am Dienstag – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, zur gleichen Zeit, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Russland zur Zahlung von 40.000 Euro an Nawalny verurteilt. Russland, so heißt es in der Begründung, habe nach der Vergiftung Nawalnys im August 2020 unzureichend ermittelt. Doch Urteile des EGMR erkennt Russland nicht mehr an.
Kritiker des Kremls werden zum Schweigen verdammt
Mit Festnahmen, den Verurteilungen und weiteren Gerichtsprozessen hat das System Putin, gegen das Nawalny und sein Team seit Jahren mit ihren Anti-Korruptionsrecherchen und politischen Organisationen (die mittlerweile aufgelöst sind) vorgehen, sein Ziel erreicht: Der redegewandte Nawalny ist aus der Öffentlichkeit verbannt. Da die repressiven Gesetze auch seinen Weggefährten die Hände binden, zumal in Zeiten des Krieges, ist er im politischen Leben kaltgestellt. Kritik am System, Kritik an Wladimir Putin und seinem Kurs werden schnell als Präsidentenbeleidigung gesehen. Ein „Nein zum Krieg“ wird oft zur „Diskreditierung der russischen Armee“ erklärt, jeder, der das Vorgehen Russlands in der Ukraine auch nur infrage stellt, gilt als „Verräter“.
Der offizielle Diskurs radikalisiert sich immer stärker. Da fordert der Parlamentsvorsitzende Wjatscheslaw Wolodin 750 Milliarden Dollar „Kompensation“ von Polen, weil das Land angeblich die „historische Wahrheit verraten“ habe. Schließlich sei es die Sowjetunion gewesen, die Polen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut habe. Alles hätten die Polen „unserem Land“ zu verdanken, erklärt Wolodin, und nun verhielten sie sich „rüpelhaft“. Dmitri Medwedew, der einstige Präsident des Landes, führt seine Vision aus: Am Ende würde der Westen der Ukraine unter den EU-Staaten „aufgeteilt“, der Osten und selbst das Zentrum würden sich für Russland entscheiden. „Andere Varianten gibt es nicht, das hat mittlerweile jeder verstanden“, schreibt Medwedew in seinem Telegram-Kanal.
Auch das russische Außenministerium hat seine Version, wie der „Konflikt in der Ukraine“ beigelegt werden könne. Der Westen solle keine Waffen mehr liefern. „Um einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen, muss die Ukraine zu einem neutralen Blockstatus zurückkehren und die neuen territorialen Realitäten anerkennen“, sagte Vize-Außenminister Michail Galusin und unterstrich damit die Forderungen, die auch Präsident Putin immer wieder äußert. Verhandlungen schließt Moskau derzeit aus.
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