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Serbiens schwierige Balance zwischen Ost und West

Analyse

Serbiens schwierige Balance zwischen Ost und West

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    Der russische Präsident Aleksandar Vučić macht keinen Hehl aus seinem guten Verhältnis zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin.
    Der russische Präsident Aleksandar Vučić macht keinen Hehl aus seinem guten Verhältnis zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Foto: Shamil Zhumatov, picture alliance, Pool Reuters, dpa

    Russland ist wegen des Kriegs gegen die Ukraine international stark isoliert. Doch ausgerechnet der EU-Aspirant Serbien pflegt mit Moskau seit Jahren eine enge wirtschaftliche Partnerschaft. Belgrad verhandelt zwar seit 2014 über einen EU-Beitritt, die Gespräche verlaufen allerdings schleppend. Immer wieder reisen westliche Politiker in das Land von Präsident Aleksandar Vučić. Der hält sich gerne beide Seiten warm. Vučić‘ Politik schwankt zwischen Ost und West. Doch welches Band verbindet Belgrad und Moskau?

    Die Beziehungen zwischen Serbien und Russland basieren auf tief verwurzelten, historischen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Bindungen. Beide Länder gehören zur slawischen Volksgruppe, zudem besteht die Bevölkerungsmehrheit jeweils aus orthodoxen Christen. Ungeachtet der wechselnden politischen Strömungen in der jeweiligen serbischen und russischen Führung unterhielten und unterhalten die beiden Länder traditionell sehr enge Beziehungen, die oft als „brüderlich“ beschrieben wurden.

    Die serbische Journalistin Anastasija Bogdanovic hat im Rahmen des Austauschprogramms der Internationalen Journalistenprogramme sieben Wochen bei der „Augsburger Allgemeine“ hospitiert. Sie wirft einen Blick auf die Beziehungen zwischen Serbien und Russland, die sich stark von der europäischen Perspektive unterscheiden.
    Die serbische Journalistin Anastasija Bogdanovic hat im Rahmen des Austauschprogramms der Internationalen Journalistenprogramme sieben Wochen bei der „Augsburger Allgemeine“ hospitiert. Sie wirft einen Blick auf die Beziehungen zwischen Serbien und Russland, die sich stark von der europäischen Perspektive unterscheiden. Foto: Bernhard Weizenegger

    Aufgrund seiner geostrategischen Lage war Serbien im Laufe der Geschichte stets ein Feld für Machtspiele verschiedener Großmächte – und ist es bis heute geblieben. Im Ringen um machtpolitische Einflusssphären wird das Land sowohl von Russland und China als auch vom Westen umworben.  

    Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Serbien und Russland ist breitgefächert

    Die Zusammenarbeit zwischen Serbien und Russland ist durch zahlreiche Abkommen und Erklärungen geprägt. 2008 unterzeichneten die beiden Länder eine strategische Partnerschaft im Energiebereich. In den folgenden Jahren wurden zudem viele weitere bilaterale Dokumente und Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Energie, Landwirtschaft oder Kultur ausgearbeitet. Eines der bedeutendsten Dokumente ist die Erklärung zur strategischen Partnerschaft zwischen Serbien und Russland. Bereits im Jahr 2000 wurde ein Freihandelsabkommen zwischen Serbien und Russland unterzeichnet, 2019 folgte ein Abkommen mit der russisch dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Dieser Schritt stieß in der Europäischen Union auf wenig Begeisterung. Brüssel fordert, dass Serbien im Falle eines EU-Beitritts „aus allen bilateralen Freihandelsabkommen austreten“ müsse.

    Nach Angaben des Statistikinstituts der Republik verzeichnet Serbien jedoch den größten Handelsaustausch mit den Ländern, mit denen es Freihandelsabkommen unterzeichnet hat. Im vergangenen Jahr importierte Serbien aus Russland Waren im Wert von rund 1,73 Milliarden US-Dollar, wovon allein 1,2 Milliarden US-Dollar auf Kraftstoffe, Öle und Destillationsprodukte entfielen. Dragana Trifković, Generaldirektorin des Zentrums für geostrategische Studien, sagt: „Die größte Zusammenarbeit findet im Energiebereich statt. Auch wenn der Import von russischem Öl aufgrund der Unterbrechung der Transportleitungen ausgesetzt wurde, wird Serbien immer noch mit russischem Erdgas versorgt, es erhält Energie zum Vorzugspreis.“

    Der Westen besteht auf Diversifizierung der Energieversorgung des Landes

    Da der Gasvertrag jedoch im März ausläuft, werden Verhandlungen über die weiteren Bedingungen für die Zusammenarbeit geführt. Der Westen besteht auf Diversifizierung der Energieversorgung Serbiens. Der Druck auf die serbische Führung, sich an die EU anzupassen, wächst. So wurde im Dezember vergangenen Jahres die Gasverbindungsleitung Serbien-Bulgarien in Betrieb genommen, die die Diversifizierung der Primärenergie in Serbien und der Region erhöht.

    Und noch etwas hat sich verändert: Deutschland übernahm nach Angaben des Statistikinstituts der Republik Serbien im ersten Quartal dieses Jahres die Führungsposition als wichtigster Außenhandelspartner.

    Auch im Umgang mit der Ukraine gib es Unterschiede zwischen Serbien und Europa. Seit Ausbruch des Krieges unterstützt Serbien zwar offiziell die territoriale Integrität der Ukraine, weigert sich jedoch, sich den von den westlichen Verbündeten gegen Russland verhängten Sanktionen anzuschließen. Während eines Treffens mit Wladimir Putin betonte der stellvertretende Ministerpräsident Serbiens, Aleksandar Vulin, dass „Serbien ein Verbündeter Russlands ist und niemals Sanktionen gegen Russland verhängen, noch Mitglied der Nato werden“ würde.

    Doch es gibt auch andere Signale. So erklärt der Professor für Geopolitik Srđan Perišić: „Der Druck, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, hat nachgelassen, weil Belgrad auch das Niveau der Beziehungen und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland reduziert hat.“ Obwohl Serbien keine Sanktionen gegen Russland verhängt habe, sei die Zusammenarbeit in der Praxis auf ein Minimum reduziert worden. „Dass die politischen Beziehungen sich abgekühlt haben, geht auf den Willen Belgrads zurück“, sagt der Experte. „Der serbische Präsident Vučić erklärt öffentlich, dass er seit zweieinhalb Jahren nicht mehr mit dem russischen Präsidenten Putin gesprochen habe. Es ist ganz klar, dass Belgrad sich von Russland distanziert, und zwar Schritt für Schritt, um die überwiegend prorussische öffentliche Meinung in Serbien nicht zu verärgern“, erklärt Perišić.

    Serbien will traditionelle Beziehungen zu Russland nicht gefährden

    Die offizielle Politik Serbiens besteht darin, auf dem europäischen Weg zu bleiben, Vollmitglied der EU zu werden, aber gleichzeitig die Beziehungen zu anderen Ländern aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Der größte „Stolperstein“ in den Beziehungen zwischen Serbien und dem Westen ist die Kosovo-Frage. In diesem Zusammenhang gelten Russland und China als diejenigen unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates, die die serbischen Interessen in dem Gremium entschieden vertreten.

    Neuralgischer Punkt: Zwei Polizisten aus dem Kosovo stehen am geschlossenen Grenzübergang zwischen dem Kosovo und Serbien.
    Neuralgischer Punkt: Zwei Polizisten aus dem Kosovo stehen am geschlossenen Grenzübergang zwischen dem Kosovo und Serbien. Foto: Visar Kryeziu, picture alliance, AP, dpa

    Wie Dragana Trifković betont, „sind die Positionen des Westens und Russlands in der Kosovo-Frage ganz klar und diametral entgegengesetzt“. Der Westen unternehme Anstrengungen, das Kosovo-Problem auf Umwegen außerhalb des Rahmens des Völkerrechts und im Einklang mit seinen eigenen geopolitischen Interessen zu lösen. „Russland hingegen vertritt entschieden die Positionen der Verteidigung des Völkerrechts (Resolution 1244) und unterstützt damit die territoriale Integrität Serbiens. Der Westen lässt sich von der Vorstellung leiten, dass er ein so wichtiges Problem allein lösen kann, ohne eine Vereinbarung mit anderen Großmächten, was unter den gegenwärtigen geopolitischen Umständen unmöglich zu sein scheint.“

    Serbien ist entschlossen, eine Unabhängigkeit des Kosovo niemals anzuerkennen

    Serbien ist ohne Zweifel fest entschlossen, die Unabhängigkeit des Kosovo niemals anzuerkennen, während das Ziel des Westens, vor allem der EU, die Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina und der vollständige Beitritt beider Seiten zur EU ist. Doch diese Linie würde es automatisch mit sich bringen, dass Serbien eben doch zur Anerkennung des Kosovo gezwungen ist. Präsident Vučić sagte letztes Jahr, dass „es nur eine Frage der Zeit ist, wann Serbien aufgefordert werde, das Kosovo de facto oder de jure anzuerkennen“. Der Staatschef fügte hinzu, dass sein Land seinen internationalen Verpflichtungen selbstverständlich nachkomme, aber dass die Regierung „nicht Dinge tun kann, die gegen die Verfassung des Landes verstoßen“ würden.

    Im Jahr 2010 wurden die serbischen Verhandlungen über den Kosovo von den Vereinten Nationen (UN) unter die Schirmherrschaft der Europäischen Union verlagert, was die Position Russlands in dieser Frage schwächte. Im Brüsseler Abkommen (2013) wurde festgelegt, dass Pristina einen Gemeindeverband mit serbischer Mehrheit gründen muss, was bisher noch nicht geschehen ist. Die Situation wird aus Sicht Belgrads durch die Abschaffung serbischer Einrichtungen im Kosovo, die Vertreibung und Verhaftung von Serben durch nicht von Serbien anerkannter kosovarische Sicherheitskräfte und provisorische Einrichtungen in Pristina noch komplizierter.

    Angesichts dieser verfahrenen Situation stellt Dragana Trifković weiter fest: „Wir sollten keine Änderung in der Haltung des Westens gegenüber dem Balkan erwarten, wo Kosovo eines der beiden wichtigsten geopolitischen Projekte ist.“ Wenn man über konkrete Reaktionen spreche, werde der Westen die Situation vor Ort weiterhin an seine Bedürfnisse anpassen, während Russland weiterhin auf dem Völkerrecht beharren werde, was zu einer weiteren Distanzierung der Positionen des Westens und Russlands hinsichtlich der Lösung führen müsse. Der Zeitfaktor liege in diesem Fall jedoch nicht auf der Seite des Westens. „Wir möchten daran erinnern, dass wir wiederholt Aussagen russischer Beamter vernommen haben, dass die Kosovo-Frage nach dem Ende des Konflikts in der Ukraine im Einklang mit dem Völkerrecht gelöst wird“, fügt Trifković hinzu. Auch im Jahr 2015 legte Russland sein Veto ein und blockierte die Verabschiedung der Resolution des UN-Sicherheitsrates, in der die Ereignisse in Srebrenica 1995 verurteilt und als Völkermord bezeichnet wurden. Eine ähnliche Resolution wurde jedoch in diesem Jahr von Großbritannien, den USA und der Europäischen Union unterstützt.

    Der Chef der serbischen Diplomatie, Ivica Dacic (heute Innenminister), betonte nach dem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, dass „die Beziehungen zwischen den beiden Ländern trotz zahlreicher Herausforderungen auf einem hohen Niveau sind“. Er fügte hinzu, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf einem sehr hohen Maß an gegenseitigem Vertrauen und persönlichen Beziehungen zwischen Präsident Aleksandar Vučić und Wladimir Putin „basieren“.

    Geht der Weg Serbiens in Richtung EU-Mitgliedschaft? Derzeit überwiegen die Zweifel. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić.
    Geht der Weg Serbiens in Richtung EU-Mitgliedschaft? Derzeit überwiegen die Zweifel. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Foto: Soeren Stache, dpa

    Die Analyse der bisherigen Zusammenarbeit lässt den Schluss zu, dass die Beziehungen zwischen Serbien und Russland nicht oder zumindest nicht im gleichen Ausmaß an Bedingungen geknüpft sind wie die Beziehungen zur Europäischen Union. Serbien und Russland handeln hauptsächlich im Energiebereich. Die beiden Länder pflegen eine sehr enge diplomatische Zusammenarbeit, insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen. Außerdem unterstützt Russland den europäischen Integrationsprozess Serbiens. Die Energiekrise, die Verschärfung der Sicherheitslage in der Welt und die wachsende Spaltung lassen die Frage offen, wie lange Serbien noch in der Lage sein wird, das Gleichgewicht zwischen Ost und West zu erhalten. Die serbische Regierung wird abwägen müssen, ob eine Vollmitgliedschaft in der EU bei gleichzeitiger Wahrung der guten Beziehungen zu Russland und China denkbar ist. Am Ende wird die Entscheidung stehen, welcher Weg mit Blick auf die Wahrung nationaler serbischer Interessen sinnvoll ist.

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