Eine Doppelspitze hatte die SPD schon, als Themen wie Gendern und Gleichberechtigung noch nicht massentauglich waren. Im Jahr 1875 war sie das Ergebnis der Zusammenlegung von ADAV und SDAP zur SAP, der späteren Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 2019 wählten die Mitglieder nach einem langen Auswahlverfahren mit vielen Kandidatinnen und Kandidaten wieder eine Doppelspitze: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wurden die neuen SPD-Vorsitzenden. Zwei Jahre später trat „NoWaBo“ nicht wieder an. Für ihn wählte die Partei Lars Klingbeil. Esken blieb. Der Ärger auch.
Die heute 63-Jährige stand die ganzen Jahre wegen ihrer teils harschen Art in der Kritik. Die kumuliert sich in diesen Tagen und Wochen, in denen die SPD Koalitionspartner der Union werden möchte und es um Posten und Pöstchen, um Einfluss und Macht geht. Einer der ersten, der Eskens Rückzug aus der Parteispitze forderte, war Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Andere folgten. Zum Beispiel der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung. „Für die Genossin Esken sehe ich eigentlich keine weiteren Aufgaben in der Parteiführung, die letztlich für die SPD auch Fortschritt und Mehrwert bringen könnte“, sagte er dem Tagesspiegel. Jung plädierte wie Reiter dafür, dass Co-Parteichef Lars Klingbeil künftig allein an der Spitze der Sozialdemokraten stehen solle.
Kritik an Saskia Esken: Selbst Franziska Giffey meldet sich zu Wort
Nun tritt man wohl Jung nicht zu nahe, wenn man ihn eher in die zweite Reihe der SPD-Prominenz einordnet. Reiter mag bekannter sei, ihm geht aber Eskens Art offenbar ohnehin schon lange auf die Nerven. So kritisierte er beispielsweise ihre „skurrilen Auftritte“ in Talkshows.
In die Kategorie „Nachtreten und Abrechnen“ können auch die Äußerungen der Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey einsortiert werden. „Ich denke, dass die SPD mit der Kabinettsbesetzung neben Erfahrung und Expertise auch ein Zeichen des Neubeginns setzen sollte“, sagte die SPD-Politikerin der Rheinischen Post und ergänzte: „Alles andere wäre in der Bevölkerung nach der historischen Wahlschlappe nicht erklärbar.“ Giffey hatte bei der Abgeordnetenhauswahl 2023 als Regierende Bürgermeisterin das schlechteste Berliner SPD-Ergebnis überhaupt eingefahren. Sie trat danach nicht zurück, sondern in eine Koalition unter CDU-Führung ein. Womöglich will Giffey zurück in die Bundespolitik. 2018 wurde sie überraschend Familienminister, nachdem sie die heutige Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) um den ihr versprochenen Job als Justizministerin gebracht hatte.
SPD-Frauen stehen hinter Saskia Esken
Die in Stuttgart geborene Esken weiß, dass ihr Stuhl wackelt. Nach dem schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl und einem für sie persönlich miserablen Ergebnis von nicht einmal 13 Prozent im Wahlkreis Calw schloss sie einen vorzeitigen Rücktritt nicht aus. „Ich kann auch so was nicht ausschließen, weil solche Gespräche ja immer wieder stattfinden“, sagte sie dem Nachrichtensender ntv.
Zum Schwur kommt es im Juni. Auf dem SPD-Parteitag wird eine neue Parteispitze gewählt und es ist offen, ob Esken im Amt bleibt. Die Arbeitsgemeinschaft der SPD-Frauen beispielsweise hat sie hinter sich. Deren Mitglieder kritisieren, dass die Fehler der Vergangenheit nicht Esken allein angelastet werden dürften.
Aus der Parteizentrale wird aufs Formale verweisen. Bevor sich die SPD eine Doppelspitze wählen konnte, musste sie zunächst die Satzung ändern. Es ging bewusst darum, einen Mann und eine Frau in den Vorsitz zu wählen. Eine erneute Satzungsänderung wäre denkbar. Eine Rückkehr zur Einzelspitze in Zeiten von Gender-Regeln und Gleichberechtigung eher nicht.
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