Bis vor kurzem lehrte Sahra Wagenknecht der politischen Konkurrenz das Fürchten. Die nach ihr benannte Partei schickte sich an, die erfolgreichste politische Neugründung in der Geschichte der Bundesrepublik zu werden. Doch am Wahlabend am 23. Februar könnte dieser Aufstieg jäh enden und direkt in den tiefen Fall kippen. Womöglich ist das Bündnis Sahra Wagenknecht dann schon gewesen. Auch das wäre ein Novum. „Die Wahl ist natürlich auch die Entscheidung über meine politische Zukunft“, sagte Wagenknecht vor wenigen Tagen. In der verklausulierten Sprache der Politik klingt das nach Rücktritt, nach dem Hinwerfen der Brocken.
Bundestagswahl 2025: Sahra Wagenknecht muss härter kämpfen, als es ihr lieb ist
In den letzten Umfragen schwankt die Partei um die entscheidende 5-Prozent-Marke. Was wird aus dem Bündnis, das den Namen der Chefin trägt, wenn die Chefin von Bord geht? In den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg blieben drei Fraktionen übrig, deren Leitstern erloschen wäre. Gleiches gilt für Stadt- und Gemeinderäte überall in Deutschland. Ein Name als Programm und Inhalt – so radikal hat das noch niemand im bundesdeutschen Parteiensystem durchgezogen. „Ich bin zuversichtlich“, antwortet Wagenknecht in diesen Schicksalstagen stets auf die Frage, ob es am Ende reicht.
Die 55-Jährige muss härter kämpfen, als es ihr lieb ist. Wie die Spitzenkandidaten der anderen Parteien reist sie rastlos durch die Republik. Wuppertal, Erfurt, Kassel, Hannover, Bielefeld. Sie schiebt Interviews dazwischen und eilt zurück nach Berlin, um bei Fernsehdebatten dabei zu sein. Wahlkampf ist Abnutzung. Für Friedrich Merz steigt von Zeit zu Zeit auch Markus Söder in den Ring, Olaf Scholz hat seine Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil, Robert Habeck wird von Annalena Baerbock unterstützt. Aber bei Wagenknecht gibt es nur Wagenknecht.
Sahra Wagenknechts Kostüme wirken manchmal wie eine Rüstung
Es geht dem BSW wie der FDP, die auch nur Christian Lindner hat (und manchmal Wolfgang Kubicki). Lindners Karriere könnte ebenfalls am 23. Februar enden. Wagenknecht und der FDP-Chef sind begabte Politiker, haben aber ein schwerwiegendes Problem: Ihr Kernthema spielt nur am Rande der Debatte. Was bei den Liberalen die Wirtschaft ist, ist bei Wagenknecht der Ukrainekrieg. Seit der Messertat von Aschaffenburg, Terror in München und der Abstimmung im Bundestag mit den Stimmen der AfD redet Deutschland über Migration. Lindner ist genervt von seinem Freund Merz, weil er die Asylpolitik noch größer gemacht hat, als sie ohnehin ist. Wagenknecht und Merz verbinden keine freundschaftlichen Gefühle, ganz im Gegenteil. Doch unter der Dominanz der Zuwanderungs-Debatte und der Aufregung um Mehrheiten mit der AfD leidet auch das BSW.
Ein Wahlkampfabend im Dresden. Sahra Wagenknecht steht in ihrer Rüstung – ein rotes Kostüm – hinter dem Pult auf der Bühne. Die Rüstung reicht nicht mehr, mehrere Personenschützer der Polizei schauen grimmig in das Publikum in der Messehalle. Bevor sie die Bühne betreten hat, spielte ein Liedermacher und seine Band. Der Sänger übersetzt russische Texte ins Deutsche und schreibt die Musik dazu. Ein Stück heißt „Lied vom Frieden“. Genau auf diese Ouvertüre setzt Wagenknecht auf. „Es ist unglaublich, wie diese Frage im Wahlkampf an die Wand gedrängt wurde“, beklagt die BSW-Vorsitzende in ihrer Rede. Es geht natürlich um die Frage nach Krieg und Frieden, um Waffenlieferungen an die Ukraine, Sanktionen gegen Russland und die Rolle der Amerikaner. Im Osten ist ihr dafür Beifall sicher. Mehrere Hundert Leute sind „zur Sahra“ gekommen, wie sie sagen. Die bereitgestellten Stühle reichen nicht, im hinteren Teil der Halle muss das Publikum stehen. Es ist gemischt, wobei die Älteren überwiegen.
Die meisten sind Fans, ein kleinerer Teil will sich wenige Tage vor der Wahl sein Bild machen. Wagenknecht redet frei. Das kann sie. Ihre Arme fahren vor ihrem Körper auf und nieder. Sie wendet sich mal der einen Seite des Saales zu, schwenkt dann zurück in die Mitte, um dann zur anderen Seite zu sprechen. „Wir müssen alles tun, um den Ukraine-Krieg zu beenden.“
Ginge es bei der Bundestagswahl nur um die Stimmen im Osten, wäre das BSW gerettet
Ihre Position dazu hat sich nicht geändert. Bei den Landtagswahlen im Osten war sie damit noch erfolgreich. Wagenknecht fordert einen Stopp der Waffenhilfe für Kiew, ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegen den Kreml und diplomatische Anstrengungen für eine Waffenruhe. Sie warnt vor der Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland und einer Ausweitung des Krieges zum Dritten Weltkrieg. „Ohne Frieden ist alles nichts“, mahnt die BSW-Gründerin die Dresdner. Würden nur die Ostdeutschen entscheiden, zöge das Bündnis locker in den Bundestag ein.
Um mehr Wähler im Westen zu überzeugen, bedient Wagenknecht ihre neue Mischung aus konservativen und linken Positionen. Die straffe Begrenzung der Zuwanderung geht bei ihr einher mit einem Mietendeckel, der Anhebung der Renten und Milliarden für das unterfinanzierte Gesundheitssystem. Prasselnde Kritik geht auf den Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck und seine Energiepolitik nieder („Pleitegesicht“ statt Zuversicht), CDU-Chef Friedrich Merz wird als Taurus-Merz betitelt, weil er der Ukraine die gleichnamigen Raketen schicken will. In ihrer Rede sagt Wagenknecht oft „sie“ und „die“ und meint damit die Chefs der zerbrochenen Ampel-Koalition Scholz, Merz und Lindner.
Als sie fertig ist, stehen die Leute von ihren Sitzen auf und applaudieren begeistert. Wagenknecht muss gleich weiter und entschuldigt sich dafür, dass sie keine Zeit für Selfies hat. Eine Fernsehrunde ruft sie nach Berlin. In der Straßenbahn zurück zur Dresdner Innenstadt sprechen zwei ältere Damen über den Auftritt. „Wagenknecht ist schon gut. Aber hast Du drei Silberlocken von der Linken gesehen? Die machen eine Werbung, toll. Die stürmen jetzt hoch.“ Während die Umfragen für das BSW und die anderen Parteien wie festgebacken sind, hat sich ausgerechnet Wagenknechts alte Partei berappelt. Die Linke hat derzeit das Momentum, das ihrer früheren Frontfrau fehlt. Einen Weg zurück gibt es nicht. Immerhin hat Sahra Wagenknecht schon ihr Kommen zum politischen Aschermittwoch in Bayern angekündigt. Der steht Anfang März im Kalender.

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