Von Schwabing aus kann Franziska Brantner die Alpen sehen. Aus der Küche ihres Gastgebers tritt sie hinaus auf die Terrasse und schaut auf das Panorama der schneebedeckten Gipfel. Es wirkt, als fingen die Berge direkt hinter dem Münchner Stadtrand an. Brantner verharrt einen Augenblick. „Das ist wunderschön“, sagt sie. Danach geht die Co-Chefin zurück in die Küche und nimmt am Tisch ihres Gastgebers Peter Schwarzenbauer Platz, eines früheren Vorstands von BMW.
In anderthalb Monaten wird gewählt. Wahlkampf ist wie der Aufstieg auf vereiste Berge. An manchen dieser Tage hat Brantner 17 Termine, das kostet Kraft. Die Diskussion am Schwabinger Küchentisch dürfte zu den angenehmen gehören. Der Tisch ist mit einer Wasserkaraffe, Weintrauben und Kuchen gedeckt. Schwarzenbauers Frau Petra macht Kaffee. Der Ex-Automanager bekennt, schon länger die Grünen zu wählen. Er will, dass die Partei stärker wird, aber mit ihrer bisherigen Wahlkampfstrategie wird das in seinen Augen nicht gelingen. In den Umfragen steht die Partei derzeit bei 13 bis 14 Prozent.
Der Wähler hat eine Botschaft an die Grünen
„Wenn sich die Leute die Welt ansehen, dann haben sie Angst. Von der Politik kommen da zu wenig konkrete Antworten, auch von Euch“, sagt Schwarzenbauer. Der 65-Jährige hat sich auf das Gespräch vorbereitet, Notizen gemacht und ausgedruckt. Aus seinem alten Leben als Wirtschaftsboss weiß er, wie es ist, wenn ein Termin den nächsten jagt, dass man sich leicht verzetteln kann. Er rät den Grünen zu mehr Klarheit. „Ihr braucht drei Botschaften, die bei den Leuten hängen bleiben.“ Die Vorsitzende der Grünen sitzt ihm leicht versetzt gegenüber auf dem dunkelgrünen Sofa, schreibt sich hier und dort etwas mit. Schwarzenbauer schlägt ihr vor, analog zum Sondervermögen der Bundeswehr drei Geldtöpfe zu befüllen. 100 Milliarden Euro für eine ökologische Landwirtschaft. 100 Milliarden für 5 Millionen zukunftsfähige Jobs. 100 Milliarden für moderne Schulen und Ausbildung.
„Da sind wir mit unseren 75 Milliarden im Deutschlandfonds pro Jahr gar nicht so weit weg“, sagt Brantner. „Deutschlandfonds – das Wort klingt kalt, weil es mir als Bürger nichts sagt“, entgegnet Schwarzenbauers Frau Petra. Sie arbeitet seit Jahrzehnten in der Kommunikationsbranche und weiß um die Wirkung von Worten. „Wir könnten auch vom Beste-Bildung-und-stabile-Brücken-Fonds sprechen, denn genau darum geht es”, konkretisiert die Grünen-Chefin.
Petra Schwarzenbauer war es, die bei den Grünen um das Küchentischgespräch angefragt hatte, nachdem sie ein Video von Habeck gesehen hatte. Wenn sich Soziologen die typischen Grünen-Wähler schnitzen könnten, dann kämen ihnen die Schwarzenbauers recht nah. Akademisches Milieu, viel von der Welt gesehen und verdienen gut bis sehr gut. Die Parteivorsitzende hat es an diesem Nachmittag nicht mit einem wütenden Bauern oder einem sich abgehängt fühlenden Ossi zu tun. Es wird nicht konfrontativ oder laut.
Die Bürokratie macht vielen Unternehmern zu schaffen
Gefallen lassen muss sie sich den Vorwurf, nichts gegen die Bürokratie getan zu haben. „Es ist ein Albtraum, den man bei der Gründung einer Firma erlebt“, erzählt Peter Schwarzenbauer. Nach seinem Ausscheiden aus dem BMW-Konzernvorstand hat er sich nicht dem süßen Leben des Manager-Rentners hingegeben, sondern gründet mit Partnern Firmen. In Ghana zum Beispiel einen Lieferdienst mit E-Bikes. Er ist Teil einer Initiative, die Landwirte in Deutschland bei der Digitalisierung beraten will. Aus seiner Zeit bei BMW erinnert er sich in einer Mischung aus Grauen und Belustigung, wie Notare einmal 18 Stunden lang einen Vertragstext vorlesen mussten, als die Münchner eine Kooperation mit dem Erz-Rivalen Mercedes schlossen.
Brantner ist Staatssekretärin in Robert Habecks Wirtschaftsministerium. Der Kanzlerkandidat und seine Leute haben versucht, den Wust an Vorschriften zu stutzen, waren aber nicht erfolgreich genug. Die Grünen-Chefin kennt die Klagen der Unternehmen. „Was man da alles für einen Mist machen muss“, rutscht es ihr raus. Wenn sie ins Plaudern kommt, fällt sie manchmal ins Badische ihrer Heimat. Um Bürokratie abzubauen, wirbt die 45-Jährige für eine Deutschland-App, in der die Bürger allen Papierkram vom Staat bekommen können, für den sie sonst mühsam auf die Ämter rennen müssen.
Die Wirtschaft ist enttäuscht von den Grünen
Brantner gehört wie Habeck dem Realo-Flügel der Grünen an. Wenn Habeck Realo ist, ist sie Ober-Realo. Unternehmer sind für sie nicht Melk-Kühe, die man nur hoch genug besteuern sollte. Auf dem Parteitag in Wiesbaden kämpfte sie Mitte November gegen zu übergriffige Forderungen des linken Flügels. Zwar blieb die Einführung einer Milliardärssteuer im Parteitagsbeschluss, weil sie aber weltweit eingeführt werden soll, müssen sich die Superreichen keine Sorgen machen. Da Habeck als Minister bei den Unternehmen mittlerweile völlig unten durch ist, könnte Brantner diese Lücke füllen. Ex-Manager Schwarzenbauer wirbt in seinem Freundes- und Bekanntenkreis jedenfalls für die Partei. Einfach ist das nicht: Deutschland geht in das dritte Jahr des Abschwungs. In den anderthalb Stunden an ihrem Küchentisch mahnen die Schwarzenbauers mehrfach, dass es die nächste Regierung besser machen müsse als die zerbrochene Ampel-Koalition. „Sonst kriegen wir österreichische Verhältnisse“, fürchten sie.
An einen Wahlsieg Habecks glauben sie nicht, wohl aber an eine schwarz-grüne Koalition unter Friedrich Merz. Dagegen hat zwar der bayerische Ministerpräsident Markus Söder etwas, aber in Schwabing traut man ihm die nötige weltanschauliche Flexibilität zu, doch mit der mit heißem Herzen bekämpften Öko-Partei zusammenzugehen. In den nächsten Tagen wird Franziska Brantner bei Markus Lanz im TV-Studio sitzen. „Markus Söder zielt eigentlich auf Merz, er wäre selber gerne Kanzlerkandidat geworden. Und wir bleiben dabei: Unter Demokraten bleibt man gesprächsbereit“, sagt sie. Peter Schwarzenbauer wird dann womöglich einschalten, obwohl er das Dreschen von Phrasen und all die Worthülsen in den Talk-Shows nicht mehr aushält.
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