
Der Streit um das Wahlrecht geht in Karlsruhe weiter


SPD, Grüne und FDP beschließen ein Gesetz, das den Bundestag verkleinern soll. Doch CSU und Linkspartei fürchten um ihre bundespolitische Existenz.
Der Bundestag soll schrumpfen, auf künftig 630 Abgeordnete, aktuell sind es 736. Mit den Stimmen der Ampel-Koalition beschloss der Bundestag am Freitag die umstrittene Änderung des Bundeswahlgesetzes. Doch das jahrelange Ringen um das richtige Mittel gegen den „Bundestag XXL“ geht nun in Karlsruhe weiter. In einer seltenen Allianz kündigten Union und Linksfraktion den Gang zum Bundesverfassungsgericht an. Denn für sie, in der Union vor allem für die CSU, bedeutet die Reform gewaltige Risiken. Sie könnten sogar ganz aus dem Parlament fallen.

Linke über Gesetzentwurf: Hingerotzt
Entsprechend hitzig geht es zu im Bundestag. Die Reform sei „überfällig“, so der SPD-Politiker Sebastian Hartmann, sie sorge für ein Wahlrecht, das „einfach und nachvollziehbar“ sei. Dagegen nennt Jan Korte von der Linksfraktion den Entwurf „hingerotzt“, er diene nur dazu, „zwei Oppositionsparteien zu eliminieren“. Der Osten werde damit „der AfD überlassen“. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt lehnt den Ampel-Plan in Bausch und Bogen ab: „Er ist falsch, er ist fehlerhaft, er ist verfassungswidrig.“ Er wirft SPD, Grünen und FDP vor: „Sie schaffen ein Wahlrecht, bei dem direkt gewählte Abgeordnete nicht mehr in den Bundestag einziehen.“
Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) fordert die Regierung auf, die Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben, denn durch die kurzfristigen Änderungen am Entwurf habe sich erheblicher Beratungsbedarf ergeben. Doch am Ende ziehen die drei Regierungsparteien ihr Vorhaben durch – entgegen der von allen Seiten geäußerten Absicht, ein Vorhaben von derartiger Tragweite im größtmöglichen Konsens zu erzielen.
Keine Ausgleichs- und Überhangmandate mehr
Nach der Entscheidung soll es künftig keine sogenannten Ausgleichs- und Überhangmandate mehr geben, um die Stärke des Bundestags bei 630 Abgeordneten zu halten. Möglicherweise zieht so nicht mehr jeder der per Erststimme gewählten 299 Wahlkreissieger in den Bundestag ein. In Bayern aber gewinnt die CSU seit Jahrzehnten die überwiegende Mehrzahl der Direktmandate. Dadurch schickt sie mehr Abgeordnete in den Bundestag, als ihr nach ihrem bundesweiten Zweitstimmen-Ergebnis zustehen würde. Sie darf diese Überhangmandate bislang behalten, diese werden durch entsprechende Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert. Fällt die Regel weg, bedeutet dies vor allem eine Schwächung der CSU, gerade an ihrem Widerstand waren mehrere bisherige Anläufe für eine Verkleinerung des Bundestags gescheitert. Die Zahl der Abgeordneten stieg und stieg, von der Sollgröße von 598 auf zuletzt 736. Nur der chinesische Volkskongress, der mit einem demokratischen Parlament nicht vergleichbar ist, hat noch mehr Mitglieder.
Scheitert die CSU künftig an der Fünfprozenthürde?
Nach dem Beschluss wird auch die sogenannte Grundmandatsklausel abgeschafft. Nur dank dieser Regel sitzt die Linke derzeit überhaupt im Bundestag – obwohl sie bundesweit unter der Fünfprozenthürde lag. Denn die Klausel besagt, dass drei gewonnene Direktmandate genügen, damit die Partei in der Stärke ihres Zweitstimmen-Ergebnisses im Parlament vertreten ist.
In Berlin und Leipzig holte die Linkspartei exakt diese drei Siege – und ist mit 39 Abgeordneten im Bundestag. In Zukunft soll die Fünfprozenthürde in Reinform gelten – das ist auch für die CSU ein Problem. Sie holte zwar alle ihre 45 Sitze als Direktmandate – doch bei der vergangenen Wahl entsprach ihre Stimmenzahl umgerechnet auf das Bundesgebiet nur 5,2 Prozent. Bei künftigen Wahlen könnte die Latte also durchaus gerissen werden. Britta Haßelmann (Grüne) empfahl, dass CDU und CSU künftig einen Parteien- oder Listenverbund eingehen sollten. Doch ob dies rechtlich überhaupt möglich ist, ist unklar.

Ohnehin muss sich nun das Bundesverfassungsgericht mit dem Gesetz befassen. Union und Linke wollen es überprüfen lassen. Die Union will zudem eine sogenannte Normenkontrolle veranlassen, eine Klärung, ob das Vorhaben mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Für einen entsprechenden Antrag ist ein Viertel der Bundestagsstimmen nötig. Zudem kündigen die Unions-Partner an, das Gesetz bei einer künftigen Regierungsbeteiligung wieder rückgängig zu machen.
Grüne attackieren Christsoziale
Die Grünen werfen CDU und CSU dagegen vor, eine Wahlrechtsreform „jahrelang blockiert“ zu haben. Jamila Schäfer, bayerische Landesgruppenchefin, sagte unserer Redaktion: „Mit der Reform ändert sich die Anzahl der Abgeordneten in allen Parteien gleichmäßig, und das wichtige Element der Direktwahl von Abgeordneten in den Wahlkreisen wird gewahrt.“ Zuvor habe die Ampel „mit den anderen Fraktionen Gespräche geführt und das Gesetz angepasst“. Diese Gespräche habe die CSU jedoch konsequent verweigert und „bei der ganzen Debatte eine katastrophale Figur“ abgegeben. Schäfer über die CSU: „Und nun zetert sie gegen den Teil der Reform, der seit Jahren genauso im bayerischen Landtagswahlgesetz steht.“ Ein Wahlkreisgewinner ziehe auch dort bei fehlender Mindestmenge an gültigen Stimmen nicht in das Parlament ein, so die Grünen-Politikerin.
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Das Gesetz ist verfassungskonform und so genau richtig. Und die CSU wird daran nicht zugrunde gehen.
Bis jetzt sind Sie als Spezialist oder Experte für Verfassungskonformitäten aber nicht unbedingt aufgefallen. Generell, ohne auf das aktuelle Thema genauer einzugehen: nicht nur die CSU, auch die anderen Parteien sind schon öfters vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Es ist deren gutes Recht. Schaut man sich mal die entsprechenden Klagen der Vergangenheit so an, so ist es kein Einzelfall, wenn Gesetze als nicht verfassungskonform eingestuft wurden.
Ist mir zwar immer wieder ein Rätsel, daß hochbezahlte Ministerialbeamte und Externe es nicht hinbekommen, verfassungskonforme Vorlagen zu erstellen.
Das Ansinnen der Ampel ist verfassungswidrig !
Denn es gibt eine ganz einfache Methode zur Verringerung der zu hohen Abgeordnetenzahl :
Bei einer beispielhaften Abgeordneten-Höchstzahl von 560 Plätzen
- bekommen zunächst alle gewählten Direktkandidaten ihre Stühle im Bundestag
- danach dann werden die Restplätze anteilig nach den Parteiwahlstimmen auf die Parteien verteilt ,
Wenn es also 110 Direktkandidaten aus allen Parteien oder einzelnen Parteien gibt , dann sind diese drin im BT , danach werden
450 Plätze verteilt auf
zum Beispiel 32 % Union , 23 % SPD , 12 % B90/Grüne , 7% FDP , 6,5 % Linke , 5,1% AfD + 5,0 FW .
Wo ist das Problem ?
Maria T., mir scheint, Sie haben keinerlei Vorstellung davon, wie unser Wahlsystem aufgebaut ist. Derzeit gibt es in Deutschland auf Bundesebene 299 Wahlkreise. Eine Reduzierung auf 110 ist praktisch und politisch unmöglich. Die CSU hat in der Vergangenheit bereits eine geringfügige Reduzierung der Wahlkreise kategorisch abgelehnt.
Zudem hat Ihr Vorschlag die Schwäche, dass dann die Stimmverhältnisse der eigentlich maßgeblichen Zweitstimme im Parlament nicht mehr korrekt abgebildet werden. Den Vorteil hätten dann regional stark verankerte Parteien wie die CSU. Aber das ist ja wohl Ihr Anliegen.
Also, Friedrich Merz und die Linkspartei lehnen die notwendige Verkleinerung des Bundestags ab, weil CSU und Linkspartei die
Folgen zu tragen haben. Dies ist egoistisch und rein parteipolitisch gedacht. Forist Walter K. hat die Sachlage klar und neutral
auf den Punkt gebracht, ebenso wie der Leitartikel von Herrn Junginger. Vielen Dank an beide.
ooooh.... Die Autolobbylieblinge Scheuer und Dobrindt heulen um die Wette... Mimimi.
Es geht denen doch nur um ihre eigene Klientel. Lobbykraten.
Ich habe mir jetzt die Debatte heute im Bundestag in einer Aufzeichnung angesehen. Manchmal konnte ich da nur noch mit dem Kopf schütteln- Dass es der AfD rein um Provokation geht ist ja nichts wirklich Neues. Wer Fragen stellt, wo eine Verkleinerung des Bundestages stattfindet, wenn 598 Abgeordnete nun durch 630 Abgeordnete verkleinert werden sollen, der übersieht dabei, dass es gegenwärtig 736 Abgeordnete sind. 598 Abgeordnete sind schon seit vielen Jahren nur eine Vorgabe, "dank" der Überhangmandate wuchs der Bundestag nach jeder Legislatur.
Die CDU unterstrich ja die Wichtigkeit des direkt gewählten Abgeordneten, aber man kann ja auch durchaus wirklich fähige Kandidaten entsprechend auf einer Liste platzieren. Denn die Erststimme sagt herzlich wenig über den Wählerwunsch aus. Hier in Augsburg waren bei der letzten Wahl insgesamt 16 Direktkandidaten angetreten, Volker Ullrich erhielt 28,1% der Stimmen, die CSU aber nur 25,4%! Wenn man sich die Liste bei Wikipedia mal ansieht, dann wird klar, wie viel eine Erststimme tatsächlich wert ist, sie spiegelt den Wählerwillen mit Sicherheit nicht. Denn wenn es wirklich um die Persönlichkeit und die Arbeit eines Abgeordneten gehen würde, dann müsste ein Direktkandidat - so er gute Arbeit leistet - doch auch Stimmen von Leuten bekommen, die mit ihrer Zweitstimme aber eine andere Partei präferieren. Herr Ullrich hat sicher ein paar zusätzliche Stimmen gewonnen, aber 28.1% sind nun nicht gerade berauschend als Ergebnis.
Thorsten Frei von der CDU hat ja gemeint, dass die politische Arbeit leiden würde, wenn die Direktkandidaten nicht automatisch im Bundestag wären, sondern sich auch dem Gesamtergebnis der Partei unterwerfen müssen. Und dass es dann sein könnte, dass ganze Regionen plötzlich nicht mehr direkt im Bundestag vertreten sein könnten. Aber er hat sich unklar ausgedrückt, denn natürlich kann es passieren, dass eine Region keinen Abgeordneten mehr von der CDU im Bundestag hat. Wie das Beispiel Augsburg aber zeigt, sind mit Frau Roth und Frau Bahr sogar zwei weitere Abgeordnete für die Region im Bundestag, wenn auch nur über die jeweilige Liste.
2013 flog die FDP mit 4,8% der Stimmen aus dem Bundestag, warum sich die Linke nun echauffiert, dass die sogenannte Grundmandatsklausel nun abgeschafft wird, ist nur unter dem Aspekt zu verstehen, dass sie ohne diese Klausel schon heute nicht mehr im Bundestag vertreten wäre. Es macht schon einen Sinn, dass es diese 5%-Klausel gibt, wer diese 5% Stimmanteil verfehlt, der ist eben außen vor. Die Grundmandatsklausel hat bisher noch ein kleines Schlupfloch gelassen, wenn man drei Direktmandate gewonnen hatte. Aber wie oben bereits beschrieben sagen solche Mandate nicht viel.
Die Wahlrechtreform ist sicher nicht allen Vorstellungen gerecht geworden, aber das wurde in der Debatte auch immer wieder zur Sprache gebracht, dass es die CSU war, die jeden Versuch einer Reform in der Vergangenheit blockiert hat. Nach über 10 Jahren der Verhandlungen hat man nun ein Wahlrecht, welches wohl laut Ankündigungen vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden soll. Herr Merz hat ja auch schon angekündigt, dass bei einem Regierungswechsel auch ein neues Wahlrecht kommt - eines, dass die Union wieder stark gegenüber anderen Parteien bevorteilt?
Wenn Ullrich mehr Erststimmen erhalten hat, als die CSU Zweitstimmen, dann ist es doch genau so, dass er eben auch "Stimmen von Leuten bekommen [hat], die mit ihrer Zweitstimme aber eine andere Partei präferieren". Außerdem ist die Liste der Wahlkreise mit nur einem MdB sehr lang (allein in Berlin sind es bspw. 4 von 12). Würden diese nun ihre Direktmandate aufgrund schlechter Direktwahlergebnisse verlieren, wären sie komplett ohne Vertretung.
Die Grundmandatsklausel ist essenziell für die CSU - aber eben auch für das passive Wahlrecht parteiloser und Mitglieder von Kleinstparteien. Es besteht durchaus die Gefahr, dass eine regional kandidierende CSU bei der aktuellen Entwicklung zwar weiterhin nahezu alle Direktwahlen gewinnt, aber an der bundesweiten 5%-Hürde scheitert. Die daraus resultierende Verzerrung der Mehrheitsverhältnisse gegenüber der Zweit- bzw Gesamtstimmenverteilung wäre dann erwartungsgemäß eine Zielverfehlung für diese Wahlrechtsreform, genauso wie die erneut enorm gewachsene Hürde für den Aufbau neuer Parteien.
Wir dürfen nun wohl damit rechnen, dass wir amerikanische Verhältnisse bekommen: Wer an der Macht ist, zementiert sich diese mit Wahlrechtsanpassungen, nach dem Gesetz wird erstmal jahrelang geklagt, und nach den Wahlen sowieso auch.
@Frederic E.
CSU-Direktkanditaten erhalten erfahrungsgemäß von Wählern die Erststimme, die ihre Zweitstimme der FDP oder der AfD geben.
Für den Aufbau neuer Parteien ist die 5 % -Hürde entscheidender als Direktmandate. Die AfD ist nicht durch Direktmandate gross geworden. Ebenso die Grünen.
Wieviel parteilose Direktmandatsträger gibt es? Erststimme bei der BW hat im Gegensatz zu kommunalen Wahlen vorallem mit dem Parteibuch zu tun. Weniger mit der Person.