Von Mexiko-City bis nach Buenos Aires. In acht Monaten haben Sie auf dem Rad elf Länder durchquert. Der Reihenfolge nach also: Welche Länder waren das und wie viel Kilometer haben sie so am Tag geschafft?
STACHELSCHEID: Mexiko, Guatemala, El Salvador, Nicaragua, Costa Rica, Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien, Chile und Argentinien. Was die Tagesetappen betrifft, da gab es natürlich riesige Unterschiede. Auf einer relativ flachen Strecke fährt man auch mal 100 Kilometer am Tag. In Bolivien, auf über 4000 Meter, haben wir gerade mal zehn Kilometer geschafft, weil wir unsere Räder auf dem sandigen Boden schieben mussten. Aber unser Ziel war nie darauf angelegt, möglichst viel zu fahren. Das Fahrradfahren selbst war ja nur die eine Hälfte des Abenteuers, und die andere Hälfte war, Fotos und Videos zu machen, und mit Menschen in Kontakt zu kommen. Wir sind daher auch nicht jeden Tag gefahren, sondern haben auch Pausen eingelegt. Geplant wie in Costa Rica, da haben wir einen ganzen Monat verbracht, aber auch ungeplant, weil uns zum Beispiel im Süden von Mexiko ein Magen- und Darmvirus umgeworfen hat.
Was spricht für das Fahrrad als Reisemittel?
STACHELSCHEID : Mit dem Fahrrad hat man meiner Ansicht nach die perfekte Geschwindigkeit. Man ist deutlich schneller unterwegs als zu Fuß, aber im Vergleich zum Auto ist man eben auch deutlich langsamer, lernt die Landschaft noch einmal ganz anders kennen und sieht viel mehr. Und dann ist es natürlich auch so: Die frische Luft tut einem gut, die körperliche Betätigung tut einem gut, abends fällt man müde und froh ins Bett.
Wo standen denn Ihre Betten?
STACHELSCHEID : Morgens wussten wir nie, wo wir abends schlafen werden. Man fährt einfach los, ab Nachmittag schaut man dann mal, wo wäre die nächste Unterkunft. Man kann wirklich günstig übernachten, die Nacht im Doppelzimmer für 15 Euro zum Beispiel. Sehr häufig haben wir aber auch in Restaurants gefragt, ob wir unser Zelt im Garten oder Hinterhof aufstellen können. In Zentralamerika war das zum Beispiel immer möglich. Wir haben dann im Restaurant zu Abend gegessen, vielleicht auch noch gefrühstückt – eine Win-win-Situation also für alle. In den ländlichen Regionen Südamerikas, vor allem in Peru und Bolivien, haben wir fast immer eine ruhige Ecke zum Wildcampen gefunden.
Wie wird man als fahrradfahrender Tourist wahrgenommen?
STACHELSCHEID : Man wird ganz anders gesehen, als wenn du mit dem Tourbus oder dem Auto reist. Von den Einheimischen wurden wir oft als „Reisende“ und nicht als „Touristen“ bezeichnet. Und so wirst du auch behandelt. Wir haben eine ungeheure Hilfsbereitschaft in allen Belangen erlebt, ob Schlafen, Essen, Trinken oder einfach Informationen. Wenn wir da einfach mit dem Auto angekommen wären, dann wäre das, glaube ich, anders gewesen. Es ist aber auch so, dass wir, wenn wir endlich angekommen sind, die Orte mit einer ganz anderen Wertschätzung wahrgenommen haben.
Was waren denn für Sie auf dieser Reise ganz besondere Orte?
STACHELSCHEID: Was ich für mich auf dieser Reise gelernt habe: Dass es gar nicht die bekannten Touristenorte sein müssen, in denen man eine besondere Zeit hat, sondern dass es auf die Erfahrung selbst ankommt. Wie ist man da gelandet, mit wem ist man da, was erlebt man. Wir waren zum Beispiel in Guatemala, als der Vulkan Fuego ausbrach. Das waren unglaubliche Bilder, aber dennoch gehört es nicht zu meinen absoluten Highlights der Reise, auch weil wir noch nicht ganz fit waren. Einer der unbeschreiblichsten Momente habe ich dagegen in einem völlig unbekannten Bergdorf in Kolumbien erlebt, als das Jugendorchester nur für uns zum Abschied gespielt hat.
Auf welchen Straßen waren Sie unterwegs? Radwege vermutlich eher nicht.
STACHELSCHEID : (lacht). Nein, Radwege gibt es so gut wie gar nicht. In Zentralamerika sind wir häufig auf der Panamericana gefahren, das ist der Highway, der fast ohne Unterbrechung von Kanada bis nach Patagonien führt. In Südamerika haben wir in den Abenteuermodus angeschmissen und uns auf die abgelegenen Schotterwege gewagt. Das hat uns unterm Strich auch nochmal viel besser gefallen als die Straßen. Was mich extrem überrascht hat, war, wie rücksichtsvoll die Auto- und Lastwagenfahrer sind. Das ist dann schon ein großer Unterschied zu Deutschland, wo man als Radfahrer auch mal gerne mal knapp überholt oder angebrüllt wird.
Also gab es nie eine brenzlige Situation?
STACHELSCHEID: Zum Glück nicht. Außer vielleicht in Costa Rica. Da merkt man, dass das Land einen höheren Wohlstand hat als die Nachbarländer und entsprechend motorisierter ist. Da wurde es teilweise eng auf den Straßen, die Leute wollten schnell von A nach B und wir wurden häufiger von der Straße gedrängt. Ein Seitenspiegel ist in so Situationen nicht wegzudenken.
Um Ihre Sicherheit waren Sie nie besorgt?
STACHELSCHEID : Das klingt jetzt vielleicht langweilig, aber nein. Einmal habe ich mich tatsächlich unwohl gefühlt, das war auf dem Hochplateau in Bolivien. Wie gesagt, da konnten wir die Fahrräder nur schieben und dann begann es plötzlich zu donnern. Und keine Möglichkeit, um irgendwo unterzuschlupfen. Da fühlt man sich dann schon sehr exponiert. Aber das war das einzige Mal. Wobei wir auch vorbeugend wirklich darauf geachtet, dass wir auf sicheren Routen unterwegs sind. Wir haben uns in Whatsappgruppen und Apps über die Sicherheitslage von gewissen Routen und Regionen informiert. Was so was angeht, sind die Radfahrer echt eine top Community. Informationen über Campingplätze, Essensmöglichkeiten oder Sehenswürdigkeiten nimmt man natürlich auch immer gerne mit.
Wie sind Sie eigentlich überhaupt auf die Idee gekommen?
STACHELSCHEID : Von einer langen Abenteuerreise habe ich schon seit Ewigkeiten geträumt. Und dann hat mich das Buch „One Year on a Bike“ des Niederländers Martijn Doolaard besonders inspiriert, welches mir meine Schwester vor Jahren geschenkt hat: Der ist von Amsterdam bis nach Singapur mit dem Rad gefahren. Da habe ich zum ersten Mal überhaupt von dieser Art des Reisens mit dem Fahrrad gehört und das hat mich komplett begeistert. Während meines Studiums habe ich dann Justas kennengelernt, mit dem ich nun unterwegs war. Justas hat bereits zwei Mal Europa durchquert, jeweils von Edinburgh und Thessaloniki in seiner Heimatstadt Kaunas in Litauen. Er hatte also Erfahrung mit solchen Reisen. Nach ein paar Jahren Arbeiten wollten wir beide noch einmal eine längere Auszeit einlegen und dann kamen wir auf die Idee, gemeinsam das Abenteuer anzugehen.
Gab es Tage in diesen acht Monaten, an denen Sie Ihren Reisegefährten lieber mal nicht gesehen hätten?
STACHELSCHEID : Nein. Wir haben ja schon zuvor in Edinburgh während des Studiums zusammengelebt und uns sehr gut verstanden. Es passt zwischen uns beiden einfach. Ich denke, dass es beim gemeinsamen Reisen wichtig ist, dass man bei entscheidenden Themen die gleichen Ansichten hat. Einmal beim Thema Sicherheit, dass nicht der eine deutlich höhere Risiken eingehen will als der andere. Und dann das Thema Geld. Wenn die Budgets zu unterschiedlich sind, dann kann das auch zu Reibungen führen. Aber wir waren in allem auf einer Wellenlänge und haben uns kein einziges Mal gestritten.
Wem würden Sie eine Reise wie die Ihre empfehlen?
STACHELSCHEID : Das Radreisen würde ich generell allen empfehlen. Für so eine lange Tour muss man sich die Zeit nehmen können, aber davon abgesehen kann das jeder machen. Wir haben beispielsweise einen 75-Jährigen getroffen, der komplett alleine Südamerika durchquert hat.
Ich hatte auch nie das Gefühl, dass die Fahrt übermäßig beschwerlich ist, einfach weil Anstrengungen mit so vielen schönen Erlebnissen kompensiert werden. Man muss raus aus seiner Komfortzone, aber dafür wird man mit tollen Momenten belohnt. Wir sind keinem einzigen Fahrradfahrer begegnet, der nicht gerade geliebt hat, was er oder sie gerade tut. Ob das für einen die richtige Art zu reisen ist, kann man auch hier einfach mal ausprobieren. Es gibt in Europa zum Beispiel die EuroVelos, das sind Radfernwege, die super durchdacht sind. Wenn man ein Fahrrad hat, kann man da einfach mal den Einstieg versuchen. Es gibt unfassbar schöne Orte, überall auf der Welt, von denen man einige vielleicht nur mit dem Fahrrad entdeckt.
Zur Person: Simon Stachelscheid, 29, ist Unternehmensberater für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Der begeisterte Naturfotograf lebt in Köln. Mehr Infos und Bilder über die Reise unter www.simonstachelscheid.com oder auf Instagram justas_juozaitis.






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