Herr Windisch, haben Sie schon einmal Insekten probiert?
Wilhelm Windisch: Ja, habe ich. So wie viele tierische Produkte muss man sie immer erst würzen. Dann kann man sie in Olivenöl anbraten, ein bisschen Salz und Chili drauf, dann schmeckt das eigentlich ganz gut. Wir haben früher auch Maikäfersuppe gegessen – schauen Sie bei Wilhelm Busch nach.
Insekten werden neben Fleisch aus dem Labor, also aus Zellkulturen, und den bereits jetzt weit verbreiteten Fleischersatzprodukten häufig als Fleisch der Zukunft bezeichnet. Landet dieser Dreiklang im Jahr 2050 häufiger auf unseren Tellern?
Windisch: Sie werden natürlich einen gewissen Platz in unserem Konsum haben, werden aber das Fleisch von klassischen Nutztieren nicht verdrängen. Das hat ganz einfach etwas mit den Ressourcen zu tun, die für die Herstellung benötigt werden.
Können Sie das genauer ausführen?
Windisch: Zellkulturen muss man in einer sehr artifiziellen Umgebung halten. Insgesamt ist die energetische Effizienz etwa so wie bei einem Masthähnchen, denn wie bei allen Nutztieren muss man auch ihnen mehr zu fressen geben, als man ernten kann. Mit sehr viel Aufwand gewinnt man deren Nahrung aus bereits existierender veganer Nahrung. Das ist eine Vernichtungsmaschine von höchstwertigen veganen Lebensmitteln. Es ist erst dann interessant, wenn man diese Fleischkulturen mit Stroh oder Gras füttern könnte. Also mit Nahrung, die für den Menschen nicht essbar ist.

Der Markt für Fleischersatzprodukte dagegen nimmt seit Jahren zu.
Windisch: Das ist in der Tat so. Das liegt auch an einer sehr aggressiven Werbung. Es wird behauptet, dass diese Produkte praktisch ein gleichwertiger Ersatz seien. Wenn jemand diese verarbeiteten Produkte gerne isst, dann soll er das tun. Aber man darf nicht sagen, dass das eine Alternative sei – aus folgendem Grund. Nehmen wir etwa den Haferdrink. Erstens ist die Zusammensetzung an Nährstoffen mit echter Milch kaum vergleichbar. Und dann landet von einem Kilo Hafer nur ein Drittel im Haferdrink. Und wo gehen die restlichen zwei Drittel hin?
In den Müll?
Windisch: Wer es zu Hause selbst macht, wird die zwei anderen Drittel wohl die Toilette runterspülen. Kommerzielle Hersteller von Haferdrinks machen daraus vielleicht Biogas. In jedem Fall entstehen bei der Erzeugung von veganen Produkten immer auch große Mengen an für den Menschen nicht essbaren Nebenprodukten. Wenn Sie beispielsweise ein Kilo Rapsöl kaufen, müssen Sie zwangsläufig zwei Kilo an nicht essbaren Reststoffen mit dazuzählen. Das ist an sich gar nichts Schlimmes, denn solche Nebenprodukte sind hervorragende Futtermittel für Nutztiere.
Das heißt, es ginge komplett ohne Verschwendung?
Windisch: Ja genau. Nehmen wir die Biomasse, die wir von der Landwirtschaft ernten, machen möglichst viele vegane Produkte daraus und geben die erzeugten Nebenprodukte den Nutztieren. Dann haben wir aus derselben Menge an Ernteprodukten aus der Landwirtschaft die größte Menge an Nahrung für den Menschen gemacht. Die einseitige Polarisierung der veganen Nahrung als Alternative zu Fleisch, Milch und Eiern geht an der eigentlichen Herausforderung völlig vorbei. Es ist Aufgabe der Zukunft, aus der Biomasse der Landwirtschaft möglichst viele vegane Nahrung zu gewinnen. Aber die großen Mengen an nicht essbarer Biomasse dürfen wir eben auch nicht verschwenden. Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um das nachhaltige Gleichgewicht zwischen veganer Nahrung und Lebensmitteln tierischer Herkunft.
Wie nachhaltig ist denn die globale Fleischproduktion, in der enorme Mengen an Soja und Mais an Nutztiere verfüttert werden?
Windisch: Wir stellen weltweit viel Fleisch zu einem verdammt billigen Preis zur Verfügung – und das beruht letztendlich darauf, dass wir in großem Stil für den Menschen potenziell essbare Biomasse in Fleisch überführen. Die aktuelle Fleischschwemme hat in den 1960er Jahren begonnen und kam von einem Überschuss an Getreide und Mais. Und dann versucht der Landwirt ein von der Gesellschaft stärker nachgefragtes Produkt zu machen, und das ist Fleisch – die effizienteste Form ist das Masthähnchen. Dafür braucht der Landwirt neben dem Getreide auch noch Eiweißfutter. Das hat zum Beispiel Brasilien politisch erkannt und liefert das notwendige Soja dazu. Aber die Weltbevölkerung wächst und der Getreideüberschuss ist inzwischen weitgehend aufgebraucht. Die schrumpfenden Biomassequellen müssen wir heutzutage wieder vorrangig zur Ernährung der Menschen verwenden und nicht mehr zur Fütterung von Masthähnchen.

Wir müssen also Nahrungskonkurrenz vermeiden?
Windisch: Genau. Die Reihenfolge, in der wir Biomasse verwerten müssen, ist völlig klar: Teller, Trog, Tank. Was wir nicht essen können, gehört in den Trog. Und was dann noch übrig ist, gehört in die Biogasanlage. Damit bekommt das Fleisch eine ganz andere Wertigkeit.
Die FAO geht davon aus, dass der Fleischkonsum bis 2050 um 80 Prozent steigen wird. Macht Ihnen das Sorgen?
Windisch: Ja, wir bekommen da einen Zielkonflikt. Nachhaltig wäre eine Menge an Fleisch, Milch und Eiern, die sich mit nicht essbarer Biomasse erzeugen lässt. Das wäre Kreislaufwirtschaft oder, besser gesagt, Circular Economy. Und von dieser Fleischmenge, die es dann noch gibt, da bekommen Sie kaum noch Hähnchenfleisch. Dann wird das Rindfleisch wieder interessant.
Ist die Kuh also doch kein Klimakiller?
Windisch: Milch und Rindfleisch aus Deutschland entstehen etwa zu drei Vierteln völlig ohne Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Es wird eine Verschiebung geben – weg vom Geflügel, das können wir uns nicht mehr leisten. Diese Entwicklung trifft auch das Schwein, das wir in den letzten 50 Jahren zum Nahrungskonkurrenten gemacht haben, damit es schneller wächst. Das Schwein könnte aber wieder zu seiner ursprünglichen Rolle als Resteverwerter zurückkehren, nur eben mit einem viel langsameren Wachstum als heute. Wenn man alles zusammenzählt, bleibt uns vielleicht gerade mal ein Drittel vom Fleisch übrig. Die Gewinner sind dabei hauptsächlich Rindfleisch und Kuhmilch. Entscheidend ist dabei, dass wir in der Nutztierfütterung die Nahrungskonkurrenz zum Menschen konsequent vermeiden.
Wie kommen wir da hin?
Windisch: Der Markt regelt das nie. Die Leute wollen billiges Fleisch haben. Also produziert man weiterhin mit Nahrungskonkurrenz und weiterhin Hähnchenfleisch. Heutzutage könnte aber jedes Futtermischwerk und jeder Landwirt den Grad der Essbarkeit seiner Futterration berechnen. Der Handel könnte etwa auf die Milchpackung schreiben „ohne Nahrungskonkurrenz“. Wir könnten Produzenten unterstützen, die ohne Nahrungskonkurrenz produzieren.
Welche Auswirkungen hätte das auf das Höfesterben? Kommen wir an einen Punkt, an dem das regionale Produzieren wieder interessant wird, weil es nachhaltiger ist?
Windisch: Das ist ein wichtiger Punkt. Die landwirtschaftliche Struktur ist bei uns relativ kleinräumig. Das ist eine Grundvoraussetzung für die ganzen Ökosystemdienstleistungen, die die Landwirtschaft neben der Erzeugung von Fleisch und anderen Produkten hat. Wenn es zu großflächig wird, interessiert sich doch niemand für Biodiversität. Und wir brauchen Landwirte, die diese Kleinräumigkeit bewirtschaften. Wir haben in den letzten zehn Jahren über ein Drittel verloren, flächendeckend. Ich war im Frühjahr in Spanien. Dort ist die Landwirtschaft von oben nach unten organisiert. Die großen Firmen stellen den Landwirten einen nagelneuen Schweinestall hin und besorgen auch das Futter. Aber sie interessieren sich nicht dafür, was mit der Gülle passiert und ob die Äcker langfristig kaputtgehen. Das ist Business. So läuft es, wenn man das Ganze der Marktwirtschaft überlässt. Das darf man nicht. Man muss den ländlichen Raum schützen. Das heißt, wir brauchen Kleinräumigkeit – keine lineare Produktion, sondern Circular Economy. Und die betrifft nicht nur die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe, sondern die ganze Region, weil die Gewinnung von Lebensmitteln mit der Ernte landwirtschaftlicher Produkte noch lange nicht abgeschlossen ist und sehr viel Biomasse wieder zurück auf den Bauernhof fließen muss – am sinnvollsten eben als Nutztierfutter.
Zur Person: Prof. Dr. Wilhelm Windisch ist Inhaber des Lehrstuhls für Tierernährung an der Technischen Universität München.
Dieser Artikel ist Teil der Themenwoche Zukunft unserer Volontäre. Alle Themen und Texte zum Schwerpunkt finden sich hier in unserer Übersicht.