Bei Wembley-Torschütze Hurst dreht sich alles um die eine Frage
Das Wembley-Tor im WM-Finale 1966 verhalf dem Engländer Geoff Hurst zu Berühmtheit. Das Leben hat dem 80-Jährigen danach schonungslos aufgezeigt, dass sportlicher Erfolg nicht alles ist.
Glaubt man seinen Worten, so wird Geoff Hurst tagtäglich mit der Fußballfrage konfrontiert. 1966 erzielte der Engländer im WM-Finale gegen Deutschland das 3:2. In der 101. Minute war der Ball von der Latte ... ja, wohin war er geprallt? Vor oder hinter die Linie? War er drin oder eben nicht? Weder Fotos noch TV-Bilder oder Analysen haben jemals bewiesen, dass das orangebraune Leder die Torlinie überschritten hat. Vier Jahrzehnte des Fragens können nerven, Hurst hingegen sieht sie als Teil von sich. „Die Leute fragen mich: ‚Hast du es satt, darüber zu reden?‘“, erzählte er jüngst im Guardian. „Die einfache Antwort ist ‚Nein‘. Es ist ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens.“
Geoffrey Charles Hurst kam in Ashton-under-Lyne bei Manchester auf die Welt. Er war nie einer der ganz Großen in England, einer wie Matthews, Moore oder Charlton. Aber er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In Wembley glückte ihm Geschichtsträchtiges, ja Einmaliges. Weder zuvor noch danach gelangen einem Spieler in einem WM-Finale drei Treffer. Zur Geschichte gehört aber auch, dass nur der 1:1-Ausgleich regulär war. Beim 4:2-Endstand standen bereits Zuschauer auf dem Rasen.
Schicksalsschläge für Geoff Hurst: Sein Bruder brachte sich um, seine älteste Tochter starb an einem Hirntumor
An diesem Montag wird Hurst 80. Und natürlich wird einmal mehr über ihn und sein Tor gesprochen und geschrieben. Dass er einmal zum Ritter geschlagen und Ehrendoktorwürden erhalten würde, war so nicht zu erwarten. Er selbst attestierte sich, nicht besonders begabt gewesen zu sein. Im Finale stand er auf dem Platz, weil sich Stammspieler Greaves verletzt hatte. Mit 24 Jahren war er ganz oben. Vor dem WM-Titel hatte er mit West Ham United den Europapokal der Pokalsieger gewonnen, danach legte er eine unscheinbare Karriere hin. Auch sein Dasein als Trainer war erfolglos.
Das Leben hat Hurst aufgezeigt, dass sportlicher Erfolg helfen kann. Aber nicht alles ist. Er wurde von Betrügern geschröpft und war arbeitslos. Später wurde er verspottet, weil er als ehemaliger Fußballer und der Geoff Hurst an Türen klingelte und Versicherungen veräußerte. Die größten Schicksalsschläge erlitt er in der Familie. Mit Frau Judith lebt er in Cheltenham, einem Badeort im Südwesten Englands. Sein jüngerer Bruder Robert nahm sich 1974 das Leben, von seinen drei Töchtern verstarb die älteste 2010 an einem Hirntumor. Hurst ist daran nicht zerbrochen, vielleicht sogar gewachsen. Er hätte gelernt, dass man im Fußball und im Leben eine gute Einstellung brauche. „Ich war sicherlich nicht der beste Spieler der Welt, aber ich hatte eine sehr gute Einstellung.“
Fehlt die Antwort auf die Frage. Nur Linienrichter Bachramow hat es gesehen, nicht einmal Hurst selbst. Meist wählt er diplomatische Antworten. Eine davon: „Wenn man 24 Jahre alt ist und es 2:2 gegen Deutschland steht, dann will man für sein Leben gern glauben, dass der Ball die Linie überschritten hat. Diesen Glauben habe ich bis heute.“
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