Das kroatische Drama nahm seinen Lauf, als Riccardo Calafiori sich den Ball schnappte. Denn als der sich am Sonntag im letzten Vorrundenspiel der Italiener kurz vor dem Mittelkreis ans Herz fasste, mit einem Doppelpass mehrere Kroaten aussteigen ließ und dann noch im richtigen Moment an seinen Kollegen Mattia Zaccagni abspielte, war klar: Dieser Calafiori kann etwas. Dass Zaccagni im Stile von Alessandro Del Piero 2006 gegen Deutschland den Ball in den rechten Winkel zirkelte, passte in den gebrauchten Abend, den die Kroaten erwischt hatten. "Das Weiterkommen ist verdient", sagte Italiens Trainer Luciano Spalletti im Anschluss. Die Kroaten sind aus dem Turnier ausgeschieden, die Italiener haben ihr Weiterkommen zu einem nicht geringen Teil Calafiori und dem FC Bologna zu verdanken.
Und damit sind sie nicht allein: Auch die Schweiz, Italiens Achtelfinalgegner, hat mehrere Kicker aus Bologna in den eigenen Reihen, die gerade bei der EM auf sich aufmerksam machen. In den ersten drei Spielen sorgte Dan Ndoye im Sturm für Wirbel, erzielte gegen Deutschland das zwischenzeitliche 1:0. Gegen Ungarn traf Michel Aebischer mit einem satten Distanzschuss ins rechte Eck und machte kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit eigentlich alles für die Eidgenossen klar. Neben ihm räumte der Mittelfeld-Routinier Remo Freuler alles ab, was ihm in den Weg kam. Sowohl Aebischer und Freuler als auch Ndoye sind beim FC Bologna angestellt: Was ist denn da los, in der Emilia-Romagna? Was mischen die dort ins Trinkwasser?

Der FC Bologna erreicht zum ersten Mal seit 60 Jahren die Champions League
Zurück zu Riccardo Calafiori: Nationaltrainer Spalletti identifizierte im Abwehrmann "Bellezza", sein Coach bei Bologna, Thiago Motta, fand für seinen Schützling keine fußballerischen Superlative mehr und nannte ihn nur einen "Schönling". Mit seinen langen Haaren erinnert der Abwehrspieler aus Rom an italienische Abwehrgrößen wie Maldini, Cannavaro (bevor dieser zur Glatze wechselte) oder Nesta. Auch seine Leistung bei der EM ähnelte die der Abwehrchefs der Vergangenheit: Im ersten Spiel gegen Albanien fiel er durch seine Passgenauigkeit und Zweikampfstärke auf. Nach dem Spiel sagte er, es sei ein Traum gewesen, überhaupt für das Turnier nominiert worden zu sein. "Als mir der Mister dann mitgeteilt hat, dass ich in der Startelf stehe, haben mir die Worte gefehlt." Auch gegen die Spanier startete er und tat alles in seiner Macht, um eine höhere Niederlage zu vermeiden. Und gegen Kroatien, na ja, siehe oben.
Dass die Spieler des FC Bologna bei der EM so auftrumpfen, könnte daran liegen, dass sie aus einer historischen Saison in der Liga kommen. Den fünften Platz samt der ersten Champions-League-Qualifikation in den vergangenen 60 Jahren erreichte die Truppe des Trainers Thiago Motta. Und das, obwohl die Mannschaft nie als Top-Fünf, geschweige denn als Top-Zehn Kandidat galt. Seit dem Abstieg 2014 und dem direkten Wiederaufstieg 2015 erreichten die Norditaliener im Höchstfall Platz neun – und zwar in der ersten Spielzeit, nachdem Motta den Klub im September 2022 übernommen hatte. In der jüngsten Saison spielten die "Rossoblu" schnellen, teilweise überfallartigen Fußball und legten dabei ein hohes Augenmerk auf Kontersituationen. Hinzu kam, dass Motta die Defensive stabilisierte.

Am Samstag treffen die Schweiz und Italien im Achtelfinale aufeinander
Nun treffen die Kollegen aus Bologna auf dem Platz in Berlin aufeinander, zumindest theoretisch. Denn weil Calafiori eine Gelb-Sperre absitzen muss, wird sich das Wiedersehen auf einen Handschlag in der Mixed-Zone oder in den Katakomben beschränken müssen. Und während Freuler, Ndoye und Aebischer mit Rückenwind aus dem letzten Gruppenspiel gegen Deutschland kommen, ist die Stimmung im italienischen Team nach dem knappen Achtelfinaleinzug eher gedämpft. Und auch in Bologna wird man zwar gerne die Leistung der eigenen Kicker sehen, in Hinblick auf die Kaderplanung der kommenden Saison stehen die Verantwortlichen jedoch vor mächtigen Aufgaben. Ndoye wird von Inter Mailand gejagt, Calafiori von Juventus Turin und ganz Europa. Trainer Motta hat sich vor der EM schon in Richtung Juventus Turin verabschiedet.