Das mächtige Gewitter über dem Frankfurter Stadtwald hatte sich längst verzogen, hinter dem Gleisdreieck lugten letzte Sonnenstrahlen hervor, als sich Hunderte Rumänen am nördlichen Bereich vor der Haupttribüne mit ihren leuchtend gelben Trikots sammelten. Ihre Smartphones hielten sie in der Abenddämmerung bereits im Anschlag, denn jeden Moment musste der bunt lackierte Bus des rumänischen Nationalteams ausparken. Wenn solche profanen Vorgänge die Herzen der Menschen berühren, haben Teams meist etwas Besonderes vollbracht. Nationaltrainer Edward Iordanescu hatte kurz zuvor im Bauch der Frankfurter Arena genau solche Sequenzen erwähnt, die seiner Mannschaft so viel Motivation bei der EM-Mission stiften würden.
"Normalerweise beginne ich damit, unseren Spielern ein Kompliment zu machen. Dieses Mal möchte ich mit unseren Fans beginnen. So etwas erlebt man nur einmal im Leben. Also Dank an alle, die uns das Gefühl gegeben haben, dass wir hier zu Hause sind.“ Er sei sich sicher, dass in der Heimat genauso gefeiert werde. Der in Bukarest geborene Iordanescu spürt seit dem ersten Tag des Turniers, wie emotional seine Landsleute die Spiele erleben – und viel Inspiration der Fußball stiftet. In Frankfurt mit seiner großen rumänischen Diaspora hat sich nach dem letzten Gruppenspiel gegen die Slowakei (1:1) unter 35.000 Anhängern eine unbändige Freude entladen. Der heftige Blitzeinschlag mit einem gewaltigen Knall nach knapp einer Stunde direkt neben dem Stadion diente vielleicht sogar als Sinnbild.
Der Außenseiter Rumänien bestreitet nun als Gruppensieger ein Achtelfinale in München gegen die Niederlande (Dienstag 18 Uhr), in das dieses Ensemble mit einem Traum voller Hoffnungen geht. Ihr Trainer verfasste lange Elogen auf eine „Generation der Seele“. Das sagte er deshalb, „weil noch keine rumänische Mannschaft eine derartige Unterstützung durch die Fans hatte, nicht einmal die Goldene Generation“. Der 46-Jährige muss es ja wissen: Vater Anghel Iordanescu hat einst die Stars um den legendären Künstler Gheorghe Hagi angeleitet, dessen Name noch immer viele auf ihren sonnengelben Jerseys tragen. Als die Aufmunterung der mit der WM 1994 berühmt gewordenen Ikone vor Anpfiff über den Videowürfel flimmerte, juchzten viele Rumänen.
Der Vater galt als "Karpaten-Maradona"
Der erstmals bei der EM in der Startelf aufgebotene Sohn Ianis Hagi deutete an, dass ihm ein bisschen was vom spielerischen Talent in die Wiege gelegt wurde. Ganz im Stile des schlitzohrigen Vaters, einst gerne als „Karpaten-Maradona“ tituliert, provozierte der 25-Jährige einen Kontakt auf der Strafraumgrenze, woraufhin der deutsche Schiedsrichter Daniel Siegbert nach Intervention seines Videoassistenten Bastian Dankert auf den Elfmeterpunkt deutete. Rumäniens Regisseur Razvan Marin wuchtete die Kugel zum 1:1 (37.) in die Maschen, um den Rückstand durch Ondrej Duda (24.) zu egalisieren. Als sich Blitz, Donner und Regen verzogen hatten, folgten die Jubelstürme beider Kontrahenten. Rumänen und Slowaken tanzten vor ihrer Kurve ausgelassen.
Schon vorher war klar, dass beiden ein Remis zum Weiterkommen reichen würde, doch hinterher redete sich insbesondere Iordanescu bei diesem Thema noch einmal in Rage. Wie habe man einen Nichtangriffspakt wie bei der „Schande von Gijon“ zwischen Deutschland und Österreich bei der WM 1982 vermuten können? „Schon vor dem Spiel so zu reden und den Mannschaften und den Spielern solche Vorwürfe zu machen, ist eine Schande. Wir haben gezeigt, dass wir Charakter haben. Rumänien spielt immer mit Charakter. Wenn wir verloren hätten, wären wir auch mit Würde heimgefahren.“
Rumänische Spieler als Vorbild für die Jugend
Seine Spieler seien ein Vorbild für die Jugend, für Fußballer und Fußballerinnen, betonte der Coach, der natürlich die wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land kennt. Seine Auswahl könne ein Ansporn sein. Motto: Wer gut arbeitet, wird ordentlich belohnt. Weiter aber wollte der Fußballlehrer den Bogen nicht spannen. Bei der Frage zur gesellschaftspolitischen Bedeutung dieses Erfolgs verschanzte er sich lieber hinter einer eigentlich überholten Floskel: „Politik ist Politik. Fußball ist Fußball.“