Ja was denn nun? Die Lehren aus dem 3:3 gegen England
Das aufregende 3:3 gegen England liefert Hansi Flick Rückschlüsse für die WM. An einem Spieler wird er kaum mehr vorbeikommen. Thomas Müller sagt derweil Thomas-Müller-Sachen.
Kurzzeitig schien Jens Lehmann tatsächlich auf der richtigen Spur zu sein. Der Mann, der in Deutschland seinen Ruf als streitbarer und intelligenter Fußballer erst kultivierte, um ihn dann nach der aktiven Karriere wie mit einer Kettensäge zu verunstalten, sollte vor dem Spiel das richtige Ergebnis vorhersagen.
Und weil Lehmann eben auch gerne Reizpunkte setzt, kündigte er am Stadionmikrofon in Wembley an, die deutsche Mannschaft werde mit 3:0 gewinnen. Die britischen Fans reagierten recht zurückhaltend. Seit seiner Zeit beim FC Arsenal nennen sie ihn "Mad Jens".
Als dann aber die deutsche Mannschaft mit 2:0 führte, war man geneigt, der Weisheit zu folgen, wonach häufig nur der Harlekin die Wahrheit ausspricht. Weil sich nun aber am Ende dieses sich spektakulär entwickelnden Spiels Engländer und Deutsche beim Stand von 3:3 gegenüberstanden, durfte sich Lehmann nicht für seine prophetischen Fähigkeiten feiern lassen. Wie auch die beiden Teams keinen Anlass für Jubelgesten sahen. Zu wirr war der Spielverlauf, als dass sich ein Team wirklich über das dann doch gerechte Unentschieden von Herzen freuen konnte.
Jamal Musiala ist der große Gewinner des Länderspiels
Es war eines dieser Einerseits-Andererseits-Spiele, das Trainern genug Videomaterial hinterlässt, um ihren Spielern Versäumnisse zu verdeutlichen - und auf der anderen Seite Positivbeispiele zur Nachahmung liefert. Die mutigen Dribblings von Jamal Musiala beispielsweise waren nicht nur aus ästhetischer Sicht ansprechend, eines von ihnen führte auch zur 1:0-Führung der Deutschen.
Der von Teilen der Anhängerschaft schon vor dem Spiel mit Buh-Rufen bedachte Harry Maguire wusste den Körpertäuschungen nicht anders zu begegnen als mit einem hilflosen Tritt auf den Fuß. Ilkay Gündogan verwandelte den Elfmeter souverän. Und weil eben jener Maguire nur kurz darauf den Ball gegen eben auch wieder jenen Musiala verlor und der Ball über Timo Werner und Kai Havertz im Netz landete, machte der Münchner einen großen Schritt in Richtung Stammplatz, während Maguire weiter in der Gunst der britischen Fans sank.
"Jamal hat heute in vielen Situationen gezeigt, was ihn auszeichnet. Genau das brauchen wir. Dann auf einmal hast du eine andere Spielsituation, der Gegner ist offen und du hast dann Räume, wo man reingehen kann", lobte Hansi Flick den Münchner verdientermaßen.
Durch den strahlenden Musiala verdeutlichte sich allerdings auch der Schatten in der Defensive. Innerhalb von nur elf Minuten machten die Engländer aus einem 0:2 ein 3:2. Neben Nachlässigkeiten im Stellungsspiel bei den ersten beiden Gegentoren war es ein unnötiger Tritt Nico Schlottebecks auf das Bein seines Dortmunder Mannschaftskameraden Jude Bellingham der die Wende begünstigte, da Harry Kane den folgenden Elfmeter wuchtig ins Tor schoss.
Deutsche Nationalmannschaft profitiert von Torwartfehler
Das eine Halbzeit lang aus verständlichen Gründen beinahe teilnahmslose Publikum hatte das Stadion zu diesem Zeitpunkt zu einem wild lärmenden Orkan gemacht. "Die drei Tore dürfen nicht passieren", fasste Hansi Flick das aufregende Treiben zusammen und zu seiner relativen Gelassenheit dürfte beigetragen haben, dass Havertz in der 87. Minute einen Fehler von Torwart Nick Pope ausnutzte und den von dessen Brust abprallenden Ball zum 3:3 verwertete.
Trotz des späten Ausgleichs "überwiegt der Ärger", sagte hernach DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Flick hob hervor, dass es "positiv war, dass wir zurückgekommen sind" und Thomas Müller schließlich war das alles herzlich egal: "Das Gefühl, das wir jetzt haben, wird nicht entscheidend sein, wenn wir ins erste Spiel gehen." Dieses erste Spiel ist für Müller der deutsche WM-Auftakt am 22. November gegen Japan. Geht es nach Englands Kapitän Harry Kane gehen die Deutschen dann als einer der Favoriten ins Turnier. "Sie sind eine der besten Mannschaften der Welt", sagte der Stürmer nach dem 3:3. Nimmt man die 20 Minuten nach der Halbzeit, ist das eineseits richtig - andererseits dauert ein Fußballspiel eben mindestens 90 Minuten.
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