Just an Ihrem 71. Geburtstag im Dezember ist der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter gestorben. Er war eine der Triebfedern hinter dem Boykott westlicher Staaten der Olympischen Spiele 1980 in Moskau, dem sich die BRD angeschlossen hat.
THOMAS BACH: Nicht eine, die Triebfeder.
Sie vertreten seit damals die Position, dass der Sport sich politisch neutral verhalten müsse. Diese Haltung hat Ihnen oft Kritik eingebracht. Zuletzt bei der Frage, ob russische Sportlerinnen und Sportler unter neutraler Flagge bei den Olympischen Spielen in Paris an den Start gehen dürfen. Sie durften. Mit etwas Abstand: Halten Sie diese Entscheidung immer noch für richtig?
BACH: Ja. Der Boykott 1980 hat mich geprägt und prägt mich bis heute. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum wir in Moskau nicht gegen Franzosen oder Italiener antreten durften, um noch einmal eine Goldmedaille zu gewinnen, weil die Sowjetunion Truppen nach Afghanistan geschickt hat. Boykotte widersprechen dem Sinn des Sports und sind politisch wirkungslos. Deshalb sind sie sinnlos.
Sinnlos?
BACH: Kein Olympia-Boykott hat jemals etwas bewegt. Als Ausnahme wird immer der Ausschluss Südafrikas aufgeführt ...
Das Land wurde wegen seiner Apartheid-Politik 1962 ausgeschlossen und durfte erst nach dem Ende des Regimes 1992 wieder an Olympischen Spielen teilnehmen.
BACH: Das war aber eine weltweite und gesellschaftsübergreifende Bewegung. Es gab keinerlei wirtschaftliche, politische oder kulturelle Beziehungen zum Land. Das war etwas völlig anderes als ein bloßer symbolischer Sportboykott.
Welche Rolle kann das IOC in einer immer komplexeren Welt spielen?
BACH: Die, die unserer Mission entspricht: Die Welt in einem friedlichen Wettstreit zu vereinen. Wir haben zuletzt in Paris erlebt, wie sehr das von der Weltöffentlichkeit erwartet wird. Bei einer unabhängigen Umfrage unter 9300 Menschen aus 15 Ländern haben 78 Prozent gesagt, dass in solch konfrontativen und kriegerischen Zeiten Olympische Spiele wichtiger denn je sind. Und 75 Prozent sagten, dass es dem IOC gelungen ist, die Welt in Paris in einem friedlichen Wettstreit zu vereinen. Hier schließt sich der Kreis der Argumentation: Um das zu können, muss das IOC politisch neutral sein.
Gibt es im Rückblick auf die elfeinhalb Jahre an der Spitze des IOC eine Entscheidung, mit der Sie hadern?
BACH (LACHT): Wenn, dann würde ich sie nicht vor dem Ende meiner Amtszeit benennen. Ich bin mir sicher, dass viele Beobachter nicht nur mit einer hadern. Man kann nicht jedermanns Liebling sein, wenn man sich mit komplexen Problemen auseinandersetzen muss.
Was verbuchen Sie sich als größten Erfolg Ihrer Amtszeit?
BACH: Es ist uns in Paris in dieser enorm schwierigen weltpolitischen Lage gelungen, Athletinnen und Athleten aus den Territorien aller 206 Nationalen Olympischen Komitees bei den Spielen dabei zu haben. Ukrainer und Athleten mit russischem Pass genauso wie Israelis und Palästinenser. Das ist ein Beleg dafür, dass wir mit unseren Positionen, gerade den kontroversen und viel diskutierten, auf dem richtigen Pfad sind.
Kränkt es Sie, dass positive Entwicklungen während Ihrer Amtszeit von der breiten Öffentlichkeit nicht stärker wahrgenommen werden?
BACH: Es gibt Medienschaffende in Deutschland, die nicht nur die Erfolge nicht sehen, sondern sie – im Gegenteil – gar nicht sehen wollen. International sieht es ganz anders aus.
Klimawandel und weltweiter Temperaturanstieg sorgen dafür, dass die Winter kürzer, die Schneetage weniger werden. Welche Zukunft haben die Olympischen Winterspiele?
BACH: Das IOC hat sich klar zum Pariser Klimaabkommen bekannt. Wir haben die Kohlenstoffemissionen bei den Spielen in Paris im Verhältnis zum Durchschnitt vorheriger Spiele halbiert. Und unser Olympisches Haus in Lausanne war bei der Eröffnung 2019 eines der nachhaltigsten Gebäude der Welt. Wir wissen, dass der Wintersport mit dem Klimawandel zu kämpfen hat und immer weniger Orte in der Lage sein werden, Winterspiele auszurichten. Das Interesse am Schneesport lässt nach, während das am Eissport eher wächst.
Was bedeutet das?
BACH: In Zukunft werden die Olympischen Winterspiele häufiger an mehr als nur einem Ort stattfinden, so wie es 2026 mit Mailand und Cortina d‘Ampezzo der Fall sein wird. Auch, weil wir im Sinne der Nachhaltigkeit vorhandene Sportstätten nutzen wollen.
Trotz dieses Wunsches seitens des IOC wird in Cortina d‘Ampezzo gerade eine neue Bobbahn gebaut. Da muss Ihnen doch die Hutschnur hochgehen.
BACH: Die ist uns hochgegangen. Das haben wir mehr als deutlich gemacht, aber wir müssen mit der Entscheidung der Italiener leben. Es wäre aberwitzig, wenn wir die neue Bahn in Cortina dann nicht für die Wettbewerbe nutzen würden. Das wäre wiederum sinnlose Symbolpolitik.
Sie haben die kurzfristigen Perspektiven der Winterspiele angesprochen. Wie sieht es mit den mittel- und langfristigen aus?
BACH: Wir fragen uns: Muss am Programm gearbeitet werden? Ist eine noch stärkere Trennung in der Organisation zwischen Schnee- und Eissportarten notwendig? Empfiehlt sich ein Rotationssystem unter einigen wenigen Austragungsorten?
Sehen Sie die Chance, dass in absehbarer Zeit Olympische Spiele wieder nach Deutschland kommen? 2040 ist im Gespräch.
BACH: Ich würde mich riesig freuen, wenn es mal wieder Olympische Spiele in meinem Heimatland gäbe. Bisher gibt es aber noch keine Bewerbung.
Sollte diese kommen, werden Sie wohl nicht mehr im Amt sein. Fürchten Sie den Tag, an dem Ihr Wort nicht mehr das gewohnte Gewicht hat?
BACH: Nein. Jedenfalls im Moment nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine zwölf Jahre dauernde Amtszeit ein guter Zeitraum ist, um zu gestalten, um Dinge zu vollenden und um die Ergebnisse zu erleben. Jetzt sind neue Impulse nötig. Ich bin mit mir im Reinen und hoffe, ich bleibe es auch hinterher.
Welcher Job reizt Sie noch?
BACH: Keiner
Welche Aufgabe?
BACH: Eine ähnlich umfassende Aufgabe wie die des IOC-Präsidenten werde ich nicht mehr übernehmen. Andererseits werde ich nicht untätig bleiben. Das ist im Sinne des Bestands meiner Ehe auch erforderlich. Claudia und ich sind seit fast 50 Jahren verheiratet, in denen ich immer viel unterwegs war. Wenn ich nun jeden Tag zu Hause sitzen würde, könnte das unangenehme Folgen haben (lacht).
Lausanne wurde vor einigen Jahren von einem britischen Magazin zur weltweit besten Stadt mit bis zu 200.000 Einwohnern gewählt. Werden Sie hier in der Schweiz wohnen bleiben oder zieht es Sie zurück in die Heimat, nach Tauberbischofsheim?
BACH: Mit diesem Prädikat könnte höchstens noch Würzburg mithalten. Claudia und ich freuen uns, wieder öfter dort – und damit ein bisschen näher an Freunden und der Familie – zu sein. Wir werden jedoch weiterhin auch ein Bein in der Schweiz haben, allerdings nicht in Lausanne. Ich möchte es meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin nicht antun, dass der Alte noch jeden Tag um die Ecke kommt.
Ist der erste Termin für die oft zitierte Skat-Runde mit Freunden schon angesetzt?
BACH: Die wollen wir auf jeden Fall wieder aufleben lassen. Ich fürchte nur, dass ich in den ersten Runden furchtbar ausgenommen werde.
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