Unser Reporter blickt zurück: Das war Olympia in Peking 2008
Olympische Spiele in China – gar nicht lange her. Es war Sommer, das Motto "Eine Welt, ein Traum". Und für uns berichtete Peter Deininger. Er erinnert sich.
Es ist eine kleine Atempause im "Hamsterrad" eines Olympia-Reporters: Kein Mensch sitzt an diesem Tag Mitte August 2008 auf der Terrasse des Gästehauses in Peking, es ist auch am Abend noch warm, die Luftfeuchtigkeit hoch. Tausende von Zikaden bieten rund um den kleinen See ein vielstimmiges Konzert – Balsam für die Seele vor der nächsten Hetze von Termin zu Termin.
Olympia ist immer Akkordarbeit, in der chinesischen Hauptstadt bewegt sich der Journalist in einer besonders abgeschotteten Parallelwelt aus Sicherheitsschleusen und Absperrzäunen, zusätzlich beäugt von Heerscharen von Soldaten und aus einer Vielzahl von Kameras.
Die XXIX. Olympischen Spiele 2008 sind für die chinesische Führung die willkommene Gelegenheit ihr Land als Nation des Fortschritts und nicht als Knüppeldiktatur in den Blickpunkt zu rücken.
Zur Eröffnung gab es schon 2008 eine bombastische Show
"Eine Welt, ein Traum" heißt der vollmundige Slogan. Spiele der Harmonie sind offiziell angesagt, wer will da schon über Menschenrechte und Unruhen in Tibet reden? Die Herrscher im Reich der Mitte ganz bestimmt nicht. Sie setzen auf die eindrucksvolle Wirkung ihrer bombastischen Show im Zeichen der fünf Ringe.
Das beginnt schon bei der Eröffnungsfeier für die über 11.000 Sportler aus 204 Nationen. Spektakuläre Massenchoreografien mit 14.000 Darstellern im architektonisch außergewöhnlichen Stadion mit dem Spitznamen "Vogelnest" sollen zeigen, dass China angekommen ist im Kreis der Weltmächte, nicht nur im Sport.
Dafür werden perfekte Bilder geliefert: Um die mit Feuerwerksraketen in den Himmel gezauberten "Fußabdrücke" perfekt zu präsentieren, werden im internationalen Live-Fernsehbild auch Aufzeichnungen integriert. Der schöne Schein steht im Vordergrund, die Wirklichkeit ist Nebensache, wenn sie nicht in die Propaganda der allmächtigen chinesischen kommunistischen Partei passt.
Für die Chinesen ist Olympia 2008 ein nationales Aufputschmittel
Dazu gehören auch Zugangsschranken im Internet. Offenheit wird im Reich der Mitte ganz anders interpretiert als in Europa. Für die Chinesen ist Olympia 2008 ein nationales Aufputschmittel: Spektakuläre Sportstätten und die Erfolge der heimischen Sportler sorgen für den kollektiven Adrenalinschub. Mit 48 Goldmedaillen lässt China die USA und Russland im Medaillenspiegel hinter sich, sieben Millionen Zuschauer können sich über zwei Wochen lang vor Ort vom Organisationstalent der Gastgeber überzeugen.
Die Leitung der deutschen Delegation tröstet sich mit Rang fünf im internationalen Medaillen-Ranking und einer Steigerung auf 16 Goldmedaillen gegenüber den Spielen 2004 in Athen. Allerdings dauert es vier Tage, bis zum ersten Mal die deutsche Hymne in der chinesischen Hauptstadt ertönt. Am 12. August 2008 fischt der Augsburger Slalomkanute Alexander Grimm Gold aus dem künstlichen Kanal im Shunyi-Kanupark. "Ein Traum ist wahr geworden", jubelt der Maschinenbau-Ingenieur, nachdem er sich mit einem Schlag ins Rampenlicht befördert hat.
Der Wildwasserspezialist lässt damals nur allzu gerne die unerwartete Woge der Begeisterung über sich ergehen. "Ich bin erst 21 und war beileibe kein Favorit. Denn der Druck, der auf einem lastet, ist enorm." Jede Nation darf nur ein Boot ins Rennen schicken. "Da die Fahrzeiten der beiden Endläufe addiert wurden, kam es in erster Linie darauf an, konstant zu paddeln", gibt der Kajakfahrer Einblick in seine Taktik.
Nach dem ersten Lauf ist der Schwabenkanute auf Rang vier notiert. "Die Strecke war nicht nur wegen ihrer Wasserwucht sehr schwer, sondern manchmal auch unberechenbar. Die Bedingungen wechselten ständig", so beschreibt er damals die Umstände. Als der Augsburger in den Finallauf startet, zeigt er Nervenstärke. Der Tanz zwischen den Torstäben wird zum energiegeladenen Paddelfeuerwerk. "Zeitweise war es wie im Rausch", so der Olympiasieger über seine Handarbeit in den Fluten.
Grimms Märchen ist wahr geworden. Er bekommt schnell zu spüren, was eine Goldmedaille bedeutet. "Olympia ist für uns Slalomkanuten grundsätzlich etwas Außergewöhnliches, wenn man dann auch noch gewinnt, dauert es schon seine Zeit, bis man das alles realisiert hat."
Die Spiele von Peking haben auch andere deutsche Athleten in bester Erinnerung. Schwimmerin Britta Steffen gewinnt im Becken zweimal Gold, der Gewichtheber Matthias Steiner sorgt für einen der emotionalsten Momente in Fernost, als er nach seinem Sieg ein Foto in die Kamera hält und damit an den Tod seiner Ehefrau erinnert.
Nowitzki war für die Chinesen der Größte
Aus der Sicht der chinesischen Gastgeber ist ein anderer Sportler der Star der deutschen Mannschaft. Erinnerungsfotos mit Basketballer Dirk Nowitzki, dem 2,13 Meter langen NBA-Profi der Dallas Mavericks, sind ein begehrtes Gut, obwohl die deutschen Basketballer bereits nach der Vorrunde die Heimreise antreten müssen.
Für die großen Schlagzeilen bei Peking 2008 sorgen ohnehin ein Jamaikaner und ein Amerikaner. Usain Bolt gewinnt in der Leichtathletik dreimal Gold. Über 100 Meter sprintet er in einer Mischung aus Überheblichkeit und Talent zum Weltrekord von 9,69 Sekunden. Sein großer Vorsprung weckt neben Bewunderung auch wieder Zweifel, ob bei dem Triumph alles rechten Dingen zugegangen ist.
Strahlemann Bolt lässt sich von Doping-Gerüchten nicht beeindrucken und fügt seiner Peking-Sammlung die Titel über 200 Meter und mit der 4 x 100-Meter-Staffel von Jamaika hinzu. Er gewinnt in seiner Karriere achtmal Olympiagold, eine Zahl, die einen wie Michael Phelps nur müde lächeln lässt. Der US-Schwimmer geht in Peking in die olympische Geschichte ein und verbessert mit acht Siegen sogar die eindrucksvolle 1972er Bilanz von Mark Spitz in München (siebenmal Gold). Am Ende seiner Karriere thront der lange US-Boy mit 23 Siegen auf dem Thron der olympischen Geschichte.
Auch das IOC muss sich eingestehen, dass manche Erwartung an das Peking-Epos allzu blauäugig war
Von solchen Zahlen kann Hürdensprinter Liu Xiang nur träumen. Der Chinese gewann 2004 Olympiagold, 2008 in Peking soll seine Karriere vor heimischem Publikum ihren spektakulären Höhepunkt erreichen. Aber vor den Belastungsgrenzen des menschlichen Körpers müssen sogar die sonst so allmächtigen chinesischen Machthaber kapitulieren. Bei Liu streikt die Achillessehne und keiner kann es ändern. Deshalb ist bereits vor dem Vorlauf in Peking Schluss. Im Reich der Mitte fließen die Tränen. Die PR-Show der umtriebigen Organisatoren hat ihren tragischen Helden.
Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) muss sich eingestehen, dass manche Erwartung an das Peking-Epos allzu blauäugig war. "Großartig" nennt die IOC-Führung die Leistung der Gastgeber.
Doch mit der symbolischen Kraft des Sports wollten die Olympier die Chinesen dem westlichen Wertesystem näherbringen und müssen hinterher enttäuscht feststellen, dass die politische Kluft sogar noch viel größer geworden ist.
Das fehlende Demokratieverständnis der Chinesen ist für das IOC kein Grund, dem Staatspräsident Xi Jinping die kalte Schulter zu zeigen, und so darf Peking nun also die Winterspiele organisieren, weil es fast keine anderen Bewerber dafür gab. Das wird für die Gastgeber kein Vergnügen wie 2008 werden. Corona und die laute Kritik aus dem Ausland dämpfen die Stimmung. Auch im Medaillenspiegel dürfte China keine große Rolle spielen. Da bleiben wohl sogar die Zikaden stumm.
Die Diskussion ist geschlossen.