Würde diese Geschichte nicht gerade genau so passieren, man müsste sie erfinden: Erfolgreiche Skirennfahrerin beendet Karriere verletzungsbedingt. Fährt sechs Jahre kein Rennen. Während dieser Zeit werden Teile ihres ramponierten rechten Knies durch eine Prothese ersetzt. Kehrt gegen alle Widerstände zurück auf die Piste. Fährt im reifen Sportlerinnenalter von 40 Jahren bald schon wieder ganz vorn mit. Lindsey Vonn schreibt diese Geschichte. Spätestens seit dem vergangenen Wochenende hat sie auch den größten Zweiflern klargemacht, dass sie zurück in der Weltspitze ist. In St. Anton raste sie in der Abfahrt auf Platz sechs, im Super-G wurde sie Vierte.
Erst einmal war die Kritik an Lindsey Vonn vehement
Was hatten sich die Ski-Helden von gestern über das Vonn-Comeback echauffiert? Verarschung nannte es Markus Wasmeier, sein österreichisches Pendant Franz Klammer bescheinigte der US-Amerikanerin gar, einen Vollschuss zu haben. Mediziner wiesen auf die Risiken hin, sich mit einer Knieprothese die steilsten und eisigsten Hänge hinabzustürzen, wo Geschwindigkeiten weit jenseits von 100 Kilometern pro Stunde erreicht werden. Gewaltige Kräfte wirkten dort auf das Knie. Die Folgen könnten fatal sein.
Vonn wiederum wirkte in dem ganzen Trubel so, als perle das alles an ihr ab. Erst in St. Anton ließ sie durchblicken, dass das nicht so war und ist. Voller Genugtuung sagte sie nach den Rennen, dass dies ihre Antwort gewesen sei. „Das ist ein großer Tag für mich, der Wahnsinn.“ Und fügte an, dass sie taktisch zwar schon wieder die Alte sei, nur körperlich sei sie noch nicht bei 100 Prozent. Es klang wie eine Drohung.
Der ehemalige Weltklassefahrer Marco Büchel begleitet den Ski-Weltcup als Experte für das ZDF. Gegenüber unserer Redaktion bezeichnete der Kitzbühel-Sieger von 2008 das Comeback als „sehr, sehr spannendes Projekt“. Erstmals könne Vonn ihr Knie wieder komplett schmerzfrei belasten. „Ich kann nachvollziehen, dass sie sagt: Lass uns mal herausfinden, was da noch möglich ist ohne Schmerz. Auf der anderen Seite ist die Frau 40, was in diesem Sport ein fortgeschrittenes Alter ist. Insofern denke ich mal, dass sie weiß, was sie tut und ich vertraue ihr - und sie nimmt ja niemandem irgendwas weg. Insofern finde ich es als Zuschauer cool.“
Marco Büchel ist kein Fans von Comebacks
Dabei sei er eigentlich gar kein Fan von Comebacks, sagt Büchel. „Ich habe das so gelernt: Du trittst zurück, du akzeptierst es und du hast keine Chance, zurückzukommen. Aber ich beobachte es natürlich mit Interesse.“ Zumal die Aktion dem Skirennsport zahlreiche Schlagzeilen beschert. Das galt auch für die Rückkehr des Österreichers Marcel Hirscher, der ebenfalls zum Beginn dieser Saison wieder im Weltcup aufgetaucht war. Möglich gemacht hatte das ebenfalls eine neue Regel des Ski-Weltverbandes, die besonders erfolgreichen ehemaligen Athletinnen und Athleten ein spezielles Rückkehrrecht einräumt. Hirscher allerdings, der in den technischen Disziplinen unterwegs ist, fuhr in den ersten Rennen hinterher und riss sich dann im Training das Kreuzband.
Büchel über Vonn: „Traue ihr eine WM-Medaille zu“
Vonn hingegen scheint fast nahtlos an ihre „erste“ Karriere anzuknüpfen, in der sie 82 Weltcupsiege sammelte. Das war so lange Rekord, bis ihre Landsfrau Mikaela Shiffrin vorbeizog. Die 29-Jährige steht mittlerweile bei 99 Erfolgen, muss momentan aber verletzt pausieren. Offen ist, ob sie bis zur Weltmeisterschaft im Februar im österreichischen Saalbach-Hinterglemm wieder fit wird. Für Vonn ist die WM in greifbarer Nähe. „Sie ist in diesem Winter immerhin die zweitbeste Amerikanerin. Sie wird sicher in Saalbach am Start sehen“, sagt Büchel. Im vergangenen Herbst habe er sie beim Training beobachten können, „und erwartet, dass sie Top 15 fährt, wenn es super läuft, einmal Top zehn. Dass jetzt aber alles so gut läuft, überrascht mich positiv.“ Die jüngsten Eindrücke aus St. Anton würden Vonn nun sogar zu einer Kandidatin für WM-Edelmetall machen. Büchel: „Nach dem, was ich gesehen habe, traue ich ihr eine Medaille zu.“ Wenn ihr das nicht schon in Saalbach-Hinterglemm gelingt, dann doch spätestens im nächsten Winter, wenn die Olympischen Spiele in Mailand und Cortina anstehen. Diese seien mit Sicherheit Vonns langfristiges Ziel.
Bleibt die Frage, was die Konkurrenz vom Comeback der US-Amerikanerin hält. Die Italienerin Federica Brignone, die die Abfahrt in St. Anton gewann, sagte danach: „Es ist ein unglaubliches Comeback. Ich hatte echt die Befürchtung, dass sie gewinnt.“ Für Büchel sind die jüngsten Erfolge vor allem ein Denkanstoß: „All diejenigen, die in der Ergebnisliste hinter ihr sind, die dauerhaft trainiert haben und Rennen gefahren sind, müssen sich jetzt Fragen gefallen lassen. Immerhin kommt da eine 40-jährige Frau, die sechs Jahre nicht gefahren ist, und fährt denen um die Ohren. Da kann man sich schon mal Gedanken machen.“
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