Wenn eine Mannschaft richtig gut spielt und trotzdem verliert, heißt es gemeinhin, dass sie an ihre Grenzen gestoßen ist. Man kann das aber auch umdrehen. Denn es gibt Mannschaften, die nicht unbedingt überzeugen – aber dennoch gewinnen. Was wiederum bedeutet, dass sie eine gewisse Qualität mitbringen. Nämlich eine stabile Leistung, die ausreicht. Gepaart mit einem gewissen Selbstverständnis und der Fähigkeit, die Ruhe zu bewahren und in keinen finsteren Mix aus Furcht und Verkrampfung zu verfallen.
An diesem Punkt scheinen vor dem zweiten WM-Vorrundenspiel am Freitag (20.30 Uhr, ZDF) gegen die Schweiz die deutschen Handballer angekommen sein. Als Beleg dienen der 35:28-Sieg des Olympia-Zweiten zum Turnierauftakt über Polen und der unaufgeregte Umgang mit dem verletzungsbedingten Ausfall von Spielmacher Juri Knorr Mitte der zweiten Halbzeit. Es war am Ende ein ungefährdeter Erfolg. Aber eben auch einer, der eigentlich „zu hoch“ ausfiel, wie Torwart David Späth anmerkte.
Handball-WM 2025: Der Einsatz vor Juri Knorr ist noch offen
Da die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) aber seit „Olympia immer ein gewisses Niveau“ abruft, wie Rückraumspieler Luca Witzke betonte, gelingen auch Siege ohne Glanz. Ein paar „Kleinigkeiten“ hätten in der ersten Halbzeit gefehlt, fuhr der Leipziger fort. Trotzdem führte das Team mit 15:14 und legte eine Kaltblütigkeit an den Tag, die man von diesem Team lange Zeit nicht kannte. Oder anders ausgedrückt: Die Leistung war zwar eher kein Bizeps-Emoji auf dem WM-Spielplan, aber eben doch ein Signal. Und die Botschaft dahinter lautet: Der Ist-Zustand reicht aus, um Gegner wie Polen zu besiegen. Nun geht es darum, dass Potenzial zuverlässig abzurufen. Denn 100 Prozent sind nach wie vor der Anspruch – und kein Richtwert.
„Hinten raus sind wir zu unseren Tugenden zurückgekommen. Und dann können wir selbst solch ein Spiel noch mit sieben Treffern Differenz gewinnen“, sagte Witzke nach der Polen-Partie. Er sprach von einem gewachsenen „Vertrauen in unsere Stärken“ und dem „Wissen, dass es auch mal schlechte Phasen im Spiel gibt“. Und wenn man diese Momente „so gering wie möglich“ halte, sei allen klar, „dass wir immer eine sehr große Siegwahrscheinlichkeit haben“.
Gegen die Schweiz gilt für das DHB-Team: mehr Spielkontrolle und weniger Wilder Westen
Im Notfall sogar ohne Topstar Knorr. Wenngleich es danach aussieht, dass es den 24-Jährigen am Mittwoch nicht schlimmer erwischt hat. „Es sieht positiv aus“, sagte Benjamin Chatton am Donnerstag. Es könnte sein, dass Knorr bereits am Freitag wieder zur „Verfügung steht“, verbreitete der DHB-Teammanager Zuversicht, auch wenn er „keine komplette Entwarnung“ geben könne.
Ob mit oder Knorr – am Freitag können die Deutschen gegen die Schweiz schon den Einzug in die Hauptrunde perfekt machen und vielleicht auch für eine spielerische Befreiung von der ersten Minute an sorgen. Zum WM-Auftakt habe man „zu doll“ zeigen wollen, „dass wir es so können wie im Sommer bei Olympia“, meinte Renars Uscins. Was dann ein bisschen nach Brechstange und nach Kopf durch die Wand aussah. Dabei wollen die Deutschen doch mit dem Köpfchen durch die Wand, also überlegt und abgeklärt auftreten. Mit einem Plan und einer Strategie. Es geht um mehr Spielkontrolle und weniger Wilder Westen. So wie in der zweiten Halbzeit gegen Polen.
Damit sich das fortsetzt und vielleicht sogar zum Standard wird, empfahl Uscins, sich vom Olympia-Erlebnis zu lösen, damit sich die Mannschaft „nicht unnötig viel Druck“ mache. „Wir dürfen uns selbst die Messlatte nicht zu hochlegen.“ Sonst sehe es so aus wie im ersten Durchgang, als der „Anspruch“ und der „Wille“, genauso wie in Paris und Lille zu spielen, zu einer gewissen „Nervosität“ geführt habe. Die Reaktion darauf fiel indes bemerkenswert aus und zeigte sich im neuen Selbstverständnis. Als Ergebnis von gemachten Erfahrungen.
„Enttäuschungen, Erfolg - und groß Spiele“, zählte Uscins die gemeinsamen Erlebnisse auf: „Daran wächst man – und das sind wir auf jeden Fall. Da war Olympia so wichtig, in dieser Hinsicht haben wir zwei Entwicklungsschritte nach vorne gemacht.“ Weshalb es nun gelte, weiterhin „selbstbewusst zu sein“. Man müsse das sogar, meint der Hannoveraner. Er fordert das ein: „Wir wissen schließlich, was wir können – und darauf müssen wir uns beschränken.“
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