Ein Besuch bei der Adelsfamilie Prideaux wirkt unglaubwürdiger als jeder Rosamunde-Pilcher-Film. Zunächst öffnet sich knarrend ein fast 500 Jahre altes Schlosstor, das noch immer mit demselben Schlüssel aufgeschlossen wird wie zu Lebzeiten von William Shakespeare. Dahinter steht Nicholas Pagan Prideaux-Brune, der in 33. Generation von Wilhelm dem Eroberer (1027 oder 1028-1087) abstammt.
In Prideaux Place in Padstow an der Nordküste von Cornwall geht es durch einen holzvertäfelten Saal, in dem der Erbauer des Schlosses, Sir Nicholas Prideaux (1550-1627), etwas blasiert aus seinem goldenen Rahmen herabschaut. Dann öffnet sich eine weitere Tür, und man blickt direkt in den spätfeudalen Alltag der Familie Prideaux.
Prideaux Place hat es in Deutschland zu einiger Bekanntheit gebracht, denn es ist einer der meistgenutzten Drehorte für die Pilcher-Produktionen des ZDF - aber längst nicht der einzige.
Vor dem Kamin thront in einem gewaltigen Ohrensessel der hochbetagte Patriarch Peter John Nicholas Prideaux-Brune, bewacht von zwei großen Hunden. In der gegenüberliegenden Ecke hält seine Gemahlin Elizabeth die Stellung. Ihr zu Füßen spielt die Enkelin Kara.
Das ist das Besondere an diesem Schloss mit 46 Schlafzimmern: Auch wenn man es besichtigen kann, ist es keineswegs ein Museum, sondern Wohnort von drei Generationen.
Während man tief im Sofa versinkt, schweift der Blick über eine perfekte Filmkulisse: dicke Teppiche, schwere Vorhänge, angestaubte Gemälde - aber auch zerknitterte Zeitungen, Malstifte und Geschirr auf dem Tisch.
Peter Prideaux hat sogar selbst schon kleine Rollen übernommen, etwa als Leichenbeschauer, Tourist und Gin-Tester. "Wir kennen das Filmteam so lange, wir vertrauen ihm blind", sagt Nicholas.
Elizabeth war in ihrer Jugend eng mit Rosamunde Pilchers Tochter befreundet. Auch die Schriftstellerin selbst, gebürtig in Lelant in Cornwall, hat sie gut gekannt: "Es war eine sehr, sehr nette Frau - und so witzig."
Dank der Pilcher-Filme am Sonntagabend sind mittlerweile 70 Prozent der anrückenden Reisebusse aus Deutschland. "Es ist ein nicht mehr wegzudenkender Teil unseres Lebens geworden", sagt Nicholas. Im Schloss finden sich deutschsprachige Hinweisschilder, und die Touristen werden von deutschsprachigen Guides durch die Säle geleitet.
Anreise:
Einzige Nonstop-Verbindung in die Grafschaft, nach Newquay an der Nordküste von Cornwall, unterhält in den Sommermonaten Eurowings ab Düsseldorf. Am Flughafen Newquay kann man sich einen Leihwagen mieten. Viele deutsche Touristen kommen mit dem eigenen Pkw.
Einreise:
Deutsche Urlauber brauchen seit dem Brexit einen Reisepass. Der Personalausweis reicht nicht.
Die Pilcher-Drehorte:
Prideaux Place:
Englischsprachige Touren durch das Schloss zwischen 11 und 15 Uhr müssen nicht vorab gebucht werden, deutschsprachige schon (office@prideauxplace.co.uk). Preis: 15 Pfund (17,50 Euro), Kinder zahlen 5 Pfund (6 Euro).
Eden Project:
Der Eintrittspreis für Erwachsene ist mit 33 Pfund (38 Euro) recht happig, lohnt aber. Der Besuch ist tagesfüllend.
"Fowey Hall Hotel":
Zimmer mit Frühstück ab 375 Pfund (436 Euro).
Die tendenziell älteren Besucherinnen und Besucher kommen wohl in erster Linie, um die Landschaft im englischen Südwesten einmal mit eigenen Augen zu sehen. Wilde Rosen und zerklüftete Felsküsten, urige Cottages und verwitterte Feldsteinmauern - diese Szenerie ist in der Realität genauso schön wie auf dem Bildschirm.
Allerdings fällt auch auf, was im Pilcher-Kosmos ausgeblendet wird: Die Mehrheit der Bevölkerung verbringt ihr Dasein nicht gerade in Herrenhäusern. Cornwall ist eine der ärmsten Regionen des Landes. Wenn man von den Hauptgeschäftsstraßen in den Touristenorten nur ein klein wenig abzweigt, bilden oft leer stehende Ladenlokale und heruntergekommene Wohnhäuser die Kulisse.
Auffällig oft sieht man auf öffentlichen Neubauten noch den Hinweis "Realisiert mit Mitteln aus dem Europäischen Entwicklungsfonds". Doch das ist seit dem Brexit Vergangenheit. Warum die Einwohner von Cornwall 2016 trotz jährlichen 100 Millionen Pfund Fördergeldern aus Brüssel und starker Abhängigkeit vom Tourismus mit deutlicher Mehrheit für den Austritt gestimmt haben, bleibt wohl auf ewig ihr Geheimnis.
Praktisch alle Orte, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Pilcher-Filmen zu Ehren gekommen sind, lohnen einen Besuch. Nicht wenige liegen in der benachbarten Grafschaft Devon, etwa das karge Naturgebiet Dartmoor oder der pittoreske Seglerhafen Dartmouth.
Und es kann sogar geschehen, dass plötzlich eine Limousine vorfährt und King Charles und Queen Camilla aussteigen. Sie winken den Urlaubern zu, diese winken zurück. Am Ende übergibt ein kleines Mädchen einen Strauß, ein General salutiert - und dann geht's für das Königspaar auch schon weiter.
Der nahe Golfstrom schenkt Cornwall ein palmenfreundliches Klima. Das lässt nicht nur viele Privatgärten geradezu subtropisch aussehen, sondern inspirierte wohl auch Cornwalls Haupttouristenattraktion: das Eden Project - ein ganzer Regenwald unter Kunststoffkuppeln, mitgegründet von Musikproduzent Tim Smit und Drehort für den Rosamunde-Pilcher-Film "Land der Sehnsucht".
Und dennoch fehlt noch etwas vom echten Rosamunde-Pilcher-Flair. Wo sind die Herren im Tweed-Sakko und die Frauen mit Sommerhut? Die gibt es durchaus, aber wer in ihre Reihen vordringen will, muss sich das ein bisschen was kosten lassen.
Etwa eine Übernachtung in "Fowey Hall" in der Kleinstadt Fowey, einem Herrenhaus mit grandiosem Ausblick aufs Meer, das sich kinderfreundlich gibt. Der Frühstückssaal ist morgens um 8 Uhr erfüllt von den Stimmen der Allerkleinsten, assistiert von ihren nicht ganz ausgeschlafen wirkenden Eltern. Gegen 9 Uhr folgen dann die Familien mit älteren Kindern.
Nachmittags knistert in der Lobby ein Kaminfeuer, im holzvertäfelten Salon flackern Kerzen. Bei Scones mit Erdbeermarmelade und Clotted Cream ist die Atmosphäre nun so unwirklich englisch, dass im nächsten Moment auch Harald Schmidt als Lord Hurrleton um die Ecke biegen könnte, den er in Episode 135, "Ein Doktor und drei Frauen", verkörperte.