Mehrmals nutzte er schon die Bühne in der Alten Synagoge in Binswangen für sein musikalisches Wirken. Jetzt genoss er wieder einmal das besondere Ambiente des einstigen jüdischen Gotteshauses, um mit Blues und Boogie ein fachlich versiert wirkendes Publikum für sich einzunehmen: der Pianist Thomas Scheytt aus Freiburg. Ursprünglich kommt er aus der Klassik und hat dann seine Liebe zu einem ganz anderen Genre entdeckt. Er absolvierte neben der Musik Studien der Germanistik, Geschichte und Philosophie. Der jugendliche Musikbegeisterte übte sich einst aber auch im Orgelspiel an seinem Heimatort, wo der Vater evangelischer Pfarrer war.
Wenn der Mittsechziger durch den Mittelgang der Synagoge einen kleinen Sprint hinlegt, drahtig auf die Bühne springt, dann scheint er so, als sei die Zeit kaum merklich an ihm vorübergegangen. Da sind noch die wuscheligen Haare, mittlerweile mit grauen Fäden durchzogen, der Schnauzer und die Lackschuhe mit den roten Bändeln, da ist aber auch diese sprühende Jugendlichkeit und die ungebändigte Leidenschaft am Piano-Solo.
Pianist Thomas Scheytt fegt mit den Fingern über die Flügeltasten
Was er einspielen nennt, ist bereits das Eintauchen in ein Konzertprogramm mit vielen Eigenkompositionen von einer unglaublichen Bandbreite. Die Finger von Thomas Scheytt fegen noch immer wie ein musikalischer Tsunami über die Tasten und man bangt kurzzeitig wieder einmal um den Sailer-Flügel im Raum. Die Angst von Hausmeister Rupp, dass das Instrument zerlegt wird, erweist sich später als unbegründet.
Der Freiburger Pianist beweist erneut seine Virtuosität und seine Fantasie. Er versteht es, den Blues authentisch zu präsentieren. Wenn er seine Augen schließt, dann ist er in seiner imaginären Welt, die er dem Publikum so gerne zu Füßen legen möchte. Das kraftvolle Spiel von Scheytt hat in all den Jahren seines musikalischen Wirkens aber auch gar nichts eingebüßt. Der verrückte Kerl lässt dabei seine Beine im Takt einen kleinen Marathon absolvieren. Das Publikum amüsiert sich königlich dabei. Und der Pianist braucht am Feierabend kein Fitnessstudio mehr.
Der Tastenkünstler erzählt spannende Geschichten am Klavier, die viel Autobiografisches enthalten. Er schwärmt dabei von der Blumenstraße in Freiburg, wo er gerne sinnierend hinausschaut. „Flowerpower-Street“ nennt er seine Komposition. Er lässt die Höllentalbahn zwischen Freiburg und Schwarzwald musikalisch schnaufen. Niemand entlockt einer Eisenbahn solche Töne wie er. Liebeserklärungen an die Heimat von einem Vollblutmusiker in Klang gebettet, der den Abend auch erklärend zur Geschichte von Blues und Boogie nutzt.
Wenige Zuhörerinnen und Zuhörer in der Synagoge Binswangen
Thomas Scheytt lebt diese Musik, er ist ihr geradezu verfallen. Wenn er seinen „Fifty-Dollar-Boogie“ interpretiert, dann tanzen die Beine der Konzertbesucher. Applaus brandet von den leider viel zu wenigen Zuhörern auf, so, als wären es 500 in der Synagoge. Ein „Ragtime“, wird hinzugefügt. „Traurig, dass er heutzutage nur noch wenig gespielt wird“, bedauert der Pianist. Seine Verehrung für den Jazzpianisten Randy Newman drückt er dann mit dem überarbeiteten Klassiker „You have got a friend in me“ aus.
Die Zuhörer erleben beim Konzert Spannung und Dynamik, herrliche Tastenläufe und eine Emotionalität, die nie von der Routine überlagert wird. Diese perlenden Anschläge und transparenten Akkorde des „Philosophen am Klavier“, wie die Kritik schon schwärmte, klingen lange bei den Gästen des musikalischen Ereignisses nach.
Und dann das Zuckerl zum Abschied für das Auditorium: „Georgia on my mind“. Scheytt freut sich am Ende wie ein Kind über Standing Ovations.
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