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Schach: Wenn die Prinzessin den König jagt

Schach

Wenn die Prinzessin den König jagt

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    Familiensport, durchaus auch an Heiligabend: Schach-Talent Annika Giss (vorne) zieht die stärkste Figur auf dem Spielbrett. Neben und hinter ihr Schwesterchen Sonja und Marlene.
    Familiensport, durchaus auch an Heiligabend: Schach-Talent Annika Giss (vorne) zieht die stärkste Figur auf dem Spielbrett. Neben und hinter ihr Schwesterchen Sonja und Marlene. Foto: Günter Stauch

    Als der Inder Dommaraju Gukesh vor wenigen Tagen in Singapur als jüngster Weltmeister den Schach-Thron bestieg, hatte der 18-jährige gerade Ding Liren besiegt. Dem unterlegenen Titelverteidiger aus China nutzten auch dessen Sekundanten nichts, also weitere Großmeister wie etwa der Ungar Richard Rapport, die solche Stars in Spielpausen mit ihrer Expertise bei Spiellaune und im Rennen halten sollen. Norwegens Magnus Carlsen, zehnfacher Titelträger, glänzte durch Abwesenheit.

    Die Schachwelt wird, so scheint es, von den Mannsbildern dominiert. Zumal die Weltranglistenerste Hou Yifan aus China oder die beste Deutsche, Elisabeth Pähtz, selten die Schlagzeilen füllen. Wer wissen will, wo eigentlich die Damen nicht nur auf, sondern auch am Schachbrett stehen, möge an einem frühen Freitagabend im Lehrsaal des Dillinger Kulturzentrums Colleg nachschauen. Weibliche Dominanz, so weit das männliche Auge an den Tischen entlang reichen kann. Das lässt auf Gutes hoffen auf eine künftig ausgewogenere Zusammensetzung am Karomuster. Erst recht, wenn dort Annika Giss aus Wertingen sitzt und über den nächsten Zug einer Schachfigur nachdenkt.

    Bei der WM in Italien mischt das Talent vorne mit

    Auch die Vorbilder der Neunjährigen, deren Spielstärke von ihrem Umfeld und den bisherigen Leistungen zufolge als höchst erfolgversprechend eingeschätzt wird, tragen männliche Namen: „Magnus Carlsen und meine beiden Onkels“, heißt es kurz und bündig aus dem Mund des dunkelblond-gelockten Mädchens, dessen Erfolge bayern- wie bundesweit aufhorchen lassen. Vor wenigen Tagen durfte Annika, die erst seit drei Jahren am Spielbrett Platz nimmt, bei der WM der U 10-Mädchen im ostitalienischen Montesilvano mitmischen. Neben frischer Meeresluft konnte internationale Wettkampfatmosphäre geschnuppert werden. Mit dabei die Weltbesten ihrer Generation. Und natürlich „Lieblingstrainer“ und Papa Arthur, dessen Name seit Jahren fest zur bayerischen Schachszene gehört. Mama Helene, ebenfalls 35 Jahre jung, steht seit einem Vierteljahrhundert genauso für gute Züge. Ihr Papa Herbert Nuber wiederum, ein bekannter Allgemein- und Sportmediziner, macht als Betreuer und bekennender Fan aller dieser Akteure das illustre Team komplett.

    Familiensport eben. Apropos: Wie die Notwendigkeit von Schachspielerinnen wurde in der 1500 Jahren alten Geschichte des aufregenden Figurenduells auch immer wieder die Sportlichkeit dieser Disziplin infrage gestellt. Vor allem hier wurden engere Maßstäbe angelegt wie zum Beispiel bei Dart oder Skat. Dabei erfüllt Schach als schnellstes Spiel der Welt viele sportliche Kriterien wie Zugänglichkeit, Leistungsprinzip, Regeln, Organisationsstruktur sowie Internationalität. Die Leistungsstärke kommt mit der sogenannten Elo-Zahl zum Ausdruck, die nach dem ungarischen Erfinder benannt wurde. Eine Reduktion auf den Denksport fällt zudem zu kurz aus, denn am Brett entstehen auch physische Reaktionen wie etwa gesteigerte Atemfrequenz, höherer Blutdruck sowie eine höhere Herzleistung, wodurch der Körper mehr Sauerstoff verbraucht als normal. Das bekommt jeder zu spüren, der schon einmal ein mehrstündiges Match zurückgelegt hat und sich an die körperliche Erschöpfung und Müdigkeit erinnert. Dieser – positive – Stress kann sogar Pfunde purzeln lassen, wie zahlreiche Studien ergeben haben. Danach können Profis über einen längeren Zeitraum auch mal bis zu 6000 Kalorien am Tag verbrennen. Und so lange still sitzen bleiben, will auch geübt werden.

    „Möchte Programmierer oder Ärztin werden“

    Womit wir wieder bei Annika Giss aus Wertingen wären. „Es gab lange Partien, täglich dreieinhalb Stunden“, berichtet die kleine, große Schach-Hoffnung Annika nach ihrer Tour durch das weltmeisterliche Turnier in Italien. Dort, mit „Gegnerinnen“ aus Staaten, in denen der Nachwuchs Tag und Nacht in speziellen Internaten auf Wettkampf gedrillt wird, herrschte Annikas Mutter zufolge erst mal nur das olympische Motto: „Dabei sein ist alles“. Und wird noch einiges mehr folgen. Weiß mit Manfred Forscht ein erfahrener Player, der den SC Dillingen – einer von vier Schachclubs in der Region – ein halbes Jahrhundert angeführt hat. Voller Respekt spricht er von den bisherigen Leistungen der 1,44 Meter messenden Schach-Athletin: „So jemand kommt in Bayern nicht so oft vor“, staunt der Sach-Senior über die junge Spielerin und Schülerin der vierten Grundschul-Klasse. Er erwarte, dass sie schon bald über seine Spielstärke verfügen werde. Die Angesprochene zählt zu ihren Freizeitbeschäftigungen neben dem Zugspiel auf dem Karree auch Harfe spielen, Schwimmen und Lesen. Dass sie gerne läuft, springt und wirft, dürfte ihrem Haupthobby kaum abträglich sein. Dafür kann es die Bayerische Vizemeisterin 2023 schon mal mit Pizza, Burger und Schnitzel mit Pommes krachen lassen. Als klares Ziel behält sie viele weitere Erfolge am Brett im Auge. Aber: „Ich möchte einmal keine Berufsspieler werden, sondern wie Papa und Mama Programmierer oder Ärztin“, ist sich Annika Giss mit ihrem einnehmenden Lächeln sicher.

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