
Handwerkskammer-Chef: "Die Wirtschaft hält das nicht länger durch"

Plus Der Lockdown trifft das Handwerk massiv, sagt Hans-Peter Rauch. Welche Öffnungsperspektive er fordert und wieso ein Friseurbesuch aus seiner Sicht sicher ist.

Herr Rauch, wie ist die Lage im Handwerk nach einem Jahr Corona-Krise? Lange Zeit standen Sie im Vergleich zu anderen Branchen sehr stabil da.
Hans-Peter Rauch: Ich muss klar sagen, dass sich die Stimmung und die Lage komplett gedreht haben. Im ersten Lockdown vergangenes Frühjahr waren vor allem die Friseure betroffen, während sich andere Handwerksbetriebe stabil halten konnten. Heute aber sagt jedes viertes Handwerksunternehmen in Schwaben, dass es ihm schlecht geht. Bei einem Drittel der Betriebe sind die Umsätze rückläufig, jeder zweite Betrieb meldet Auftragsrückgänge. Da läuten die Alarmglocken.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Rauch: Hart hat es im Handwerk unsere Friseure und Kosmetiker getroffen, deshalb ist es gut, dass sie jetzt, ab 1. März öffnen können. Den Friseuren wurde verboten, ihr Geschäft aufzumachen und das trotz aller starken Hygienekonzepte. Die finanziellen Folgen sind das eine. Das Schlimmste für einen Unternehmer ist aber, wenn er nichts unternehmen darf und zusehen muss, wie seine Mitarbeiter keine Arbeit haben. Da kann ich verstehen, wenn Menschen aggressiv werden.
Aggressiv? Was ist passiert?
Rauch: In der Handwerkskammer führen wir jeden Tag dutzende Telefonate. Häufig verstehen die Menschen angesichts der Corona-Maßnahmen es nicht mehr, warum sie eine Tätigkeit nicht ausüben dürfen. Warum darf zum Beispiel ein Supermarkt alle Waren verkaufen, während ein Fachgeschäft den Laden nicht öffnen darf? Wenn aber die Menschen die Maßnahmen nicht mehr verstehen, wird es für die Politik schwierig.
Die Friseure dürfen ja nun wieder öffnen. Ist damit alles gelöst?
Rauch: Es leiden Handwerksunternehmen, bei denen man es auf den ersten Blick nicht vermutet. Bäckereien mussten ihre Café-Bereiche schließen, dort fehlt massiv Umsatz. Ein anderes Beispiel aus eigener Erfahrung: Ich betreibe mit meiner Metzgerei ein Caterer-Geschäft, dieses liegt brach. Brauereien können kein Bier an die Gastronomie liefern, den Fotografen ist das Geschäft weggebrochen, weil kaum größere Events oder Hochzeiten stattfinden. Kritisch kann es mittelfristig auch für Installateure oder Schreiner werden. Wenn Unternehmen sparen und Hotels oder Gasthäuser weniger Aufträge vergeben, trifft es diese Betriebe. Wir werden die Krise noch lange in der Zukunft merken!

Wie sind Sie im eigenen Betrieb damit umgegangen, dass Umsätze fehlen?
Rauch: Aus dem Catering-Geschäft fehlen mir 500.000 Euro Umsatz aus dem Jahr 2020. Zum Teil konnte das die Metzgerei kompensieren, weil die Menschen mehr Lebensmittel eingekauft haben, um zuhause zu kochen. Hilfen habe ich nicht beantragt. Wenn ich keine Hilfe brauche, nehme ich sie auch nicht in Anspruch.
Kamen die staatlichen Hilfen im Handwerk denn an?
Rauch: Unsere Friseure mussten zum Beispiel die Soforthilfe im ersten Lockdown nutzen. Dies hat gut funktioniert. Schwierig ist die Lage bei den aktuellen Programmen wie dem Überbrückungsgeld III. Es ist nicht verantwortbar, dass man in unserem hochmodernen Land einen Antrag lange Zeit nicht abschicken konnte, weil die Software nicht arbeitet! Ein Ausgleich für eine Zwangsschließung muss zeitnah kommen. Das Geld muss rasch auf dem Konto sein, nicht viele Wochen später. Es ist eine Fehlleistung der Politik, etwas anzukündigen, das dann nicht funktioniert.
Immer wieder ist vor der Insolvenzwelle gewarnt worden, befürchten Sie auch im Handwerk, dass Betriebe verloren gehen?
Rauch: Lange war ich überzeugt, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen. Inzwischen befürchte ich, dass auch Handwerksbetriebe in die ein oder andere Insolvenz laufen könnten oder dass sie zum Teil Mitarbeiter nicht mehr beschäftigen können, auch wenn das Kurzarbeitergeld uns bisher hilft.
Welche Öffnungsperspektive könnten Sie sich vorstellen? Diese Woche sprechen ja die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel darüber.
Rauch: Die Aufgabe der Politik ist es jetzt, einen Weg aufzuzeigen, den sie gehen will und der schnell schrittweise Öffnungen vorsieht. Die Wirtschaft hält das nicht länger durch. Mit Verboten kommen wir nicht mehr weiter.
Wie könnte ein Fahrplan für die Wirtschaft aussehen?
Rauch: Ich halte es für sinnvoll, dass Öffnungen an das Infektionsgeschehen geknüpft werden. Ein solcher Stufenplan muss alle Branchen berücksichtigen – auch den Handel und die Gastronomen. Das Handwerk hängt indirekt an vielen anderen Unternehmen. Abhängig von den Infektionszahlen müssen Öffnungsschritte möglich sein. Ab ersten März ist bei den Friseuren ein Kunde pro 10 Quadratmeter erlaubt. Wenn die Infektionszahlen sinken, könnte die Quadratmeterzahl gesenkt werden. Wir brauchen solche pragmatische Lösungen! Leider sind heute viele politische Entscheidungsträger weit entfernt von der Praxis.
Jetzt steigen aber eher die Infektionszahlen als dass sie sinken. Es kann sein, dass der Inzidenzwert von 35, der als Voraussetzung für Öffnungen im Handel gilt, so schnell nicht erreicht wird...
Rauch: Jeder versteht, dass Öffnungen nicht machbar sind, wenn die Infektionszahlen explosionsartig steigen. Bleibt die Lage aber im Griff, halte ich nichts davon, sich steif an Zahlen zu klammern. Gegebenenfalls kann man Hygienemaßnahmen verschärfen. Vor allem brauchen wir eine Lösung, die für eine ganze Region gilt. Es hat keinen Sinn, zum Beispiel in Augsburg die Läden geschlossen zu halten, weil ein bestimmter Inzidenzwert überschritten wird, in den umgebenden Landkreisen aber alles zu öffnen, weil der Wert schon unterschritten ist. Dann beginnt ein Einkaufstourismus, wie er zwischen Bayern und Baden-Württemberg droht, wenn hier die Baumärkte öffnen, im anderen Bundesland aber nicht.
Wie bereiten sich die Friseur-Betriebe auf die Öffnung vor?
Rauch: Die Erleichterung bei den Friseuren ist groß, dass sie öffnen können. Die Betriebe führen nun zum Teil Sonderschichten ein. Was nicht mehr passieren darf, ist, dass wir wieder komplett schließen müssen. Ein dritter Lockdown wäre der Super-GAU. Das halten die Betriebe nicht mehr durch.
Bekommen die Friseure das Corona-Ansteckungsrisiko in den Griff?
Rauch: Der Hygiene bei den Friseuren hat funktioniert und wird wieder funktionieren. Jeder Friseur hat ein Hygienekonzept erstellt. Bei 80.000 Betrieben in Deutschland sind nur wenige Fälle bekannt, in denen es zu einer Ansteckung gekommen ist.

Nach der Corona-Krise wird die Wirtschaft Schub brauchen. Was bräuchte das Handwerk?
Rauch: Ich warne davor, dass am Ende die Unternehmen den Preis der Krise allein zahlen müssen. Teilweise wird in der Politik ja über höhere Sozialbeiträge oder höhere Steuern nachgedacht. Viele Unternehmer im Handwerk – gerade in kleinen Betrieben– haben ihr privates Kapital genommen, um die Krise zu überstehen. Neue Belastungen wären der Genickbruch für viele Firmen.
Was sind Ihre Anliegen?
Rauch: Wir müssen die Sozialbeiträge bei 40 Prozent des Lohnes deckeln. Kosten verursacht zum Beispiel auch die neue CO2-Steuer für den Klimaschutz. Wir dürfen die Belastung nicht zu hochschrauben, sonst werden Betriebe aufgeben müssen. Die Corona-Krise unterzieht die Kommunalfinanzen einem Stresstest. Ich hoffe, dass die Kommunen aber weiter in Schulen und die Infrastruktur investieren können. Von diesen Aufträgen lebt das Handwerk.
Wie kann man sich das Ausbildungsjahr 2021 vorstellen? Kommen die jungen Leute und die Betriebe zusammen?
Rauch: Das ist eine meiner ganz großen Sorgen, wir müssen alles dafür tun, um keine Generation an Bildungsverlierern im Handwerk zu produzieren. Fallen Ausbildungsmessen aus, ist der Kontakt zwischen Betrieben und Schülern nicht mehr vorhanden. Der persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Im Moment haben wir einen deutlichen Rückgang der Ausbildungsverträge gegenüber dem Vorjahr, aber ich bin zuversichtlich, dass wir das aufholen. Wir brauchen die jungen Menschen, die ein Handwerk lernen und später vielleicht den Meister machen und einen Betrieb gründen!
Herr Rauch, wir sprechen ja über Video, Sie sind im Homeoffice. Nutzen Sie diesen Weg häufig?
Rauch: Viele Besprechungen finden heute im Homeoffice per Videokonferenz statt. Damit lassen sich Kontakte vermeiden. Aber, um ehrlich zu sein, das Gespräch von Mensch zu Mensch ist mir auf lange Sicht doch lieber.
Im Handwerk ist Homeoffice schwierig, denken wir an Dachdecker oder Heizungsbauer. Wie schaffen Sie trotzdem Sicherheit?
Rauch: Für 80 Prozent der Betriebe ist das Homeoffice kein Thema. Das Handwerk lebt von der Dienstleistung am Kunden. Als Unternehmer müssen strikt darauf achten, die Hygienemaßnahmen einzuhalten. Fahren z. B. zwei Mitarbeiter oder mehr in einem Auto und der Abstand kann nicht eingehalten werden, müssen FFP-2-Masken aufgezogen werden. Die Betriebe haben gelernt, mit der Situation umzugehen.
Wann erwarten Sie wieder Normalität?
Rauch: Falls die Menschen sich impfen lassen – das ist wichtig –, hoffe ich, dass wir nach dem dritten Quartal wieder Tritt fassen können. Wir müssen 2021 darum kämpfen, 2022 wieder Normalität zu haben. Dafür müssen wir positiv nach vorne schauen und lernen, mit der Pandemie zu leben, um sie zu besiegen.
Zur Person: Hans-Peter Rauch, 58, ist seit 2014 Präsident der Handwerkskammer für Schwaben. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Metzgerei Rauch in Waltenhofen-Hegge, Oberallgäu.
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Und? Das habe ich vor 6 Monaten auch schon gelesen. Aber keine Angst. Bundesminister Scholz hat die Büchse/das Füllhorn der Pandora geöffnet - und es ist nicht nur Gutes was da entweicht.