
s.Oliver-Chef Lahrs: „Ich befürchte eine Verödung der Innenstädte“

Plus Der Chef des Modeunternehmens s.Oliver, Claus-Dietrich Lahrs, fordert eine Öffnung des Handels am 8. März. Er droht der Regierung mit einer Klage.

Herr Lahrs, Sie planen, mit s.Oliver Verfassungsbeschwerde gegen den Lockdown im Einzelhandel einzulegen. Was treibt Sie soweit?
Claus-Dietrich Lahrs: Grund ist die gegenwärtige Ungleichbehandlung im Handel. Der Lebensmitteleinzelhandel und die Drogeriemärkte sind geöffnet und erfreuen sich bester Besucherfrequenzen . Der Lebensmittelhandel verkauft mittlerweile auch Bekleidungssortimente. Uns hat man am 16. Dezember dagegen zum zweiten Mal in den Lockdown verbannt. Obwohl wir bereits letztes Jahr alle Hygienemaßnahmen eingeführt haben, um unseren Kunden und der öffentlichen Hand ein gutes Gefühl zu geben, dass aus unseren Geschäften keine Infektionsgefahr ausgeht, werden wir massiv ungleich behandelt. Dagegen behalten wir uns rechtliche Schritte vor.
Der Lockdown hat ja einen Sinn und sollte Kontakte in den Städten beschränken und helfen, Infektionen zu vermeiden...
Lahrs: Das Robert Koch Institut hat bestätigt, dass auf den Flächen des Einzelhandels keine große Infektionsgefahr besteht – egal welche Waren man dort vorfindet. Das ist erwiesen. Weder unter unseren Mitarbeitern noch unter den Kunden haben Virusinfektionen in besorgniserregender Höhe stattgefunden. Deshalb sagen wir: Jetzt reicht's. Wir appellieren an die Politiker: Beendet den Widerspruch von Gesundheit für die Bevölkerung und einer gesunden Wirtschaft.
Haben Sie die Verfassungsbeschwerde schon eingereicht?
Lahrs: Noch nicht, wir prüfen dies ganz genau. Wir beobachten die nächsten Schritte der Regierung. Der 3. März mit der Ministerpräsidentenkonferenz ist dafür ein wichtiger Tag.
Was erwarten Sie von dem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten am 3. März?
Lahrs: Wir haben uns darauf eingestellt, unsere Geschäfte am 8. März wieder zu eröffnen. Dieser Termin ist uns von der Regierung klar signalisiert worden. Die Öffnung des Einzelhandels darf nicht noch einmal verschoben werden. Mit der aktuellen Salamitaktik können wir nichts anfangen. Die Vorbereitungen für die Wiedereröffnung unserer Geschäfte am 8. März laufen bereits auf Hochtouren und erzeugen Kosten. Man kann uns Händler nicht nach Belieben an- und ausschalten! Das bringt uns in finanzielle Probleme.
Wie sehen Ihre Vorbereitungen auf eine Wiedereröffnung aus? Muss man angesichts der wieder ansteigenden Fallzahlen nicht doppelt vorsichtig sein?
Lahrs: Wir sind darauf eingestellt am Montag mit einem siebenstufigen Konzept an Hygienemaßnahmen zu eröffnen, die wir bereits in der Vergangenheit erfolgreich umgesetzt haben. Darüber hinaus sind wir gerne zu weiteren Schritten bereit, zum Beispiel in der Zeit von 10 bis 11 Uhr einer älteren Bevölkerungsgruppe den Zugang zu unseren Geschäften exklusiv zu ermöglichen. Wir wollen kooperieren und bieten auch an, bis Ostern auf Rabattaktion zu verzichten mit dem Ziel, die anfänglichen Besucherströme kontrolliert zu halten. Wir wollen auch schnell eine Schnittstelle zur Luca-App herstellen, um eine gute Kontaktverfolgung zu ermöglichen. Hier könnten wir zusammen mit der Regierung deutlich weiter sein!

Sind Sie mit dem Krisenmanagement der Regierung unzufrieden?
Lahrs: Es macht mich fassungslos, dass wir die digitalen, technologischen Möglichkeiten in der Corona-Krise nicht ausschöpfen. Deutschland ist normalerweise bekannt für Hochtechnologie. Ich erwarte, dass die Regierung ihre Verantwortung trägt durch ein zügiges Impfen der Bevölkerung und den Zugang zu Corona-Selbsttests – so dass sich jeder selbst testen kann, wenn er morgens das Haus verlässt, um in die Schule oder zum Einkaufen zu gehen. Die Wiedereröffnung unserer Geschäfte könnte ein aktiver Beitrag zu mehr Gesundheitsschutz sein.
Wie kann eine Öffnung weiterer Einzelhandelsgeschäfte zum Gesundheitsschutz beitragen?
Lahrs: Der derzeit exklusive Textilverkauf im Lebensmitteleinzelhandel ist ja nicht ideal, er führt nur zu mehr Kundenfrequenzen in den Supermärkten. Wir würden mit der Eröffnung unserer Geschäfte für eine Entspannung im gesamten Einzelhandel sorgen, da sich die Kunden besser verteilen. Wir fordern eine Eröffnungsstrategie, die uns allen erlaubt, mit der Pandemie leben zu lernen!
Die Händler geraten in finanzielle Probleme, sagten Sie. Wie angespannt ist die Lage im Handel bereits?
Lahrs: Inzwischen sind wir in einer gefährlichen Situation. Nicht nur, dass alle Einzelhändler extrem strapaziert sind durch den zweiten Lockdown kurz vor Weihnachten. Nun kommen wir als kerngesundes Unternehmen durch die anhaltenden Schließungen in eine Phase, die uns völlig unnötig im dritten Monat Verluste beschert. Noch stärker trifft es die kleinen Einzelhändler, inzwischen aber auch die großen Marken, die ihr Geschäftsmodell mit täglichen Verlusten nicht fahren können. Damit stellt sich auch die Frage nach der Zukunft unserer Innenstädte.
Wie sieht die Lage konkret für s.Oliver aus?
Lahrs: Bereits die Monate im ersten Lockdown und der Wiederanlauf im Sommer 2020 waren ein erheblicher Einschnitt. Jetzt haben wir seit 16. Dezember 2020 abermals fast 3 weitere Monate harten Lockdowns hinter uns seit 16. Dezember. Das hält kein Geschäft aus, selbst gesunde Unternehmen sind für eine solche Zwangsmaßnahme nicht gewappnet. Es fehlen die finanziellen Ressourcen für Investitionen und die Sicherung der Arbeitsplätze.
Was befürchten Sie für die Innenstädte?
Lahrs: Wir sehen eine große Gefahr für das Leben in den Innenstädten. Wir warnen vor der Illusion, dass nach dem Lockdown Handel und Leben ganz schnell wieder in die Städte zurückkommt, wie es sie in Landesregierungen und auf Bundesebene geben mag. Daher haben wir uns mit den großen Unternehmen unserer Branche in der Initiative „Das Leben gehört ins Zentrum“ organisiert. Wir sind über die Zukunft unserer Innenstädte extrem besorgt. Der Mikrokosmos Innenstadt lebt vom Zusammenspiel aus Einzelhandel, Cafés, Restaurants und Kultur! Der Lockdown im Dezember hat dazu geführt, dass die Innenstädte ausgestorben und trostlos sind und man sich nicht mehr wohl fühlt. Stirbt der Einzelhandel, sterben die Innenstädte! Das ist kein Slogan mehr, sondern eine reale Gefahr.
Werden Läden verschwinden?
Lahrs: Ich gehe davon aus, dass Läden verschwinden und befürchte eine Verödung der Innenstädte. Bekannte Namen von Händlern werden wir nicht mehr antreffen. Noch haben wir gesunde Innenstädte, im Gegensatz zu den USA oder europäischen Nachbarländern. Wenn wir aber die Schließungen von Mode- und Schuhgeschäften wie auch Buchhändlern weiterlaufen lassen, werden wir unsere Städte bald nicht mehr wiedererkennen!

Haben Sie ausreichend finanzielle Hilfen bekommen?
Lahrs: Nein. Bis auf Kurzarbeit haben wir keine Unterstützungsgelder erhalten. Dies gilt auch für die kleinen und mittelgroßen Händler.
Haben Sie bei s.Oliver selbst Hilfe beantragt?
Lahrs: Bis vor kurzem galt der Umsatz von 750 Millionen als Grenze für das Überbrückungsgeld. Wir werden jetzt die Hilfe beantragen. Ich gehe aber davon aus, dass wir sehr geduldig sein müssen, bis Geld bei uns ankommt.
Wäre nach einer Wiedereröffnung am 8. März alles gut?
Lahrs: Nein, wir stellen uns auf eine mühsame Anlaufphase ein. Der Aufwand, damit die Kunden den Weg zurück in die Läden finden, wird enorm groß sein. Zudem gibt es viel unverkaufte Ware aus dem Frühjahr. Wir haben ja seit drei Monaten nichts verkauft! Bei uns und unseren Wettbewerbern hat sich ein enormer Warendruck aufgebaut, der normalerweise nur über Rabatte abgebaut werden kann. Wir stellen uns also auf weitere Monate mit Verlusten ein.
Was passiert mit übriggebliebener Ware? Was stimmt an Gerüchten, dass sie in den Reißwolf wandert?
Lahrs: Das gehört nicht zu unserer Philosophie. Auch in der Corona-Krise stellen wir unsere Grundsätze nicht in Frage. Am Saisonende wird der Bestand zu rabattierten Preisen verkauft, dann kommen unsere Fashion-Outlets. Der überschaubare Teil, der übrig bleibt, wird in Ländern verkauft, in denen man echte Freude auslöst, wenn man ein hochqualitatives Produkt wie ein Sweatshirt, einen Pullover, eine Winterjacke zu wirklich kleinsten Preisen bekommt.
Die Pandemie beeinflusst ja auch, wie wir uns kleiden. Im Homeoffice soll manchmal eher Jogginghose statt Jackett angesagt sein. Stirbt der Anzug durch die Krise aus?
Lahrs: Hochzeiten und Taufen sind gerade zum Stillstand gekommen. Kehren die Feste zurück, wird auch die Nachfrage nach Konfektionskleidung - Kostüme und Anzüge – zurückkommen. Es gibt aber einen Trend zu einem Casual-Kleidungsstil, gerade auch in der Arbeitswelt. Sie können bei s.Oliver weiterhin einen Anzug und ein weißes Hemd kaufen, den Großteil unserer Umsätze machen wir aber mit Casual-Mode.
Ist dies eigentlich gerade die anstrengendste Zeit Ihrer Karriere?
Lahrs: Es gab auch früher anstrengende Zeiten. Krisen kamen und gingen. Aber was wir jetzt erleben, einen solchen politischen Eingriff in unserer Geschäftsmodell, habe ich noch nie erlebt. Ich setze deshalb darauf, dass wir am 8. März eine Normalisierung des wirtschaftlichen Lebens in Verbindung mit allen nötigen Sicherheitsmaßnahmen für unsere Gesundheit finden werden.
Zur Person: Claus-Dietrich Lahrs, 57, ist Chef des Unternehmens s.Oliver aus Rottendorf bei Würzburg. Die Gruppe hat 5100 Mitarbeiter, vertreibt Mode in 356 eigenen und 130 Franchise-Läden sowie bei vielen Partnern und ist in 40 Ländern vertreten.
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