Lucia Klein hat sich gegen das Abitur entschieden – und für einen Wecker, der um drei Uhr morgens klingelt. Mehlstaub und Backöfen bestimmen jetzt ihren Alltag, statt Mathegleichungen und Powerpoint-Folien. Allen Warnungen ihrer Mitschüler zum Trotz entschied sich die 17-Jährige für diesen Weg. Und sie ist glücklich damit.
Nur wenige Treppenstufen trennen die Backstube von der Verkaufstheke der Bäckerei Zinner. Sie liegt in einer Gasse der kleinen Markgrafenstadt Burgau, 15 Minuten östlich von Günzburg. Unten, an einem Holztisch, schlingt Lucia zügig Brezen. Inhaber Justus Zinner sieht dabei zu und erklärt: „Ungefähr 5000 brauchen meine Lehrlinge meistens, bis die Breze richtig sitzt.“

Alle essen Brot und lieben es – Lucia lernt, wie es gemacht wird
Brezeln schlagen ist eine Kunst, die um ein Vielfaches schwieriger ist als viele zunächst annehmen. Da Lucia Klein am Anfang des zweiten Lehrjahrs ist und wohl schon über hunderttausend geformt hat, ist dieses Kapitel für sie abgehakt. Sie kann schon einiges mehr: Zum Beispiel Plunder glasieren und Schokoladenbuttercroissants befüllen. Später wird sie auch Sauerteig- und Hafervollkornbrote backen können.

Rund 21 Kilogramm Brot haben die Deutschen im Jahr 2023 verspeist, wie eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK zeigt. Alle wollen frische Backwaren, auch in Zeiten von Inflation und Krisenstimmung. Wenn Lucia in der warmen Backstube steht, dann sind alle Berichte von Entlassungen und Pleiten in der Wirtschaft weit weg. Sie verdient ihr Brot mit Brot – und das wird immer gebraucht.
Zweimal am Tag wird geschlafen
Vor allem ältere Menschen zeigten sich für ihre Arbeit dankbar, erzählt die 17-Jährige. Was sie selbst daran so erfüllend findet? „Ich backe mit den Händen, und später sehe ich, was ich getan habe.“ Es sei zwar anstrengend, aber nie langweilig, dafür fordernd und abwechslungsreich. Um 3 Uhr fängt Lucia an, der Tag endet meistens gegen 11 Uhr vormittags. Mittags legt sie sich ein, zwei Stunden aufs Ohr und geht danach ihren Hobbys nach: Videospiele spielen, Bogenschießen und sich mit Freundinnen treffen. Gegen 22 Uhr geht sie wieder ins Bett. Sonntags und an Feiertagen wird ausgeschlafen – genauso wie bei den anderen 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bäckerei.

Vier Tage in der Woche hilft sie in der Backstube, der fünfte Tag ist Berufsschule, wo sie das Wichtigste für ihr Handwerk lernt: von der Kunst des Zopfflechtens über Theorie von Ölsaaten bis hin zum Fachrechnen. Keine trockene, unnötige Rechnerei, sondern praktisches. Zum Beispiel: „Wenn ich 100 Semmel backen will, wie viel Kilo Teig sollte ich einplanen und mit wie viel Verlust muss ich rechnen?“
Klassenkameraden sagten: „Du kannst doch mehr aus dir machen“
In die Backstube kam Lucia aber erst über einen Umweg. In der achten Klasse standen mehrere Pflichtpraktika auf dem Lehrplan. Da ihr Kuchen- und Plätzchenbacken schon zu Hause Spaß gemacht hat, schnupperte sie in die Backstube von Justus Zinner. Obwohl es ihr so gut gefallen hat, verwarf sie den Plan Bäckerin zu werden. Auch, weil ihr Freundinnen und Lehrkräfte immer wieder Zweifel einflüsterten. So besuchte Lucia nach der Mittleren Reife die Fachoberschule (FOS) in Augsburg.
„Willst du das wirklich machen?“, sei so ein typischer Satz gewesen. Oder: „Du kannst doch mehr aus dir machen“. Oder: „Behalte das doch als Plan B“. Lucias Eltern haben ihre Tochter bei allem unterstützt. Als dann Lucia nach einem halben Jahr das Handtuch warf, hielten sie ihre Entscheidung, die Ausbildung, also „etwas Gescheites zu machen“, für den richtigen Schritt.

Bäckereichef zu eigener Ausbildung: „Ich war der Depp vom Dienst!“
Lucia wusste, dass sie hier fair behandelt wird. Wäre das anders gewesen, hätte sie sich vielleicht gegen die Ausbildung entschieden. „Ich kenne Leute, die mit dem Gesellenbrief in der Hand plötzlich anders behandelt wurden. Das kann doch nicht das Ziel sein.“

Davon kann ihr Chef Justus Zinner ein Lied singen. Bei seiner Ausbildung – in einem anderen Betrieb – durfte er zweieinhalb Jahre lang keine einzige Breze formen und war nur „der Depp vom Dienst“, wie er es nennt. „Du wirst geknechtet, du hast kein Geld und fühlst dich wertlos“. Deshalb führt er sein 19-köpfiges Team jetzt bewusst anders. Sein Ansatz ist: Alle sind Teil des Systems, und das läuft nur rund, wenn jeder seinen Beitrag leistet. Jeder leistet seinen Beitrag am besten, wenn er sich wohlfühlt.
Bald geht es zum Backen nach Spanien
Ende April darf sie für ein Auslandspraktikum nach Spanien reisen. Im Rahmen einer Gruppenfahrt der Handwerkskammer für Schwaben macht sie einen spanischen Backkurs und taucht dort zweieinhalb Wochen lang in eine Bäckerei ein. Das Programm wird über das „Erasmus+“-Programm der Europäischen Union fast vollständig bezahlt.
In Berufsausbildung ins Ausland? HWK bietet kostenlose Beratungen
Theoretisch sind Auslandsaufenthalte in allen erdenklichen Lehrberufen möglich, teilt Ulrike Beck, Mobilitätsberaterin der Handwerkskammer, mit. Wichtig sei nur Eigeninitiative der Azubis und das Einverständnis des Betriebes und der Berufsschule. Später will Lucia vielleicht den Meister machen oder, wer weiß, mit Fachkenntnissen aus dem Ausland einen eigenen Betrieb gründen. Jetzt ist sie jedenfalls mit dem, was ihre Lehrerin „Plan B“ nannte, glücklich.
Der Beruf in Kürze:
- Berufsbild: Bäckerinnen und Bäcker fertigen aus hochwertigen Rohstoffen und mithilfe genauer Rezepturen ein breites Angebot an Backwaren.
- Voraussetzung: es gibt keinen vorgeschriebenen Mindestschulabschluss. Interessierte sollten sorgfältig und gerne im Team arbeiten. Idealerweise fällt das frühe Aufstehen leicht.
- Ausbildungsvergütung pro Monat (brutto): 1. Lehrjahr: 1020 Euro, 2. Lehrjahr: 1090 Euro, 3. Lehrjahr: 1230 Euro
Tipp: Wer eine Lehrstelle sucht, kann hier eine kostenlose Anzeige aufgeben: www.leo-verbindet.de. Freie Stellen findet Ihr über die LEO am 22. März.
Frage ich mich natürlich, von welchen Warnungen hier die Rede sein solle? Das klingt für mich allein danach, dass man dem Handwerk keine bzw. wenig Bedeutung beimisst bzw. die Arbeit scheut! Scheinbar möchte jeder Hinz und Kunz eine höhere Schulbildung, ohne sich darüber im klaren zu sein, was bzw. wohin es ihn überhaupt zieht. Genügend Abbrecher gibt es ja. Nichts gegen höhere Schulbildung, jeder kann bzw. könnte, aber etwas mehr Realitätsbezug und Einschätzung der eigenen Wünsche und Möglichkeiten wären schon angebracht. Aber auch die Gesellschaft sollte sich der Bedeutung, des Wertes des Handwerks bewusst sein!
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