Elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle fallen laut der offiziellen Statistik jedes Jahr in Deutschland an. Zwar ist unklar, wie viel davon noch genießbare Nahrungsmittel waren. Zu dieser Menge zählt auch Nicht-Essbares wie Nuss- und Obstschalen, Strünke und Blätter, Kaffeesatz oder Knochen. Als sicher gilt aber, dass ein Großteil der Abfälle noch essbare Lebensmittel waren und auf diese Weise enorme Mengen an Ressourcen verschwendet werden.
Um etwas dagegen zu unternehmen, hat der im vergangenen Jahr vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat Ernährung dem Parlament empfohlen, eine verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel im Gesetz zu verankern. Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte ab einer Größe von 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sollten demnach verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel, die sie sonst entsorgen würden, an gemeinnützige Organisationen, wie zum Beispiel die Tafeln, und für gemeinnützige Zwecke weiterzugeben.
Das Lebensmittelrecht schafft hohe Hürden
Die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger sind nun im Parlament gelandet. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat sich in einem Expertengespräch mit dem Vorschlag befasst. Dabei wurde vor allem eines deutlich: Es fehlt nicht am Willen der beteiligten Parteien. Aber das Lebensmittelrecht ist noch immer blind für diese Art der Abgabe von Lebensmitteln. Deswegen erschweren Regeln zur Haftung und über die Sicherheit der Produkte den Ausbau der schon seit Jahrzehnten geübten Praxis in Deutschland.
Bereits im Frühjahr hat das Haus von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ein umfassendes Gutachten zu der Frage vorgestellt, wie diese rechtlichen Hürden abgebaut werden können. Ein großes Problem sind etwa Haftungsfragen: Bei der Umverteilung von Lebensmitteln an Endverbraucherinnen und -verbraucher müssen alle Regeln für die Produkte eingehalten werden, die auch beim regulären Verkauf von Lebensmitteln gelten. Daher haben sowohl die Spender, als auch die annehmenden karitativen Sorge, Fehler zu machen.
Ein Beispiel dafür ist etwa das Mindesthaltbarkeitsdatum: Der Handel muss bei umzuverteilenden Lebensmitteln laut Gesetz „gewährleisten“, „dass die verbleibende Haltbarkeitsdauer ausreicht, um eine sichere Umverteilung und Verwendung durch die Endverbraucherinnen und -verbraucher zu ermöglichen“. Im regulären Verkauf darf er Produkte dagegen ohne Auflagen bis zum Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums verkaufen.
Die Tafeln brauchen mehr Unterstützung
Auch die von den Parteien eingeladenen Experten im Ausschuss sprachen sich mehrheitlich für Verbesserungen des bestehenden Systems und gegen eine neue Pflicht aus. So warnte etwa die Agrarwissenschaftlerin Melanie Eva-Maria Speck von der Hochschule Osnabrück vor neuer Konkurrenz zwischen ehrenamtlichen Abnehmern von Lebensmittelspenden und kommerziellen Anbietern, die dann einen neuen Markt für sich entdecken könnten. Auf die Situation in Niedersachsen bezogen, berichtete Speck zudem von einer drohenden Überforderung der Tafeln, die sich auf das Ehrenamt stützten. Wenn die Lebensmittelmengen und der Kreis der Kunden stark steigen, könne die Verteilung auf Dauer kaum sichergestellt werden, dies habe sich in der Ukrainekrise gezeigt.
Philipp Hennerkes vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels betonte den Wunsch, die Zusammenarbeit mit den Tafeln fortzuentwickeln. Dafür müssten die Tafeln aber auch besser ausgestattet werden, was die Bereiche Logistik und Lagerung angehe. Zudem halte der Handel die Entwicklung von Plattformen für sinnvoll, die transparent machen, wann und wo welche Spenden anfallen.
Für die Tafeln selbst begrüßte Regina Treutwein, Bereichsleiterin Lebensmittelrettung und Logistik, das Ziel einer gesetzlichen Klarstellung. Wichtigstes Anliegen der Tafeln sei aber, dass die Weitergabe genießbarer Lebensmittel „rechtlich sicher“ sein und sich auch für alle Unternehmen in der Lebensmittelwertschöpfungskette finanziell lohnen müsse. Ein Beispiel dafür gibt es bei der Kaffeesteuer: Wird der Kaffee vernichtet, fällt keine Steuer darauf an, wird er gespendet, muss er versteuert werden, was die Spende unattraktiv macht.
Ein wichtiger Punkt wurde in der Debatte auch klar: Der Großteil der Lebensmittelabfälle entsteht mit 59 Prozent (6,5 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten. Nur 14 Prozent der Verluste entstehen auf der Ebene des Groß- und Einzelhandels. Schuld daran sind auch die Erwartungen der Verbraucher: Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern wird seltener gekauft und an der Brottheke soll auch kurz vor Ladenschluss möglichst alles verfügbar sein. Dass Lebensmittel aufgrund gesundheitlicher Risiken ausgesondert werden, passiert im Handel eher selten.
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