Hubert Aiwanger geht in die Hocke, er hat beide Arme am Boden, und ein bisschen schaut es so aus, als sei er für einen Sprintstart in die Knie gegangen. Allerdings wird hier kein Rennen ausgetragen, sondern Bayerns Wirtschaftsminister hat einen Ortstermin. Neben ihm, vor der sogenannten „Power Swap Station“ im Sortimo Innovationspark, hockt Hui Zhang, Vizepräsident Europa des chinesischen E‑Autoherstellers NIO. Der Manager erklärt Aiwanger, wie hier in rund drei Minuten die komplette Batterie vollautomatisch ausgetauscht wird. Interessiertes Nicken, Nachfragen. Rechts an der Wand hängt ein riesiges Plakat: „Blue Sky Coming“ - der Firmenslogan für eine „strahlende und nachhaltige Zukunft“.
In Aiwangers politischem Leben war der politische Himmel schon mal blauer. Seine Freie Wähler scheiterten im Februar bei der Bundestagswahl, im März wird sein Gesetzesentwurf zum Ausbau der Windkraft vom Wirtschaftsausschuss des Landtages ausgebremst - deutliche Kritik vom Koalitionspartner CSU inklusive. Dann stellte Aiwanger sich gegen die Reform der Schuldenbremse, und knickte doch ein. Zugleich begleitet Aiwanger latent die Kritik, dass der niederbayerische Landwirt zu viel Klientelpolitik macht, aber insgesamt zu wenig strategisch für den Wirtschafts- und Industriestandort Bayern tut.
Markus Söder will 2028 wieder antreten - und Aiwanger?
Wer sich in der Landeshauptstadt umhört, kommt zu dem Ergebnis: Gegen einen Zwischensprint des Ministers wäre nichts einzuwenden. Das Gaspedal mehr durchdrücken, heißt es, könne Aiwanger schon. In Berlin tritt eine neue Regierung an, Deutschland soll wirtschaftlich neu durchstarten. Und zugleich ist die Legislaturperiode in Bayern bald schon zur Hälfte rum und im nächsten Frühjahr stehen die Kommunalwahlen an. Während Aiwanger in Zusmarshausen an der A8 steht und sich die Finessen des NIO-Wagens erklären lässt, bringt sich Ministerpräsident Markus Söder in München bereits in Stellung. Er will 2028 wieder antreten und weiter Ministerpräsident bleiben.
Termine, wie den bei NIO absolvieren Spitzenpolitiker wie Aiwanger zu Dutzenden im Monat. Er ist seit Jahren dabei und macht das routiniert wie geschmeidig. Dass der FW-Chef mit Leuten gut kann, immer ansprechbar, fleissig und zugänglich ist, bestreitet niemand. Der NIO-Termin ist hier keine Ausnahme.
3100 Batterie-Wechsel-Stationen gibt es weltweit
Sicher, sagt der 54-Jährige mit dem breiten Idiom, viele Menschen, die ein E-Auto wollten, sorgten sich um die Reichweite. Ein Wagen, bei dem man die ganze Batterie in so kurzer Zeit austauschen könne, sei bequem Insofern sei das eine „sehr gute Idee“, die hier vermarktet würde. Sie könne dazu führen, dass sich Kunden leichter täten auf E-Autos umzusteigen. Ob es auch so etwas, wie einen Lebensmittelautomaten im Wartebereich gäbe, will Aiwanger noch wissen, damit die Leute den Batteriewechsel mit einer Wurstsemmel überbrücken könnten.
3100 der NIO-Stationen sind weltweit bereits in Betrieb, 59 in der Europäischen Union, in Deutschland sind es 19, fünf in Bayern. Die Station in Zusmarshausen war 2022 die Erste. Das Netzwerk soll wachsen, so wie NIO. Das Unternehmen begreift sich als „Pionier auf dem Markt für intelligente Elektroautos im Premium-Segment“. Gegründet wurde es 2014 in Shanghai. 2015 war NIO eines der ersten chinesischen E-Startups, das sich - vermittelt von bayerischen Ansiedlungsagentur Invest in Bavaria - in München ansiedelte. In Ismaning und Bogenhausen sind mehr als 300 Mitarbeiter beschäftigt. Konkrete Verkaufszahlen für Deutschland nennt das Unternehmen indes nicht.
Wie ist die Rolle Bayerns zwischen China und den USA?
Die heikleren Fragen nach den Zöllen, nach der schwierigen Rolle Bayerns in der EU zwischen den Fronten des amerikanisch-chinesischen Handelskrieges, handelt Aiwanger beim anschließenden Pressebriefing locker ab. Bayern lehne Strafzölle ab. Die bayerische Wirtschaft kaufe die meisten Waren aus China und verkaufe am meisten in die USA. Insofern sei es der nachvollziehbare Wunsch, möglichst wenige internationale Zölle zu haben, sonst werde man doppelt getroffen. Und sicher, mit Blick auf China wünsche man sich „faire Handelspraktiken“, dass man nicht versuche, sich gegenseitig über den Tisch zu ziehen. Man sei offen für gute Produkte. Sein Eindruck sei, sagt Aiwanger, dass „die Chinesen wissbegierig und sehr geschäftstüchtig sind.“ Und selbstverständlich lässt Aiwanger nicht unerwähnt, dass man technologieoffen sei und Wasserstoff, auf dessen Anwendungspotenziale er bekanntermaßen große Hoffnungen setzt, auch viele Chancen biete. Aiwanger-Classic, wenn man so will. Lächeln für die Kameras, noch ein bisschen Geplauder, so langsam löst sich die kleine Versammlung auf.
Zur Kritik an ihm lehnt Aiwanger ein Statement ab
Will man den Minister dann am Rande fragen, wie er sich erklärt, dass die Kritik an ihm nicht verstummt, reagiert er allerdings dünnhäutig und lehnt ein Statement ab. Dabei bleibt es auch am nächsten Tag auf neuerliche Nachfrage. Was er mit den Milliarden, die nun aus dem von der neuen Bundesregierung vereinbarten Sondervermögen vom Bund in die Länder und Kommunen fließen für Bayern erreichen will, lässt er unbeantwortet. Ministerpräsident Söder hat dazu schon Ideen geäußert, die weit über den weiß-blauen Himmel hinausreichen. Er will in die Raumfahrt investieren und positioniert den Freistaat entsprechend.
Ob Aiwanger sich einen NIO kaufen würde? Das Fahrgefühl, sagt Aiwanger, sei sehr gut gewesen, sehr komfortabel mit der Luftfederung. Würde er sich einen kaufen? „Das schließe ich nicht aus.“ Und die Beschleunigung passt? Die ist fast zu schnell, „müsste gar nicht sein.“ Der NIO kommt von 0 auf 100 in 3,9 Sekunden. Aiwanger wäre ein großer Kofferraum wichtiger.
Man hat einfach den Eindruck, dass Aiwanger als Wirtschaftsminister falsch positioniert ist und Söder dieses existentielle Thema mitabarbeiten muss. Bei der Indienreise des Ministerpräs. war Aiwanger natürlich auch nicht mit dabei. Bei der nächsten Landtagswahl, vielleicht schon bei der Kommunalwahl, kommt es aus heutiger Sicht zum Showdown zwischen CSU und AFD. Aiwanger wird nicht mehr auf eine Mitleidswahl wie beim letzten Mal im Zusammenhang mit der Flugblattaffäre setzen können. Er wird bei der nächsten Wahl zerrieben zwischen der CSU und der AFD. Wenn Mehringer von den FW die FW künftig links von der CSU als konservative Kraft ohne Populismus, aber mit gesundem Menschenverstand positionieren möchte, hat er offenbar die Gefahr erkannt, aber Aiwanger und die FW trotzdem ein Problem. Wer glaubt, dass Aiwanger umschulen kann, weg vom rechtskonservativen Populisten? Die Wähler? Niemand.
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