Facebook löscht lieber Nacktfotos als Hass-Posts gegen Flüchtlinge
Facebook löscht freizügige Fotos binnen Stunden - Aufrufe zum Mord jedoch nicht. Erst jetzt reagiert das Unternehmen langsam auf die Hetze gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer.
Schimpf und Schande – der Hass kann jeden treffen. Zurzeit sind es vor allem Flüchtlinge. Oder Journalisten, die über die Flüchtlingskrise berichten. Ein zustimmender Kommentar zur Politik der offenen Grenzen von Bundeskanzlerin Angela Merkel reicht aus, um wüst beleidigt zu werden. Wer AfD oder Pegida kritisiert, bekommt mitunter sogar Prügel angedroht.
Nicht einmal vor einem katholischen Bischof macht der Hass Halt. Franz-Josef Overbeck sagte im September in einer Predigt: „So wie die Flüchtlinge ihre Lebensgewohnheiten ändern müssen, so werden auch wir es tun müssen.“ Er erhielt hunderte, meist hasserfüllte Kommentare. Eine „Nora Müller“ antwortete Essens Bischof noch knapp zwei Monate danach auf der Facebook-Seite des Bistums: „Ich muss überhaupt nichts. Am allerwenigsten mich Asylanten anpassen, die hier kriminell sind, Frauen überfallen, sich sogar an Kindern vergreifen und die jungen Männer statt in ihren Ländern zu kämpfen hier einfallen und sich bedienen lassen. Das sind für mich Deserteure.“
Auf Facebook werden Flüchtlinge als "Deserteure" bezeichnet
Längst befassen sich deutsche und EU-Spitzenpolitiker mit dem Hass im Netz. Ob sie wirklich etwas dagegen ausrichten können?
In den vergangenen Monaten entstand immer wieder der Eindruck: Gegen einen Weltkonzern wie Facebook kommen sie nicht an. Je unmissverständlicher Bundesjustizminister Heiko Maas etwa Facebook dazu aufforderte, stärker gegen Hasskommentare vorzugehen, desto hilfloser wirkte er.
Eine Chronologie: Mitte September hatte sich Maas mit Facebook-Vertretern in Berlin getroffen. Vereinbart wurde die Bildung einer „Task Force“, einer Arbeitsgruppe also, der neben Facebook, Google und Twitter unter anderem die „Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter“ sowie „Jugendschutz.net“ angehören. Sie soll „Vorschläge für den nachhaltigen und effektiven Umgang mit Hassbotschaften im Internet“ machen.
Ihre dritte Arbeitssitzung findet am kommenden Montag statt. Wahrscheinlich wird es eine Woche später ein weiteres Treffen geben, bereits in diesem Jahr sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden. Zumindest anfangs sei es schleppend vorangegangen, ist zu hören. Philip Scholz, Sprecher des Bundesjustizministeriums, sagt am Mittwoch auf Anfrage: „Wir können jetzt noch keine Ergebnisse präsentieren.“
Heiko Maas: Wieso löscht Facebook freizügige Fotos binnen 24 Stunden - aber keine Mordaufrufe?
Und das, obwohl Ende September selbst Facebook-Gründer Mark Zuckerberg Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach, sein Unternehmen werde sich um eine schärfere Kontrolle rassistischer Kommentare kümmern. Doch nur etwas mehr als zwei Wochen danach schimpfte Bundesjustizminister Heiko Maas: Niemand könne verstehen, „warum Facebook freizügige Fotos innerhalb von 24 Stunden löschen kann, aber keinen Aufruf zum Mord“.
Im November dann wurde bekannt, dass gegen den deutschen Nordeuropa-Chef von Facebook ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Ein Würzburger Anwalt hatte ihn angezeigt, es geht um den Verdacht der Volksverhetzung.
Mitte November teilte Facebook mit, es habe im ersten Halbjahr 2015 weltweit deutlich mehr Beiträge blockiert, die gegen nationale Gesetze verstießen: In Deutschland waren es 188. Immerhin: Im ersten Halbjahr 2014 lag die Zahl „eingeschränkter Inhalte“ bei 34. Demgegenüber stehen allerdings vermutlich tausende Anfragen von Facebook-Nutzern, die das Unternehmen auffordern, Beiträge zu löschen – und bitter enttäuscht werden.
188 Facebook-Beiträge im ersten Halbjahr 2015 gelöscht
Zu ihnen zählt die Berliner Autorin und Bloggerin Mary Scherpe. Kontinuierlich meldet sie Hassbeiträge auf Facebook, fordert die Löschung – kontinuierlich tut sich nichts. Aktive Gegenrede („Counterspeech“), wie es Facebook als Gegenmaßnahme vorschlägt, sei nur schwer möglich und sehr zeitaufwendig, sagt sie. Die Hassredner sind zum Teil organisiert, vernetzt und manche Beiträge werden sogar automatisch erstellt. „Es ist so undurchsichtig, wie die Social-Media-Firmen das handhaben. Ich sehe da wenig Chancen, etwas zu ändern.“
Mary Scherpe wurde auch schon persönlich im Internet angegangen. Ein unbekannter Stalker verunglimpfte und beschimpfte sie – die Internetfirmen halfen ihr nicht. Als die Justiz ebenfalls tatenlos blieb, reichte Mary Scherpe eine Petition ein. Ihr Ziel: Änderung des sogenannten Stalking-Paragrafen, damit zum Beispiel die Nachstellung im Internet einfacher verfolgt werden kann. Scherpe ist bei weitem kein Einzelfall: In der noch aktuellen „Polizeilichen Kriminalstatistik 2014“ sind unter dem Punkt „Straftaten mit Tatmittel ,Internet‘“ 1707 Fälle von „Nachstellung (Stalking)“ erfasst. Hinzu kommen knapp 12 000 Fälle von Beleidigung und 754 Fälle von Volksverhetzung.
"Es ist frustrierend, dass sich nichts tut"
Mary Scherpe überreichte Heiko Maas vor knapp einem Jahr 80 000 Unterschriften – und hat seitdem nichts mehr von ihm gehört. „Als sei die Gesetzesänderung vergessen worden. Es ist sehr frustrierend, dass sich nichts tut.“ Ministeriumssprecher Scholz sagt, eine Gesetzesänderung werde „derzeit geprüft“. „Es ist uns ein wichtiges Anliegen.“
Auch der Schweizer Journalist Joel Bedetti zählt zu den Enttäuschten. In der Branchenzeitschrift medium magazin beschrieb er einen Selbstversuch. Er richtete sich unter dem Namen „Joachim Knueppel“ eine Facebook-Seite ein und veröffentlichte fremdenfeindliche sowie antisemitische Beiträge. Unter anderem erstellte er die Veranstaltung „Benzinkanister an Syrer verteilen zur Selbstanzündung!!“ Seine Freundin und er – von seinem echten Facebook-Profil aus – meldeten das als Hassbotschaft an Facebook.
Fast eine Woche musste er auf die Antwort von Facebook warten: Es sei geprüft und kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards festgestellt worden. Als „Joachim Knueppel“ aber meldete, einer seiner Facebook-Freunde habe einen Porno veröffentlicht, sei dieser „wenige Stunden nach der Meldung“ gelöscht worden, schrieb Bedetti. Es ist einer der Hauptvorwürfe an Facebook: Mit nackten Brüsten hat das US-Unternehmen ein Problem, mit Hasskommentaren nicht.
Am 24. November schließlich kündigte es an, härter gegen Hasskommentare vorgehen zu wollen. „Es ist gut, dass Facebook dem Druck endlich nachgibt und beginnt, sich zu seiner Verantwortung zu bekennen“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas. Das könne allerdings nur ein erster Schritt sein.
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