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Hetze im Internet: Erfundene Vergewaltigungen: Oftmals Hetze gegen Flüchtlinge

Hetze im Internet

Erfundene Vergewaltigungen: Oftmals Hetze gegen Flüchtlinge

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    Asylbewerber und Vergewaltigung - die Wörter fallen oft in einem Satz.
    Asylbewerber und Vergewaltigung - die Wörter fallen oft in einem Satz. Foto: Anne Wall (Symbolfoto)

    "Unsere Kinder sind in Gefahr!" - Ein Satz, der Angst macht. Ein Satz, der im Januar auf einem Plakat bei einer Demonstration stand. Dahinter wehte die eine oder andere Deutschlandfahne. Die Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Ablegers "Bärgida" demonstrierten gegen Gewalt. Sagten sie. Und gaben sich besorgt: Eine 13-jährige Russlanddeutsche soll von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden sein. Skandal! Doch tatsächlich stand schon zu dem Zeitpunkt fest: Das war frei erfunden. Alles nur heiße Luft. Die Polizei erklärte: Eine Vergewaltigung habe es nie gegeben. 

    Die Gerüchte darüber hatten sich zuvor rasant im Netz verbreitet - russische Medien und Internetseiten kochten den Fall hoch. Doch das ist lange nicht die einzige Falschmeldung über vermeintlich kriminelle Flüchtlinge. Derartige Geschichten finden sich momentan landauf, landab - vor allem seit den massenhaften, teils sexuellen Übergriffen gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln, an denen nach Erkenntnissen der Ermittler zahlreiche Nordafrikaner beteiligt waren.

    Angebliche Vergewaltigungen in Schwäbisch Gmünd

    Beispiel Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg: Die Stadtverwaltung schrieb im Januar: "Unsägliche Gerüchte über angebliche Vergewaltigungen in Schwäbisch Gmünd kursieren derzeit auf Facebook-Seiten und in vielen Gesprächen in Schwäbisch Gmünd." Eine 14-Jährige - so die Behauptung - soll vergewaltigt worden sein, es gebe weitere Fälle. Die Polizei würde das verschweigen, um die Flüchtlingspolitik nicht zu gefährden. Die Stadt stellte klar: "Es gibt diese Vergewaltigungen und genannten Fälle nicht." Ähnliches passierte in vielen anderen Städten wie etwa im bayerischen Traunstein oder in Kleve am Niederrhein. 

    Das Ziel solcher Lügen sei eindeutig, erklärt der Soziologe Johannes Kiess. "Es geht darum, Unruhe zu stiften und andere zu verunsichern." Kiess forscht an der Universität Siegen zum Thema Rechtsextremismus und stellt fest: "Das Perfide daran ist, dass es Zeit braucht, das zu widerlegen." Und ob es stimmt oder nicht: "Das Gerücht ist in der Welt. Der erste Aufschrei, das erste Unwohlsein gegen Flüchtlinge ist schon produziert." Damit sei die Strategie der Rechten schon aufgegangen. 

    Was bekommen Flüchtlinge?

    Flüchtlinge erhalten gemäß Asylbewerberleistungsgesetz Mittel zur Sicherung ihres Existenzminimums. Wie viel Bargeld ein Flüchtling bekommt, hängt davon ab, wie lange er in Deutschland ist und welche Sachleistungen er in seiner Unterkunft erhält.

    In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden vorrangig Sachleistungen gewährt. Dinge des täglichen Bedarfs wie Essen oder Möbel werden dort meist zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es Bargeld für persönliche Bedürfnisse.

    Alleinstehende erhalten 143 Euro im Monat. Erwachsene, die als Partner einen Haushalt teilen, bekommen je 129 Euro. Wer sonst noch im Haushalt lebt, kriegt 113 Euro. Für Kinder stehen Familien je nach Alter 85 bis 92 Euro zu.

    Wenn Asylbewerber nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften des Landes untergebracht sind und damit in der Regel Essen und andere Sachleistungen wegfallen, gibt es mehr Bargeld.

    Erwachsene Alleinstehende erhalten dann 216 Euro, Kinder oder weitere Haushaltsmitglieder 133 bis 194 Euro.

    Hier gibt es allerdings etwas Spielraum: Anstelle der Geldleistungen können auch - "soweit es nach den Umständen erforderlich ist", wie es im Gesetz heißt - Wertgutscheine und Sachleistungen gewährt werden.

    Zudem übernehmen die Behörden anfallende Wohnkosten. Auch bei Krankheit, Schwangerschaft oder Geburt erstattet der Staat die Kosten.

    Ist ein Flüchtling länger als 15 Monate im Land, stehen ihm bei Bedürftigkeit Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe zu. Damit erhält ein Alleinstehender etwa 392 Euro. Zudem werden seine Wohnkosten erstattet. (dpa)

    Doch warum werden Geflüchteten immer wieder gerade Vergewaltigungen oder Belästigungen unterstellt? "Die Nazis haben verstanden, dass das ein Thema ist", erklärt Heike Radvan, Leiterin der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus bei der Amadeu Antonio Stiftung. Die Furcht von Frauen, aber auch von Eltern werde für eine rechte Ideologie instrumentalisiert. "Sie spielen mit den Ängsten, es geht ihnen nicht um die Opfer sexueller Gewalt." Den "Mythos des sexuell übergriffigen Fremden" gebe es schon seit dem Mittelalter, und damit könne man Menschen mobilisieren, warnt Radvan. 

    Vergewaltigung: Lügen über Flüchtlinge im Internet

    Doch wer verbreitet solche und andere Falschmeldungen? "Das lässt sich schwer sagen", sagt Andre Wolf vom Verein Mimikama, der sich dem Phänomen im Netz widmet. Es gebe sowohl Privatpersonen als auch viele kleine Blogs, die "professionell" Lügen streuen. Wenn Privatpersonen in sozialen Netzwerken solche Falschmeldungen posten, sei die Darstellung oft extrem dramatisch. "Viele Großbuchstaben und Sonderzeichen oder Floskeln wie "Die Polizei darf eh nix machen" kommen dann häufig vor." Vorsichtig müsse man immer sein, wenn es keine offiziellen Pressemeldungen der Polizei oder anderer Behörden zu den geschilderten Fällen gibt.

    Manchmal behaupten die vermeintlichen Opfer auch selbst, dass Geflüchtete sie vergewaltigt haben. So etwa im thüringischen Sonneberg: Eine 21-Jährige hatte angegeben, von drei Flüchtlingen angegriffen und sexuell missbraucht worden zu sein. Die Polizei kam zu dem Ergebnis: Frei erfunden. Doch warum erzählen Frauen solche Lügen? "Es ist schon eine Strategie rechter Frauen, so etwas zu behaupten, um ihren Rassismus zu verbreiten", erklärt Radvan. Natürlich müsse man im Einzelfall gucken, was dahintersteckt. Gerade, wenn Kinder sich solche Geschichten ausdenken. 

    Also, alles Lüge oder was? Selbstverständlich gibt es sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder - auch bei Flüchtlingen. Deshalb müsse man jedem Fall nachgehen und ihn ernst nehmen, betont Radvan. Doch eben solche Lügen können dafür sorgen, dass den wirklichen Opfern irgendwann nicht mehr geglaubt wird - und, dass die Stimmung gegen Geflüchtete weiter aufgeheizt wird. AZ/dpa Warum haben Gerüchte im Internet so viel Macht?

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