Brüderles Schweigen
Rainer Brüderle und die Stern-Reporterin Himmelreich begegnen sich zum ersten Mal seit dem Beginn der Sexismus-Debatte. Entschuldigen aber will der Fraktionschef sich nicht.
Er könnte – wenn er denn wollte. Laura Himmelreich, die junge Reporterin des Stern, die ihn vor einer Woche als ebenso trinkfesten wie aufdringlichen Zotenreißer porträtiert hat, sitzt keine fünf Meter von Rainer Brüderle entfernt. Die Frage eines anderen Journalisten, warum er diese Gelegenheit nicht nutze und sich bei ihr für seine schlüpfrigen Bemerkungen entschuldige, aber prallt vom FDP-Fraktionschef ab wie ein Gummiball von einer Garagenwand.
Er werde, entgegnet der nur kurz, zu diesem Thema auch weiterhin keinen Kommentar abgeben. Das sei eben seine Meinung, sagt Brüderle. „Sie können gerne eine andere haben.“
Laura Himmelreich stellt keine Fragen
Berlin, Dorotheenstraße 101, Raum 6556. Wie immer in Sitzungswochen des Bundestages informiert der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten auch an diesem Mittwochvormittag über die politische Großwetterlage und die wichtigsten Vorhaben der Koalition. Normalerweise kommen zu diesen Runden selten mehr als zwei Dutzend Korrespondenten – diesmal jedoch drängeln sich um die 80 Reporter in dem kleinen Saal mit dem großen Tisch in der Mitte. „Ich freue mich, dass Sie hier sind“, sagt Brüderle lächelnd. Und natürlich wisse er, dass die meisten sich vor allem für ein Thema interessierten. „Aber ich habe mich bisher dazu nicht geäußert und werde das auch nicht tun.“
Es ist eine etwas unwirkliche Situation. Hier der Politiker, der so tut, als sei überhaupt nichts passiert, und vom Besuch des ägyptischen Präsidenten über den Einsatz der Bundeswehr in Mali bis zur Rentenreform kein aktuelles Thema auslässt – dort, schräg hinter ihm, in einer Ecke des Raumes, die unauffällige Frau vom Stern, deren sehr persönliche Erlebnisse mit Rainer Brüderle eine lebhafte Sexismus-Debatte ausgelöst haben.
Laura Himmelreich selbst stellt keine Fragen, hört nur aufmerksam zu und lächelt zwischendrin kurz einen Kollegen aus ihrer Redaktion an, der sie wie ein Leibwächter zu diesem Termin begleitet hat. Auch an den Kameras, die vor dem Saal aufgebaut sind, geht sie später schweigend vorbei.
„Ein objektives legitimes Phänomen“
Drinnen hat Brüderle zuvor die Themen der Woche ruhig und konzentriert heruntergespult. Er bitte um Verständnis, sagt er noch einmal, dass er zu der Angelegenheit, die alle anderen überlagert, nichts sagen werde. Auch die Sexismus-Diskussion ganz allgemein will er nicht bewerten. Diese Debatte, formuliert der 67-Jährige etwas kryptisch, sei „ein objektives, legitimes Phänomen“. Sie laufe jetzt und habe sicherlich gesellschaftliche Relevanz.
Wie sehr sie ihm ganz persönlich zusetzt, lässt sich nur erahnen. Auf Fragen zur Sache, zur Krise in Zypern, zum Streit um die Rente oder zum Binnenklima in der Koalition, antwortet Brüderle diesmal etwas ausschweifender als sonst – als erspare er sich mit jeder Minute, die er redet, eine heikle Nachfrage.
Nach einer Dreiviertelstunde geht das erste Aufeinandertreffen von ihm und ihr nach dem großen Eklat so unspektakulär zu Ende, wie es begonnen hat. Mit einem freundlichen Nicken eilt Rainer Brüderle zurück in den Bundestag. Laura Himmelreich ist da bereits im Aufzug verschwunden.
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