Es kommen wieder mehr Menschen über das Meer
Tausende Flüchtlinge landen in Italien und Griechenland. Macht die Türkei ihre Drohungen wahr?
Spiegelglatte See, wenig Wind – seit Tagen weist der Deutsche Seewetterdienst unter der Rubrik „östliches Mittelmeer“ ruhiges Spätsommerwetter aus. Exakt die Witterung also, auf die Schlepper und Flüchtlinge an den Küsten Nordafrikas warten. Die Bilanz: Alleine von Samstag bis Dienstag wurden zwischen Libyen und Italien rund 10.000 Menschen von ihren meist völlig maroden Booten geborgen. Gerettet von Schiffen der italienischen Marine, der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie von Nichtregierungsorganisationen. Im Sommer 2015 wurden bis zu 8000 Menschen an nur einem einzigen Tag aus dem Meer gerettet.
Der Druck steigt wieder: Im Juli zählten die italienischen Behörden über 23.000 Flüchtlinge. Seit Jahresbeginn sind es damit 106.461, die über die zentralmediterrane Route nach Europa gelangt sind.
Jeder 85. Migrant überlebt die Überfahrt nicht
Eine Route, die nach einer Analyse von Experten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) deutlich gefährlicher ist als im Vorjahr: Danach hat jeder 85. Migrant die Überfahrt nicht überlebt – in absoluten Zahlen kamen 2016 bereits 3165 Flüchtlinge im Mittelmeer um. 2015 bezahlte noch jeder 276. den Fluchtversuch aus Afrika mit seinem Leben. Die IOM macht für diese dramatische Entwicklung in erster Linie zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen würden die Schleuser noch skrupelloser vorgehen und Kinder, Frauen und Männer in noch weniger seetüchtigen Booten ihrem Schicksal überlassen. Hinzu komme, dass immer mehr Menschen den weitaus gefährlicheren Seeweg von Ägypten wählen würden.
Einige der Menschen, die es von Nordafrika aus nach Europa geschafft haben, ließen sich auch auf dem Weg in Richtung Norden nicht aufhalten. So registrieren die Behörden in Baden-Württemberg immer mehr illegale Einreisen nach Deutschland über die Schweiz. Per Zug, Bus oder auch zu Fuß kamen im Juli 1065 Menschen über die Grenze, schon im Juni waren es 1008 gewesen. Seit Jahresbeginn liegt die Zahl bei 3385 Flüchtlingen, die über das Nachbarland einreisten – im gesamten Jahr 2015 wurden 2455 erfasst.
Markanter Anstieg der Flüchtlingszahlen
Gleichzeitig melden die griechischen Behörden einen markanten Anstieg der Flüchtlingszahlen. Laut IOM kamen bis zum 28. August 163.105 Flüchtlinge nach Griechenland – im Vorjahreszeitraum waren es 234.357. Doch nun schnellen die Zahlen augenscheinlich wieder in die Höhe: Allein in der Zeit von Montag bis gestern hätten 462 Menschen von der türkischen Küste aus auf griechische Ägäis-Inseln übergesetzt, teilte der Stab für die Flüchtlingskrise in Athen mit. Das sei die größte Zahl von Flüchtlingen und anderen Migranten, die seit Inkrafttreten des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei Anfang April an einem Tag registriert wurde. „Hoffentlich hängt das mit dem guten Wetter zusammen und es ist kein Zeichen seitens der Türkei“, sagte ein Offizier der Küstenwache.
Dahinter steckt die Sorge, dass Ankara beginnt, seine Drohungen wahr zu machen, die Umsetzung des Flüchtlingspaktes an die Aufhebung der Visumpflicht für Türken bei EU-Reisen zu knüpfen. „Wir erwarten die Aufhebung der Visumpflicht bis Oktober 2016“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Der spürbare Anstieg zu Beginn dieser Woche könnte ein Signal aus der Türkei sein, welch wirksames Druckmittel das Land, in dem fast drei Millionen Flüchtlinge leben, gegen die EU in der Hand hält. mit dpa
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