Es dürfte kein allzu großes Geheimnis sein, was auf der noch relativ jungen „Lesebühne Augsburg“ gespielt wird. Der Name ist in der Tat selbsterklärend. Natürlich wird ein derart benanntes Podium betreten, um zu lesen, um laut und öffentlichkeitswirksam vorzulesen und auf diesem Weg die eigenen Romane, Kurz- und Kürzest- und Kalendergeschichten, Fantasy, Romantasy oder auch Lyrik vorzustellen, um Interesse für das jeweilige literarische Schaffen zu wecken. Aber eben auch, um sich als lebendige Persönlichkeit zu zeigen und damit den Menschen nahbar zu machen, der hinter dem Namen auf dem Buchcover steckt. So weit, so gut und bestens bewährt. Und doch ist diese „Lesebühne Augsburg“ eine Neuerscheinung in der ohnehin agilen Literaturstadt Augsburg. Sie wird freundlich unterstützt unter anderem durch die VHS Augsburg, von AugsBuch oder dem Förderverein für Bayerische Kriminalliteratur und feierte erst im Mai, im Rahmen einer Lesung im Café Tür an Tür, ihre Premiere. Geht es nach den Erfindern des Formats, soll sie zukünftig regelmäßig stattfinden.
Angela Eßer eröffnet den Leseabend im Augsburger Brunnenhof
Humorvoll bezeichnete sich Angela Eßer als „die Regionaltante“ und begrüßte die rund 40 Besucher, die pünktlich um 19 Uhr und trotz Hochsommerschwüle den Weg in das biergartenähnliche Ambiente des Brunnenhofs gefunden hatten. In ihrer durchaus anspruchsvollen Funktion als Vorsitzende des Regionalverbands Schwaben im „Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Bayern“ hatte sie die Initiative zur Lesebühne ergriffen. Primär steht die Vernetzung der zahlreichen in Augsburg und Umgebung lebenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Fokus und damit die mit Leben und Lesen erfüllte Begegnung, der Austausch von Werk und Marketing-Wissen im Umgang zum Beispiel mit Verlagen und Lesern. Denn, so wie auch Eßer weiß, ist das Schreiben von Büchern ein recht einsames Geschäft.
Dass nach der Premiere jetzt der Open-Air-Marathon im Rahmen der Brunnenhof-Sommernächte über die Bühne ging, ist dem bekannten Augsburger (Krimi)-Autor Wolfgang Kemmer zu verdanken, der selbst mit einem Auszug aus seiner Anthologie „Gut und Böse“ ein glänzendes Finale setzte – und gemeinsam mit Eßer schon früher für Lese-Events wie den „Krimitag im Planetarium“ verantwortlich zeichnete.
Ein bisschen überambitioniert: Die Lesebühne im Brunnenhof
Und doch schienen die drei Stunden des Samstagsabends ein wenig überambitioniert, selbst wenn sie das Potential und die stilistische Bandbreite der zahlreichen regionalen Literaten wie Pippa Winter oder Willibald Spatz abbildeten und die Mitglieder der Jazz-Formation „Midnite Brew“ ihr Bestes gaben, um für musikalische Verschnaufpausen zu sorgen. Es schien durchaus schlüssig, den diesmal auftretenden Autorinnen und Autoren ein streng limitiertes Zeitfenster von jeweils zehn Minuten zu gewähren, um so in Kürze sich selber und ein Exzerpt eines Werkes zu präsentieren. Und doch konnten die lange werden, wo weder Text noch Vortrag über das Amateurhafte hinausgingen.
Sinnvoll somit die Idee, die Lesebühne mit renommierten Gästen wie der charismatischen Münchner Autorin Stefanie Gregg zu bereichern, die eine herrlich skurrile, für die SZ geschriebene Weihnachtsgeschichte mitbrachte. Oder mit Su Turhan, der in Istanbul geboren ist und in München beachtlichen Erfolg als Regisseur, Drehbuchautor und Krimiautor feiert. Er zeigte, wie man einen furiosen Lese-Auftritt hinlegt, im Nu und mit Charme sowie dem direkten Einbezug des Publikums selbiges für sich und seinen Protagonisten Zeki Demirbilek gewinnt.
Berührende Texte von Veronika Raila und Estella Dalva
Und es gab zutiefst berührende Momente, etwa mit dem von Stefanie Gregg gelesenen Text „Das alte Polaroid“ von Veronika Raila, der mit dem Satz endete: „Ich habe leider kein Bild, kein inneres Bild von mir.“ Als körperbehinderte Autistin fand die Autorin des Texts ein besonderes Zeichensystem – und als Schriftstellerin ihren bewundernswerten Weg, um ihr „inneres Verlies“ zu verlassen. Zu entdecken galt es nach recht trivialen Kostproben à la „Caffè Latte mit Schuss“ aus dem Krimi-Hause Gudrun Graegel dann endlich das immense Sprachgefühl, das die 1981 in Rumänien geborene, jetzt in Egling an der Paar lebende Autorin Estella Dalva (u.a. „Ein Sternenmeer aus Träumen“) besitzt. Die von ihr überzeugend vorgetragenen Gedichte machten Lust auf viel mehr ihrer reflektierten und empathischen Weltwahrnehmung. Eine Autorin, die eine unstillbare Sinnsuche motiviert und auch die lange noch nachklingende Frage stellte: „Was, wenn Vollkommenheit eine Illusion ist ... ?“
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