Man könnte das gut zweistündige Programm der „Traumfabrik“ als sinnliches Entschleunigungs-Manöver betrachten, das nach der Feiertagshektik wie gerufen kam, um mit Humor, Poesie und Achtsamkeitsmomenten, in jedem Fall aber mit verblüffender Artistik zu überraschen. Die Vorstellung erhielt vom Publikum auch immer wieder die verdiente und volle Aufmerksamkeit. In der genial konzipierten und mit „Sanddorn Balance“ übertitelten Performance der taiwanischen Künstlerin Lili Chao Rigolo etwa hätte man in der nahezu ausverkauften Stadthalle Gersthofen in der Tat das Blatt beziehungsweise die Feder fallen hören, die das schwebende, minutiös austarierte Äste-Konstrukt zusammenhielt. Fast schon eine Meditation!
Das im ersten Teil stärkere Programm wurde als Mix aus „Best of“-Nummern der Vergangenheit und gänzlich neuen künstlerischen Darbietungen präsentiert und von Ingo Pawelke sympathisch moderiert. Für die atemberaubenden Momente zuständig waren elf internationale Artisten. Sie krönten die pantomimisch und tänzerisch inspirierten, im „Dirigent“ auch mal interaktiv inszenierten Nummern des bewährten Traumfabrik-Ensembles unter ihrem „Dompteur“ Georgi Sosani mit virtuoser Akrobatik. Cool auch die Electric Vibes der „Hip-Hopper auf LED“.
Ein graziler Tanz der Muskulatur
Der US-Amerikaner Andrey Moraru zeigte in seiner musikalisch stimmungsvoll untermalten Äquilibristik-Nummer, dass es im Yoga wohl doch keine körperlichen Limits gibt – zumindest nicht für ihn. Seine ausgeklügelte Asana-Folge war nicht nur im faszinierenden Flow, sondern wurde dank des durchtrainierten Körpers als graziler Tanz der Muskulatur zelebriert – ein bemerkenswerter Hingucker. Aus Kanada eingeflogen zeigte das „Collectif en Masse“ effektvolle, luftige und leicht gestemmte Trio-Akrobatik mit und ohne Kehrbesen und hatte zuvor schon Ensemble-Mitglied Martin Regouffre ins temporeiche und diabolische Einzelrennen geschickt.
Dass Ravels zeitlos faszinierender „Ohrwurm“ nicht nur im Ballett die Gemüter mit rhythmischen Exzessen euphorisiert, machten die fünf Jonglier-Weltmeister aus Österreich vor der Pause im „Bolero 2.0“ mit ihren fliegenden Keulen deutlich (Choreografie von Manuel Mitasch nach einer Idee von Rainer Pawelke). Das war ein extremer und extrem souverän gemeisterter Hochleistungsakt in puncto Konzentration und Koordination, dem man so gebannt folgte, dass man zu atmen vergaß. So war das „Jonglissimo“- Quintett die echte Sensation, die in der Pause noch für ungläubiges Staunen und zuvor für stürmischen Beifall sorgte! Solch ein Highlight schien entsprechend schwer zu toppen.
Im zweiten Teil setzte La Popi auf lebensgefährlichen High-Heels einen tollen Kontrast
Und doch setzte im zweiten Teil die kokett und zunächst mit lebensgefährlichen High-Heels auftretende Argentinierin „La Popi“ einen tollen Kontrast im Traumfabrik-Programm. In ihrer amüsant auf die Spitze getriebenen Handstand-Comedy verwickelte sie gekonnt bis zu vier Bälle ins akrobatische Spiel, klemmte sie in und zwischen Rist, Beine und Nacken, während sie und mit ihr die Zuschauer Kopf standen. In die Länge zog sich dagegen die „Geisterstunde“, in der die Praxis des Schwarzlicht-Theaters genutzt wurde. Auch das Finale, das Smetanas berühmte „Moldau“ mittels leuchtender Bänder zu illustrieren versuchte, war lang und langweilig und blieb zu monoton, um auch die Zuschauer-Freude hellauf strahlen zu lassen.
Wer an einem Veranstaltungsort gleich sechs Vorstellungen ansetzt, muss darauf vertrauen können, dass Angebot und Nachfrage in Balance bleiben. Und dass kann die bereits 1980 von Rainer Pawelke an der Universität Regensburg gegründete Traumfabrik definitiv, indem sie konstant und verlässlich für wahre Momente des Staunens sorgt. Das treue Fanpublikum, das es erobert hat, schätzt es zu Recht, fernab digitalisierter Fantasy-Welten den Zauber und die Kraft des leiseren Showtheaters zu entdecken.
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