Soeben ist Sandra Hopfensitz im Wortsinn abgestürzt. Hat den Halt verloren und ist unsanft auf dem grauen Boden gelandet. Doch die Zeit drängt. Lange über ihren Fauxpas nachdenken kann sie nicht. Kurz studiert sie ein weiteres Mal die Griffe, die auf rund zwei Metern vor ihr befestigt sind. Dann unternimmt die Sportkletterin den nächsten Versuch, den künstlichen Felsen in der Augsburger Bloc-Hütte zu bewältigen. Die Augen der rund 250 Zuschauerinnen und Zuschauer richten sich auf die durchtrainierte Sportlerin, als sie wieder an der Stelle ankommt, an der sie soeben gescheitert war.
Diesmal klappt es. Hopfensitz meistert die Passage, indem sie sich teils kopfüber mit dem Rist der Füße festhält. Die schwierigste Stelle meistert sie, doch am Ende unterläuft ihr ein Flüchtigkeitsfehler. Als sie nach dem „Top“ greift, hat sie zu viel Schwung, verfehlt mit beiden Händen das Ziel und fliegt erneut auf den filzigen, gedämpften Untergrund. Durch ihren Fehlgriff verpasst Hopfensitz den möglichen Tagessieg, den sich Alma Bestvater aus Weimar sichert. Am Ende wird sie Dritte, doch der Ärger hält sich in Grenzen. „Ohne diesen Fehler wäre ich vermutlich Zweite geworden“, erzählt Hopfensitz. „Aber für mich ist das ein reiner Spaßwettkampf.“
Boulder-Bundesliga macht Station in ganz Deutschland
Einen Tag lang hangeln sich Sportlerinnen und Sportler in der Augsburger Bloc-Hütte von Griff zu Griff. Widersetzen sich den Gesetzen der Schwerkraft, streben mit möglichst wenig Versuchen und möglichst schnell dem Endpunkt eines Boulders entgegen. Wer Griffe erklimmt, erhält Punkte. Am Ende wird zusammengezählt. Bei besonders spektakulären Bewegungen jubelt das staunende Publikum. Der Unterhaltungswert ist hoch - ganz im Sinne von Simon Stützer, dem Geschäftsführer der Boulder-Bundesliga. „Uns ging es immer darum, den Boulder-Sport populärer zu machen und ihm eine Bühne zu bieten, die diesem fantastischen Sport angemessen ist“, erklärt er.

2016 hat er das Wettkampfformat ins Leben gerufen. Hobbysportlerinnen und -sportler treten dabei in unterschiedlichen Klassen an, eine Mitgliedschaft beim Deutschen Alpenverein (DAV) ist für die Teilnahme nicht nötig. 13 Spieltage in ganz Deutschland umfasst die Saison 2024/25, bei jedem zweiten Event bildet ein „Deutschland-Cup“ den krönenden Abschluss. Hier treten die besten Athletinnen und Athleten in einem Tagesfinale gegeneinander an. Dank einer Krankenkasse als Sponsor werden bei jedem Event insgesamt 6.600 Euro Preisgeld ausgeschüttet. Hopfensitz als Dritte erhält 500 Euro als Trost.
Hopfensitz stammt aus Freienried, einem Ortsteil von Eurasburg (Kreis Aichach). Nach dem Abitur zog sie nach München, wo sie Geodata Science studiert. Derzeit stehen die Prüfungen des dritten Semesters an. Trainingsmittelpunkte sind München und Augsburg. Im vergangenen Jahr durfte sie sich zwischenzeitlich Hoffnungen auf die Olympischen Spiele in Paris machen, scheiterte aber bei den Qualifikationswettkämpfen in Schanghai (China) und Budapest (Ungarn). Mittelfristig möchte sie sich in der Weltspitze etablieren und sich einen Namen machen.
Sandra Hopfensitz möchte sich für den deutschen Nationalkader qualifizieren
Regelmäßig nimmt Hopfensitz nicht an der Boulder-Bundesliga teil. Weil sich diesmal in ihrer Region die Gelegenheit bot, nahm sie das Angebot an. Nicht nur wegen des Preisgelds fällt ihr Fazit nach ihrem ersten Wettkampf in diesem Jahr positiv aus. „Ich bin schon zufrieden. Das Teilnehmerfeld war echt stark.“ Für Hopfensitz ein Vorgeschmack darauf, mit welcher Konkurrenz sie sich in den nächsten Wochen und Monaten messen wird. In Lehrgängen und Wettkämpfen wird sie versuchen, sich einen Platz im deutschen Nationalkader zu erklettern.
Sie sei gut durch den Winter gekommen, meint sie. Eine kleinere Knieverletzung hat sie auskuriert. „Ich habe das Gefühl, dass ich noch stärker geworden bin“, sagt Hopfensitz. Davon zeugen ihre Muskeln, die sich bei jeder Bewegung ausbeulen. Teils schwingt sie sich während des Bundesliga-Wettkampfes von einem Griff zum nächsten - ohne Kontakt zur Wand. Seit den Spielen in Tokio 2020 ist Sportklettern olympisch. Medaillen werden im Speed als auch in der Kombination aus Bouldern und Lead (Olympic Combined) vergeben.
Hopfensitz bevorzugt das Klettern mit Seil (Lead), kann sich aber auch für die Variante ohne Sicherung begeistern. Größere Chancen im nationalen Perspektivkader räumt sich die Sportlerin in ihrer Spezialdisziplin Lead ein. An welchen Wettkämpfen sie in dieser Saison teilnehmen darf und bei welchen Weltcups sie für Deutschland zum Einsatz kommt, wird sich in den Sichtungen und Lehrgängen entscheiden. Fernziel ist die Weltmeisterschaft im September, die im südkoreanischen Seoul stattfinden wird. Für Hopfensitz wäre es die zweite WM-Teilnahme. 2023 erlebte sie in Bern ihre Premiere.
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