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Kino: Das Filmwunder aus dem schwäbischen Dorf Bubenhausen

Kino

Das Filmwunder aus dem schwäbischen Dorf Bubenhausen

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    Ein Naturtalent: Karl Fischer, der Onkel von Regisseurin Lisa Miller, spielt den Vater von Hauptfigur Toni - mit viel Körpereinsatz.
    Ein Naturtalent: Karl Fischer, der Onkel von Regisseurin Lisa Miller, spielt den Vater von Hauptfigur Toni - mit viel Körpereinsatz. Foto: Arsenal Film

    „Vorsicht, Bulldog!“, ruft Kathi Wolf, und die Fußgängergruppe springt zur Seite. Kein Grund zur Panik: Der Traktor knattert langsam vorbei. Lisa Miller winkt, lächelt und formt mit ihren Lippen ein „Hallo“. Man kennt und grüßt sich in Bubenhausen. Rund 700 Einwohner hat das Dorf, eine Kirche, ein paar stattliche Bauernhäuser, emsige Vereine – und jetzt auch einen eigenen Kinofilm, gedreht von Lisa Miller. Und über den wird in dem Stadtteil von Weißenhorn (Landkreis Neu-Ulm) viel geredet. Heute startet „Landrauschen“ in rund 60 Kinos, bundesweit, sogar in Berlin, Hamburg und Hannover – obwohl er in bayerisch-schwäbischer Mundart gedreht ist. Überall scheint man sich für das preisgekrönte Filmwunder aus „Bubenwood“ zu interessieren. Lesen Sie hier die Filmkritik zu "Landrauschen"

    Der Streifen erzählt eine Geschichte, wie sie das Kino liebt. Es ist die Story einer Rückkehr. Toni, Ende 20, zwei Hochschulabschlüsse, aber weder Geld noch Job, kommt aus Berlin zurück in ihr Heimatdorf Bubenhausen. Sie hofft, bei einer Zeitung als Journalistin Karriere zu machen – stattdessen wird sie Praktikantin. Bei ihren Eltern, dem bauernschlauen Vater und der einsamen Mama, fühlt sie sich eingezwängt. Doch es gibt Rosa, die für ein anderes, offeneres Leben auf dem Dorf steht. Sie lebt in einer WG, arbeitet mit Flüchtlingen, liebt Frauen. Doch sie ist auch beim Fasching ganz vorne dabei und spielt in der Blaskapelle. „I gang gern in d’Kirch… ab und zu“, sagt Rosa. Aber Toni weiß nicht recht, was sie will im Leben. Und Rosa läuft gegen Mauern, weil sie anders ist.

    Ist in dieser Welt wirklich alles in Ordnung?

    Der Satz „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, der auf den Plakaten zu „Landrauschen“ steht, ist also mit Vorsicht zu genießen. In Lisa Millers Welt hingegen ist derzeit wirklich alles in Ordnung, wenngleich anstrengend. Sogar daheim bei ihren Eltern in Bubenhausen. Dort sitzt die Regisseurin mit ihrer alten Freundin und Hauptdarstellerin Kathi Wolf im Wintergarten, ein bisschen erschöpft. Die zwei sind gefragt. Der Bayerische Rundfunk kommt gleich, das ZDF war schon da. Und da sind nicht nur die Medien: „Wir machen selbst viel Promo“, sagt Miller. Stand beim Musikfestival auf dem Land, Flyerverteilen in der Stadt. Die Macher wissen: Der Erfolg eines Heimatfilms entscheidet sich in der Heimat. Und das Selbermachen gehört bei „Landrauschen“ dazu, von Anfang an. Die 31-Jährige hat das Drehbuch selbst geschrieben, selbst Regie geführt, selbst zusammen mit ihrem Produktionspartner Johannes Müller das Geld aufgetrieben, einen Großteil davon über Crowdfunding.

    Dass „Landrauschen“ mit einem Budget im niedrigen fünfstelligen Bereich der Durchbruch werden würde, war nicht eingeplant. Wie auch? In einer Filmlandschaft, die von millionenschweren Superhelden-Filmen und Wohlfühl-Komödien dominiert wird. „Wir wollten üben“, sagt Miller, die visuelle Kunst und Fotografie in Madrid und London studierte – und eben nicht an der Filmhochschule. Vor „Landrauschen“ hatte sie unter anderem einen postapokalyptischen Kurzfilm („Tschernobyl, Fukushima, Gundremmingen”) und ein Imagevideo für die Stadt Weißenhorn gedreht.

    Also kein großes Netzwerk, kein großes Fördergeld, keine bekannten Schauspieler. Nur ein paar Leute, die unbedingt einen Heimatfilm drehen wollten. In einem „Untergrund-Dialekt“, wie Miller sagt. In Filmen aus Bayern wird sonst fast immer bairisch gesprochen. Weil sich da das Touristenherz freut. Und auch die Marketing-Abteilung.

    Lisa Miller (links), Regisseurin von „Landrauschen“, und Schauspielerin Kathi Wolf vor der Kapelle Maria Linden in Bubenhausen.
    Lisa Miller (links), Regisseurin von „Landrauschen“, und Schauspielerin Kathi Wolf vor der Kapelle Maria Linden in Bubenhausen. Foto: Alexander Kaya

    Mit solchen Fragen setzten sich Lisa Miller und ihre Freunde 2016, als das Projekt Spielfilm langsam Gestalt annahm, gar nicht auseinander. Die großen Rollen waren schon besetzt, bevor das Buch überhaupt fertig war. Die ausgebildete Schauspielerin Kathi Wolf, die Miller seit der Grundschule kennt, als Toni. Und Nadine Sauter, im echten Leben Heilerziehungspflegerin, als Rosa. Noch eine Bubenhauserin. Aus dem anfänglichen Hirngespinst wurde eine immer größere Sache. Miller und Müller trommelten Laiendarsteller in der Region zusammen, den Großteil der Filmcrew brachte Miller aus Leipzig mit, wo sie lebt, alle arbeiteten ohne Geld.

    „Landrauschen“ wurde 2016 an 36 Tagen gedreht, verteilt über einen Zeitraum von zehn Monaten. Weil Veranstaltungen wie der Weißenhorner Faschingsumzug oder das Bubenhauser Waldfest auf dem Drehplan standen, aber auch, weil man auf die Verfügbarkeit der Freiwilligen Rücksicht nehmen musste. Und dann gab es noch so banale Probleme wie die Haare von Kathi Wolf, die im Film mal blond, mal rosa gefärbt sind. „Ich war so oft beim Friseur“, stöhnt sie. Einmal musste der Dreh sogar zwei Wochen pausieren. So lange brauchte die Friseurin, um die Darstellerin wieder blond zu bekommen. „Bei einer Szene musste Toni aber eine Mütze tragen, weil es nicht anders ging“, erzählt Miller. Not macht kreativ.

    Die 31-jährige Wolf, eine von ganz wenigen Profis im Ensemble, kümmerte sich als Schauspielcoach um die Laien. Und die wuchsen über sich hinaus. Der Schulleiter als Pater, der Reggaemusiker als Landrat, der Künstler als Polizist. Und Millers Onkel, im echten Leben Landwirt, schob als Tonis Vater seine Wampe so selbstbewusst durch den Vorgarten, dass er es zum heimlichen Star des Films gebracht hat. Es sei nie darum gegangen, sagt Wolf, den Laien das Schauspielhandwerk beizubringen, sie sollten einfach die Situationen fühlen. „Es war immer authentisch.“ Das merkt man „Landrauschen“ an. Speziell Nadine Sauter als Rosa und Heidi Walcher als Tonis Mutter gelingt eine sehr einfühlsame Darstellung.

    Was die Dreharbeiten mit dem Ort gemacht haben

    Ein Dutzend der Drehorte des Films befindet sich direkt in Bubenhausen. Einer ist die Kapelle Maria Linden, nur ein paar hundert Meter von Lisa Millers Elternhaus entfernt. Ein unscheinbares kleines Kirchlein, umgeben von Bäumen. Die Regisseurin mag den schönen Blick, den man von dort über Bubenhausen hat. Gleich nebenan, so erzählt sie, sei in ihrer Kindheit der Schlittenberg gewesen. Hier entstand eine wichtige Szene mit Toni und Rosa, aufgenommen bei Sonnenuntergang. Ob die Dreharbeiten nicht arg viel Aufsehen im Dorf ausgelöst haben? Miller zuckt mit den Schultern. „Darauf haben wir gar nicht geachtet, wir hatten alle immer etwas zu tun“, erinnert sie sich. „Man musste halt immer wieder fragen: Kannst du bitte kurz die Kreissäge ausmachen?“ Gut, der Morgengrauen-Dreh auf der eigens von der Feuerwehr gesperrten Straße, der war schon eine Spezialaktion. „Das war wie bei einem Flashmob, plötzlich waren lauter Leute draußen und haben geschaut.“

    Wo der Film in der Region zu sehen ist

    Start: „Landrauschen“ startet unter anderem in Augsburg, Kaufbeuren, Krumbach, Meitingen, Memmingen, Neu-Ulm, Nördlingen, Offingen und Ulm. Ab 22. Juli ist der Film auch in Bad Wörishofen zu sehen.

    Tour: Regisseurin und Darsteller stellen den Film deutschlandweit vor – unter anderem heute in Augsburg (20.45 Uhr, Thalia) und am Freitag in Memmingen (19.30 Uhr, Cineplex). Eine Reservierung ist ratsam.

    Natürlich erregt so ein Filmdreh auf dem Dorf Aufmerksamkeit – und fordert Opfer. Nadine Sauters Eltern mussten für die Dreharbeiten zeitweise ihr Haus räumen. Sie hätten es gerne gemacht, sagt Mutter Irene Sauter, aber ein paar Leute hätten sich über den ganzen Trubel schon gewundert. Ob diese Kritiker das ganze Filmprojekt für eine einzige große Spinnerei hielten? „So ungefähr.“ Zu diesem Zeitpunkt waren die Unkenrufe sogar noch berechtigt. Manche Mitwirkende hätten wahrscheinlich gejuchzt vor Freude, hätten sie „Landrauschen“ später einmal in der Weißenhorner Stadthalle oder auf selbst gebrannten DVDs anschauen können. Doch dann wurde alles erst richtig verrückt.

    „Landrauschen“ wurde beim renommierten Max-Ophüls-Wettbewerb in Saarbrücken angenommen – und räumte dort völlig überraschend nicht nur die Auszeichnung für das beste Drehbuch und den Preis der Ökumenischen Jury ab, sondern auch den Hauptpreis. „Die Freude der Macher beim Machen überträgt sich auf das Publikum und öffnet unsere Herzen. Ein Film, der uns mitlachen und mitleiden lässt, und dem wir viele, viele Zuschauer im Kino wünschen“, befand die Jury. Im Kino! Denn ein Teil des Preisgeldes geht an einen Verleih, der den Gewinnerfilm auf die große Leinwand bringt. Ein Heimatfilm, gedreht in schwäbischer Mundart und ohne bekannte Darsteller? Dieses Risiko hätte sonst wohl kein Unternehmer auf sich genommen. Doch damit nicht genug: Als Max-Ophüls-Preisträger lief „Landrauschen“ in der Nebenreihe „Perspektive Deutsches Kino“ bei der Berlinale. In einem vollen Kinosaal. Mit englischen Untertiteln. Und auch dort: nichts als positive Reaktionen, auch von Nicht-Schwaben.

    „Landrauschen“ ist kein Film über Bubenhausen oder Schwaben, sondern über das Leben auf dem Dorf an sich. Er lässt die Klischees nicht aus, aber spielt charmant mit ihnen. Er ist keine Glorifizierung der Heimat wie im Landlust-Heft, sondern ein liebevoller, aber kritischer Blick auf die Realität unter dem Kirchturm – und ein Aufruf zu mehr Toleranz, Offenheit und Vielfalt. Lisa Miller hat selbst Klarinette in der Blaskapelle gespielt. Sie liebt, genau wie Kathi Wolf, die Freiheit, die das Landleben bieten kann, das Mofafahren auf dem Feldweg, die Nähe der Natur. Das Dorfleben, findet sie, ist gar nicht so, wie viele glauben. Aber Miller sagt auch: Es ändere sich nicht viel auf dem Dorf.

    Die Regisseurin liebt das Dorf, aber lebt in der Stadt

    In der Kirche: eine Szene mit Kathi Wolf (Toni, links) und Nadine Sauter (Rosa). Die eine Profi-Schauspielerin, die andere ist eigentlich Heilerziehungspflegerin.
    In der Kirche: eine Szene mit Kathi Wolf (Toni, links) und Nadine Sauter (Rosa). Die eine Profi-Schauspielerin, die andere ist eigentlich Heilerziehungspflegerin. Foto: Arsenal Film

    Da ist zum Beispiel der Trampelpfad zwischen der Hauptstraße und der Kirche, wo einer der bissigsten Szenen des etwa 100-minütigen Films spielt. Toni zofft sich auf dem Weg zur Sonntagsmesse mit ihrer Mama, die in Rosa einen schlechten Einfluss auf ihre Tochter sieht – und dreht prompt wieder um. Und was macht die Mutter? Die ruft ihr besorgt hinterher: „Du ka’sch doch id nauflaufa, wenn d’Kirchaleit nalaufat!“ Auch das ist das Dorfleben: Traditionen, überkommene Ansichten, soziale Kontrolle. Wie Lisa Miller das findet? „Ich nehme es mit Humor“, sagt sie. Und gibt zu, dass sie – anders als Toni – mit dem „Nauflaufa“ wahrscheinlich warten würde, bis die Leute alle in der Kirche verschwunden sind.

    In die Verlegenheit kommt die Regisseurin allerdings nicht allzu oft. Denn ihr Lebensmittelpunkt ist Leipzig. Großstadt statt Dorf, Sachsen statt Schwaben. Sie gibt es gerne zu: Die Anonymität der Großstadt genießt sie – und die Kultur. Die Mallorca-Partys auf dem Land, daraus macht sie kein Geheimnis, sind nicht ihr Ding. Eine Rückkehr aufs Dorf? Vorerst nicht geplant. Stattdessen reist sie nach dem Kinostart nach Mexiko – Mexiko-Stadt, Monterrey, Guadalajara. Auf Einladung des Goethe-Instituts. Mit „Landrauschen“.

    Eine Geschichte wie aus Hollywood. Aber aus Bubenwood.

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