Mord in Lindau: Schwere Vorwürfe gegen Ulmer Amtsgericht
Ein Mann wird in Lindau von einem Einbrecher getötet. Nun erhebt die Tochter des Opfers schwere Vorwürfe. Sie macht das Ulmer Amtsgericht verantwortlich.
Der Schock sitzt immer noch tief bei Andrea Hauser-Müller. Ihr Vater wurde im eigenen Haus ermordet. Zum Schock mischt sich mittlerweile aber auch Wut. Wut auf das Ulmer Amtsgericht. Denn sie glaubt, dass dieses für den Tod ihres Vaters verantwortlich ist.
Es hatte dessen mutmaßlichen Mörder nämlich nur eine Woche vor der Tat wegen einer versuchten Vergewaltigung verurteilt. Zu einer Bewährungsstrafe, weil das Gericht in dem Mann keine Gefahr sah. In Wirklichkeit aber war der Mann in seinem Heimatland Rumänien ein Berufsverbrecher. „Ein Leichtsinnsfehler des Gerichts hat meinen Vater das Leben gekostet“, sagt Andrea Hauser-Müller. „Sie hätten diesen Menschen nicht freilassen dürfen.“
Doch das Amtsgericht Ulm hat Albert M. Ende Februar 2017 freigelassen, wenn auch nur auf Bewährung. Auf der Anklagebank hatte der heute 37-Jährige damals gesessen, weil er im April 2016 in der Nähe von Ulm versucht hatte, eine 76-jährige Joggerin zu vergewaltigen. Als die Frau sich mit einem Pfefferspray wehrte, verletzte er sie schwer am Kopf. Erst als sein Opfer nicht aufhörte zu schreien, ließ Albert M. von ihm ab. Die Joggerin litt nach der Tat unter einem schweren Trauma.
Er wollte eine 76-Jährige vergewaltigen
Das Ulmer Amtsgericht verurteilte Albert M. letztendlich wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. In der Urteilsbegründung der Schöffenkammer heißt es zugunsten des Täters unter anderem: „Der Angeklagte ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und hat im vorliegenden Verfahren Untersuchungshaft erlitten. Er ist Ersttäter und der Sprache nicht mächtig, weshalb er als besonders haftempfindlich anzusehen ist.“
Das Gericht gehe davon aus, heißt es weiter, dass die Untersuchungshaft auf Albert M. solch einen Eindruck gemacht habe, dass er von weiteren Straftaten abgeschreckt sei. Was die Urteilsbegründung außen vor lässt: Albert M. ist in seinem Heimatland Rumänien mehrfach vorbestraft. Als er versuchte, die Joggerin zu vergewaltigen, hatte er dort gerade erst eine elfjährige Haftstrafe abgesessen – wegen Vergewaltigung: Er war in das Haus einer Frau eingebrochen, hatte sich unter deren Bett versteckt und sich dann brutal an ihr vergangen. 2015 war Albert M. dann nach Deutschland gekommen, wo er mit einer rumänischen Bettlergruppe zwischen Lindau und Ulm umherzog. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zum Großteil mit betteln und stehlen.
Albert M. hat die Schule in Rumänien nur bis zur sechsten Klasse besucht. Seit seinem elften Lebensjahr ist er mit Diebstahl und anderen kleinen Delikten aufgefallen. Die erste größere Haftstrafe erhielt er 1999. Damals war Albert M. gerade 18 Jahre alt; er war bei einem Raub erwischt worden. Daraufhin hatte er seinem Opfer mit einer Eisenstange ins Gesicht geschlagen und war geflohen.
Ans Licht gekommen ist die lange Liste der Vorstrafen des 37-Jährigen erst eineinhalb Jahre nach dem Urteil des Ulmer Amtsgerichts, im Prozess um den getöteten 76-jährigen Rentner aus Lindau. Albert M. saß auf der Anklagebank des Kemptener Landgerichts, weil er nur acht Tage, nachdem er in Ulm freigelassen wurde, ein weiteres schreckliches Verbrechen begangen haben soll. In der Nacht auf den 9. März 2017 soll er in ein ehemaliges Bahnwärterhäuschen in Lindau eingebrochen sein, um dort etwas Alkohol und ein paar Taschen zu stehlen. Dabei überraschte ihn wahrscheinlich der 76-jährige Hausbesitzer. Albert M. soll den Rentner daraufhin erst verprügelt und dann erwürgt haben. Um seine Tat zu vertuschen, setzte er wahrscheinlich das Haus in Brand.
Gericht hält den Mann für nicht therapiebar
Die Schwurgerichtskammer des Kemptener Landgerichts verurteilte Albert M. Anfang August zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. „Er ist der Gefährlichste, der in den letzten Jahren hier gesessen ist“, hatte der Vorsitzende Richter Gunther Schatz in seiner Urteilsbegründung gesagt. Die Kammer halte den 37-Jährigen, dem ein Gutachter eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hatte, für nicht therapierbar. Zum Urteil des Ulmer Amtsgerichts sagte Schatz: „Er ist in einer Art und Weise milde verurteilt worden, dass wir uns aus Höflichkeit nicht weiter dazu äußern wollen.“
Andrea Hauser-Müller hat den Prozess gegen den in erster Instanz verurteilten Mörder ihres Vaters als Nebenklägerin verfolgt. „Ich war schockiert, als ich erfahren habe, wie genau mein Vater umgekommen ist, durch welche Brutalität“, sagt sie. „Ich mache das Urteil, das das Amtsgericht Ulm im Namen des Volkes gesprochen hat, für den Tod meines Vaters verantwortlich.“
Die Frage, warum die Vorstrafen aus Rumänien nicht ins Urteil einbezogen wurden, hat das Ulmer Amtsgericht auch auf mehrmalige Nachfrage nicht beantwortet. Anwalt Christian Mergenthaler, der Andrea Hauser-Müller als Nebenklägerin vertreten hat, ist sich allerdings sicher, dass das Amtsgericht die Vorstrafen von Albert M. hätte prüfen müssen. „Eine Bewährung ist immer abhängig vom Vorleben des Angeklagten“, erklärt Mergenthaler.
Aus Sicht der Nebenklage habe das Amtsgericht Ulm es versäumt, eine ausreichende Kriminalitätsprognose, vor allem mit Blick auf die rumänischen Verfahren, durchzuführen. „So hätten unserer Auffassung nach, insbesondere mit Blick auf die abzuurteilende Tat (versuchte Vergewaltigung einer 76-jährigen Joggerin durch den 36-Jährigen am helllichten Tag) im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit umfangreiche Auskünfte aus dessen Heimatland zum Vorleben des Täters eingeholt werden müssen“, schreibt Mergenthaler.
Andrea Hauser-Müller hat bereits darüber nachgedacht, das Ulmer Amtsgericht auf Schadenersatz zu verklagen. Denn Albert M., dessen Anwältinnen mittlerweile Revision gegen das Urteil des Kemptener Landgerichts eingelegt haben, habe ihr alles genommen. „Mein Vater ist tot, und alle Erinnerungen an ihn sind verbrannt“, sagt sie. Leider könne sie sich eine Klage gegen das Amtsgericht aber nicht leisten. „Ich hoffe, dass sie sich wenigstens Gedanken machen“, sagt Hauser-Müller. „Wir haben die Richter doch dafür, dass sie uns schützen.“
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