Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Doppelgängerinnen-Mordprozess: Was wir vor der Urteilsverkündung wissen – und was nicht

Ingolstadt

Doppelgängerinnen-Mordprozess: Was wir vor der Urteilsverkündung wissen – und was nicht

    • |
    • |
    • |
    Am Donnerstag ist der letzte Verhandlungstag im Doppelgängerinnen-Mordprozess.
    Am Donnerstag ist der letzte Verhandlungstag im Doppelgängerinnen-Mordprozess. Foto: Luzia Grasser

    Worum geht es im sogenannten Doppelgängerinnen-Mordprozess?

    Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt wirft den Angeklagten Folgendes vor: Am 16. August 2022 soll Schahraban K. gemeinsam mit Sheqir K. Khadidja O. getötet haben, weil diese der Angeklagten zum Verwechseln ähnlich sah. Schahraban K. wollte so ihren eigenen Tod vortäuschen, untertauchen und ein neues Leben beginnen. Um eine geeignete Doppelgängerin zu finden, kontaktierte Schahraban K. gezielt junge Frauen auf Social Media und bat sie um ein Treffen. Sie lockte sie mit einer kostenlosen Haarentfernung in ihrem Kosmetikstudio. Khadidja O. ging auf das Angebot ein. Schahraban K. und Sheqir K. holten die ahnungslose, junge Frau zu Hause ab und brachten sie mit 56 Messerstichen in einem Waldstück bei Heilbronn um. Danach fuhren sie zu dritt zurück nach Ingolstadt. Schahraban K. und Sheqir K. stellten das Auto samt Leiche in der Peisserstraße ab. Dies ist die Sicht der Staatsanwaltschaft. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

    Welches Mordmotiv nimmt die Staatsanwaltschaft an?

    Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Schahraban K. vor ihrer jesidischen Familie fliehen wollte. Schahraban K.s Mann hatte sich kurz vor der Tat von ihr getrennt. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die Deutsch-Irakerin deshalb wieder in ihrem Elternhaus hätte einziehen müssen und nicht so frei hätte leben können, wie sie es wollte. Deshalb schmiedete sie den Plan, ihren Tod zu fingieren. Bei dem Mord helfen sollte ihr Sheqir K., den sie allerdings erst wenige Tage vor der Tat kennenlernte. Bei ihm nimmt die Staatsanwaltschaft als Motiv Mordlust an, denn ein Liebespaar waren die beiden Angeklagten wohl nicht und Geld soll auch nicht geflossen sein.

    Schahraban K. und Sheqir K. sind nicht nur wegen Mordes angeklagt, sondern auch wegen versuchter Anstiftung zum Mord. Wieso?

    Schahraban K. soll versucht haben, ihren Schwager töten zu lassen, weil er gegen ihre Beziehung zu dessen Bruder Rawan N. war. Sie gab einem Mann 5000 Euro dafür, dass er den Auftrag ausführt, nach der Tat sollte er weitere 5000 Euro erhalten. Zu dem Auftragsmord kam es zwar nie, doch die Anstiftung hat Schahraban K. zugegeben. Sheqir K. soll in der Untersuchungshaft eine Liste geschrieben haben mit potenziellen Belastungszeugen, die „Todesliste“. Ein Teil dieser Zeugen sollte zum Schweigen gebracht, ein Teil eingeschüchtert werden. Einer von Sheqir K.s Mithäftlingen sollte die Liste aus dem Gefängnis schmuggeln beziehungsweise jemanden anheuern, der die Taten ausführen sollte.

    Wer sind die Angeklagten?

    Es gibt zwei Angeklagte: Schahraban K. und Sheqir K. Beide waren zur Tatzeit 22 Jahre alt. Schahraban K. ist als Kind mit ihrer Familie aus dem Irak nach Deutschland geflohen und lebte dann mit ihrer Familie in München, bis sie mit ihrem Mann Rawan N. nach Ingolstadt zog. Sie waren nach jesidischem Recht verheiratet. Bis zu ihrer Trennung betrieb das Paar gemeinsam einen Friseur- und Kosmetiksalon. Sheqir K. stammt ursprünglich aus dem Kosovo. Sein Vater soll im Kosovo-Krieg verschollen sein. Er ist in Ingolstadt aufgewachsen und wohnte bis zu seiner Festnahme mit seiner Mutter und seinem behinderten Bruder zusammen. Sheqir K. hatte immer wieder andere Jobs. Die Angeklagten lernten sich durch gemeinsame Freunde in Ingolstadt kennen.

    Wer ist die Getötete?

    Khadidja O. stammt aus Algerien, kam aber noch als Kind nach Deutschland. Mit 14 Jahren kam sie in ein Heim, weil sie durch ihren alleinerziehenden Vater Gewalt erfahren hatte. Schließlich zog sie in eine Wohnung in Eppingen bei Heilbronn. Als sie getötet wurde, war sie ebenfalls 22 Jahr alt - wie die Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet Khadidja O. als Beauty-Influencerin. Sie hatte aber nur wenige Follower. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Kellnerin. Sie galt als nette und höfliche junge Frau, bescheiden und bodenständig, etwas naiv. Ihre Freunde beschreiben sie als sehr zurückhaltend gegenüber Männern. Im Prozess traten allerdings zwei Männer auf, von denen der eine behauptete, er sei ihr fester Freund gewesen, und der andere, er habe sich in einer „Kennenlernphase“ mit ihr befunden.

    Wie lange dauert der Prozess schon?

    Die Angeklagten befinden sich seit 18. August 2022 in Untersuchungshaft. Am 16. Januar 2024 fing der Prozess an. Bis zum Urteil am 19. Dezember wird das Verfahren 53 Tage gedauert haben. Ursprünglich war der Prozess bis Anfang Mai terminiert, dann bis Anfang August. Die Beweisaufnahme mit mehr als 100 Zeugen nahm allerdings mehr Zeit in Anspruch als geplant. Und dann stellten die Verteidiger immer wieder neue Beweisanträge, denen die Kammer nachging. So verschoben sich die Plädoyers mehrmals und fanden erst vergangene Woche, am 10. Dezember, statt.

    Warum ist das Verfahren so langwierig?

    Es gab viele Zeugen, die gehört werden mussten, und viele Daten, die ausgewertet und in das Verfahren eingeführt werden mussten. Außerdem sind nach wie vor viele Fragen offen und vieles ist widersprüchlich. Vor allem Sheqir K.s Mordmotiv scheint zweifelhaft. Und auch das Motiv, das die Staatsanwaltschaft bei Schahraban K. annimmt, wackelt - spätestens seit der Vorsitzende Richter verkündet hat, dass die Kammer nicht der Ansicht ist, dass sich die Angeklagte und die Getötete zum Verwechseln ähnlich sehen. Geständnisse gibt es keine. Die Angeklagte Schahraban K. hat sich zu Beginn des Prozesses zur Tat eingelassen. Das heißt, sie hat ihre Sicht der Dinge geschildert. Allerdings hat sie ihre Schuld abgestritten und stattdessen ihren Mitangeklagten schwer belastet. Und dieser schweigt beharrlich.

    Was ist nach Ansicht von Schahraban K. passiert?

    Schahraban K. schildert den Tathergang so: Sheqir K. habe sie gezwungen, dass sie ihn am 16. August 2022 nach Eppingen fährt. Sie wusste nicht, was er vorhatte. In Eppingen stieg Khadidja O. mit ins Auto und sie fuhren wieder los zurück Richtung Ingolstadt. In einem Waldstück sollte Schahraban K. anhalten, weil Sheqir K. austreten wollte. Dort habe er Khadidja O. mit einem Schlagring niedergeschlagen und anschließend auf die Rückbank im Auto gelegt. Schahraban K. hatte nach eigenen Angaben panische Angst, doch Sheqir K. zwang sie weiterzufahren. Kurze Zeit später hielten sie auf einem Supermarktparkplatz. Schahraban K. sollte aussteigen - und dann erstach Sheqir K. Khadidja O. Danach warf Sheqir K. das Messer weg und nötigte Schahraban K., die Fahrt fortzusetzen. In Ingolstadt gelang Schahraban K. in der Nacht die Flucht.

    Was fordern Staatsanwaltschaft und Nebenklage, was die Verteidiger der Angeklagten?

    Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben eine lebenslange Freiheitstrafe für die beiden Angeklagten gefordert - wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes an Khadidja O. Lebenslänglich bedeutet in Deutschland 15 Jahre Haft. Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben darüber hinaus aber noch die besondere Schwere der Schuld und den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung gefordert. Dann könnten die Angeklagten noch einige Jahre mehr in Haft bleiben müssen. Die Verteidiger beider Angeklagten forderten für ihre Mandanten hinsichtlich des Mordvorwurfs einen Freispruch. Ihrer Ansicht nach gibt es in diesem Fall noch viel zu viele offene Fragen, die begründete Zweifel an der Schuld der Angeklagten zulassen - und im Zweifel müsse man für den Angeklagten urteilen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden