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Krumbach: Ein amerikanischer Urenkel sucht in Krumbach die Wurzeln seiner jüdischen Familie

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Ein amerikanischer Urenkel sucht in Krumbach die Wurzeln seiner jüdischen Familie

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    Moish Schmidt aus New York, Franziska Scheule-Walter, Erika Spielvogel und Rupert Scheule (von links) vor der ehemaligen „M. Prinz Dampfmolkerei und Schmelzwerk“ in Krumbachs Hohlstraße.
    Moish Schmidt aus New York, Franziska Scheule-Walter, Erika Spielvogel und Rupert Scheule (von links) vor der ehemaligen „M. Prinz Dampfmolkerei und Schmelzwerk“ in Krumbachs Hohlstraße. Foto: Sammlung Heimatverein Krumbach

    Es ist ein sonniger Vormittag im Herbst 2024. Ein junger Mann läutet an der Tür der Burgauer Straße 26 in Krumbach, dem Pfarrhaus der Kirchengemeinde Maria Hilf. Er fragt die Pfarrsekretärin auf Englisch, ob er sich umsehen dürfe, seiner Familie habe einmal dieses Haus gehört. Nach anfänglichem Zögern wird der Fremde freundlich herumgeführt im Pfarrhaus. Der junge Mann ist Moish Schmidt aus New York, der Urenkel von Menasse Prinz, jenem Krumbacher Unternehmer jüdischen Glaubens, der das Haus in der Burgauer Straße 26 in den 1920er Jahren erbaut hatte.

    Das Logo der einstigen Molkerei von Menasse Prinz in Krumbach.
    Das Logo der einstigen Molkerei von Menasse Prinz in Krumbach. Foto: Sammlung Heimatverein Krumbach

    Über den Besuch von Moish Schmidt hat uns der Heimatverein Krumbach einen umfassenden Bericht zukommen lassen. Prinz war kein gebürtiger Krumbacher. Er kam nach dem Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) aus der Westukraine, baute sich in Krumbach aber schnell eine Existenz auf: Erst war er Arbeiter in der Molkerei in der Hohlstraße 2, dann konnte er den Betrieb übernehmen. Die Produktpalette der „M. Prinz Dampfmolkerei und Schmelzwerk“ reichte von der „Deutschen Feinen Molkereibutter“ bis zum „Prinzess Gitwa Camembert – Schimmel und Rinde essbar!“ Der Käse war benannt nach Gitwa, Menasse Prinz‘ in Krumbach geborener Tochter, Moish Schmidts Großmutter.

    Menasse Prinz Käse-Kreation, benannt nach seiner Tochter Gitwa.
    Menasse Prinz Käse-Kreation, benannt nach seiner Tochter Gitwa. Foto: Sammlung Heimatverein Krumbach

    Der unternehmerische Erfolg von Prinz schien die Nazis, sobald sie an der Macht waren, zu besonderen Schikanen zu veranlassen. Schon 1933 musste er eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen, 1938 wurde er mit seiner Familie rechtswidrig festgenommen, konnte nach der Haft aber über England in die USA fliehen. In New York gelang es Prinz erneut, ein Molkerei-Unternehmen aufzubauen. „Max Prince“, wie er sich jetzt nannte, wurde zu einer festen Größe des jüdischen Lebens an der amerikanischen Ostküste.

    Menasse Prinz („Max Prince“) mit seiner Frau Esther nach der Flucht aus Krumbach in New York.
    Menasse Prinz („Max Prince“) mit seiner Frau Esther nach der Flucht aus Krumbach in New York. Foto: Sammlung Heimatverein Krumbach

    In dieser jüdischen Szene wurde auch sein Urenkel Moish Schmidt groß. Aber der Familie war stets ihre komplexe europäische Geschichte bewusst. Dieses Geschichtsbewusstsein mit all den Fragen, die sich ihm stellten, war es, das auch Moish Schmidt umtrieb: „Ich wollte besser verstehen, woher wir kommen. Ich machte daher eine Deutschlandreise. Und in München hatte ich spontan die Idee, mir ein Auto zu mieten und in dieses Krumbach zu fahren, von dem meine Großmutter Gitwa immer erzählte. Ich gab Krumbach ins Navi ein und fuhr los. Ich wusste überhaupt nicht, was mich hier erwartet.“

    Was Moish Schmidt in Krumbach vorfand, hat ihn tief bewegt. Auf dem Handy hatte er schon lange ein Bild von einem schmiedeeisernen Fenstergitter mit den geschwungenen Initialen seiner Krumbacher Urgroßeltern Menasse und Esther. Jetzt stand er am Kellerfenster des Pfarrhauses in der Burgauer Straße 26 und sah die verschnörkelten Buchstaben „M“ und „E“ mit eigenen Augen. Ansonsten erinnert hier nichts mehr an das jüdische Bauherren-Paar.

    In der Pfarrgemeinde Maria Hilf, Krumbach weiß man um die jüdische Vorgeschichte des Pfarrhauses.

    „Wir in der Pfarrgemeinde wussten natürlich um die wechselvolle Geschichte unseres Pfarrhauses“, sagt Rupert Scheule, Diakon der Pfarrgemeinde Maria Hilf. Das Gebäude hatte, nachdem Menasse Prinz zum Verkauf gezwungen worden war, unter anderem einige Krumbacher Handwerksbetriebe beherbergt, ehe es die Kirche in den 1960er Jahren erwarb.

    Ein höhnischer Artikel 1938 im Krumbacher Boten.

    „Dass wir uns dieser Geschichte ehrlich stellen, ist uns wichtig“, ergänzt Scheule. „Wenn wir das schwierige Thema von Juden und Christen in Krumbach nicht zum Thema haben, dann hat das Thema uns. Noch immer“. Scheule räumt ein, dass das schmerzhaft sein kann und verweist auf einen kurzen Beitrag aus dem Krumbacher Boten, des Vorgängers der Mittelschwäbischen Nachrichten. Dort war am 13. Dezember 1938 zu lesen: „Jud Prinz haut ab. Menasse Prinz, dem Glanzstück eines ostgalizisichen Einwanderers, polnischer Staatsangehörigkeit, scheint nun doch der Rahm, den er von der Milch der Krumbacher Bauern abschöpfte, anstatt koscher sauer geworden zu sein. Er hat sein neues Haus an der Burgauer Straße an die A. Stähle KG verkauft. Wir hören mit Vergnügen davon, daß auf dem Reiseprogramm der ‚Prinzenfamilie‘ Australien steht.“

    Von Hohn und Hass in dieser Meldung ist Moish Schmidt getroffen. Und zugleich froh, dass ihm der Zeitungsausschnitt nicht vorenthalten wurde. Nur so könne Vertrauen wachsen. Tatsächlich war Familie Prinz übrigens nie in Australien.

    Franziska Scheule-Walter und Erika Spielvogel vom Heimatverein Krumbach begleiteten Moish Schmidt, der heute als Immobilienmakler in Miami arbeitet, noch zum jüdischen Friedhof nordöstlich von Krumbach. Insbesondere das dortige Tahara-Haus, in dem die Toten nach jüdischer Sitte gewaschen wurden, beeindruckte Schmidt. „Ich habe selbst schon teilgenommen an einer Tahara, einer Totenwaschung. Wir nennen sie auch ‚the true deed‘, die wahrhaft gute Tat. Denn einen Toten versorgst du stets, ohne mit einer Gegenleistung rechnen zu können“. Schmidt besuchte schließlich noch das Mittelschwäbische Heimatmuseum, ebenfalls ein Haus mit jüdischem Vorbesitzer. Dankbar nahm Museumsleiterin Anita Roth Schmdts Hinweis entgegen, dass einige der hebräischen Gebetbücher in den Vitrinen falsch herum stehen. „Dreht die Bücher einfach um, dann ist schon wieder ein bisschen mehr in Ordnung mit der jüdischen Geschichte von Krumbach“, so Schmidt augenzwinkernd.

    Während seines Besuchs in der Kammelstadt war Moish Schmidt per Handy stets in Kontakt mit seinen vier Geschwistern, zwei von ihnen leben in Israel, zwei in den USA. Sie alle nahmen per WhatsApp regen Anteil an dem, was ihr Bruder in Krumbach erlebt hat. „Ich bin mir sicher, ihr seht die vier auch sehr bald. Für mich war es unglaublich wichtig, hier zu sein“.

    Dass die Krumbacher Stadtverwaltung eine eigene Seite hat auf ihrer Homepage für die Nachfahren jüdischer Krumbacher, findet Schmidt gut. Auf Deutsch, Ivrit, dem modernen Hebräisch, und auf Englisch werden Juden mit Krumbacher Wurzeln eingeladen, an die Kammel zu kommen. „Wir Schmidts nehmen die Einladung der Krumbacher gern an und wollen die Heimat unserer Großmutter kennenlernen. Ein bisschen gehören wir doch zusammen“, sagt Menasse Prinz' Urenkel, ehe er ins Auto steigt. Der Leihwagen sollte längst zurück in München sein. Sein Besuch in Mittelschwaben dauerte viel länger als gedacht. (AZ)

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