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Die faszinierende Reise unserer Sprache: Entdeckungen und Verbindungen aus 5000 Jahren Geschichte.

Interview

Woher kommt unsere Sprache, Frau Spinney?

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    Vor 5000 Jahren ist zwar nicht der Himmel, aber zumindest die Welt ordentlich in Bewegung geraten. Migrationsströme sorgten dafür, dass sich im Verlauf eines Jahrtausends das Indoeuropäische entwickelt hat. Vielleicht ist gegen Ende dieser Veränderungen auch die Himmelsscheibe von Nebra (Bild) entstanden, heute aufbewahrt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle?
    Vor 5000 Jahren ist zwar nicht der Himmel, aber zumindest die Welt ordentlich in Bewegung geraten. Migrationsströme sorgten dafür, dass sich im Verlauf eines Jahrtausends das Indoeuropäische entwickelt hat. Vielleicht ist gegen Ende dieser Veränderungen auch die Himmelsscheibe von Nebra (Bild) entstanden, heute aufbewahrt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle? Foto: Peter Endig, dpa

    Frau Spinney, früher blieb Sprachforschern nur der Vergleich von Wörtern, um Verbindungen etwa zwischen dem Altgriechischen und dem indischen Sanskrit festzustellen. Nun gibt es verblüffende paläogenetische Analysemethoden.
    LAURA SPINNEY: Seit etwa zehn Jahren ist man in der Lage, die DNA aus alten Knochen zu extrahieren und zu deuten. Genetiker können herausfinden, ob und wie Menschen, die weit voneinander begraben wurden, miteinander verwandt sind. Dadurch lassen sich die Modelle der historischen Sprachforscher mit den Routen prähistorischer Migranten abgleichen. Man weiß jetzt also, wie sich Sprachen über Raum und Zeit hinweg aufgeteilt und verbreitet haben. Dass die indoeuropäischen Sprachen vor etwa 8000 Jahren aus dem Gebiet um Euphrat, Tigris und dem Unteren Nil ausgestrahlt haben, konnte zum Beispiel widerlegt werden.

    Sie sprechen in Ihrem Buch vom Urknall der Sprache, der sich vor etwa 5000 Jahren ereignet hat. Ging das wirklich so rasant?
    SPINNEY: Die frühe Ausbreitung dieser indoeuropäischen Sprachen vom Gebiet um das Schwarze Meer war weiträumig und durch Transportmittel überraschend schnell. Denken Sie an Wagen, Ruderboote, möglicherweise auch Pferde. Innerhalb von etwa 1000 Jahren wurden im äußersten Westen in Irland und im äußersten Osten in China indoeuropäische Sprachen gesprochen. Das Ausmaß dieses „Knalls“ steht außer Frage. In den letzten zehn Jahren sind eher die Auslöser für diese Verbreitung infrage gestellt worden. Gewalt? Pest? Neuartige soziale Gefüge? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem und weiteren Faktoren.

    Und in einer neuen Welt verändert sich auch die Sprache.
    SPINNEY: Ja. Sprache ist ein Hilfsmittel, mit dem wir uns an die Umgebung anpassen. Vor rund 5000 Jahren sind die Zuwanderer auf neue Flora und Fauna gestoßen, auf neue Technologien und Methoden der Nahrungsmittelherstellung. Und über all das mussten sie sprechen. Entscheidend ist, dass sie dabei auch auf Menschen mit ganz anderen Sprachen trafen. Im Laufe der Zeit haben sich beide Sprachgruppen gegenseitig verändert.

    Könnte sich der Klimawandel und die damit verbundene Migration ähnlich wie vor 5000 Jahren auf die Sprachen auswirken?
    SPINNEY: Nicht in dieser Weise, nein, denn im Gegensatz zu den prähistorischen Völkern haben wir heute eine Schrift, wir haben Schulen und globalisierte Medien, die den Sprachwandel verlangsamen – und wir haben ja auch Regeln. Dennoch könnte eine Kombination aus Klimawandel, Migration, geopolitischen Umwälzungen und neuen Technologien erheblichen Einfluss auf unsere Sprachen haben.

    Interessant ist doch auch, dass es im Indoeuropäischen – trotz aller Kriege – ähnliche Sagen gibt und genauso Götter, die für Vergleichbares zuständig waren.
    SPINNEY: Wir kennen nur einen Bruchteil der Geschichten, die sich die Menschen in prähistorischen Zeiten erzählt haben. Aber sie hatten definitiv ein Faible für Drachen und Drachentöter, auch für Brüder und Zwillingsbrüder, für Götter und Pferde. Es ging viel um Magie und Heldentum und auch um eine gehörige Portion Gewalt. Die Bronzezeit, in der die Vorform aller heute existierenden indoeuropäischen Sprachen gesprochen wurde, wird nicht umsonst als Zeitalter der Helden bezeichnet.

    Was sagt uns das frühe Indoeuropäische über den Alltag der Menschen?
    SPINNEY: Es war die Sprache nomadischer Hirten, die auch geschickte Metallarbeiter waren und ursprünglich in der Steppe westlich des Uralgebirges lebten. Ihre Gesellschaften waren patrilokal. Das bedeutet, dass Frauen in den Haushalt ihrer Partner gezogen sind und der Besitz über die männliche Linie weitergegeben wurde. Diese Menschen glaubten an ein Pantheon von Göttern, dem ein „Himmelsvater“ vorstand. Das ist der sprachliche Vorfahr von Zeus, Jupiter und Tyr. Man konnte das bereits aus den rekonstruierten Sprachen ableiten, nun haben Archäologen und Genetiker auch die physischen Spuren dieser Menschen gefunden.

    Welche Sprachen setzen sich in der Regel durch?
    SPINNEY: Die Sprachen, die für die meisten Menschen am praktischsten sind. Damit das so bleibt, müssen sie sich anpassen. Innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie, die heute etwa 400 Sprachen und Dialekte umfasst, sind einige gefährdet. Sizilianisch, Irisch und Okzitanisch fallen mir da ein. Und es gibt andere, die ziemlich vital sind, und zwar so sehr, dass viele sie als Bedrohung für andere Sprachen betrachten. In diese Kategorie würde ich Englisch, Spanisch, Hindi und Russisch einordnen.

    Sprache ermöglicht Zugehörigkeit. Ist sie nicht schon deshalb hoch politisch?
    SPINNEY: Auf jeden Fall. Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine. So lautet ein berühmtes Bonmot, das dem Linguisten Max Weinreich zugeschrieben wird. In seinen Worten steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit.

    Sprache wird missbraucht, gerade von Nationalisten, die sich absurde „Theorien“ ausdenken. Träumt Wladimir Putin nicht von einer „russischsprachigen Sphäre“?
    SPINNEY: So schien es jedenfalls im Jahr 2021, als er sein Verständnis der Geschichte der Ukraine und Russlands in einem Essay dargelegt hat. Putin ist nicht der erste russische Staatschef, der behauptet, dass alle russischsprachigen Menschen zu Russland gehören. Dazu nur zwei Bemerkungen: Die ersten Menschen, die eine als Russisch erkennbare Sprache sprachen, waren sich der Idee eines Nationalstaats nicht bewusst – die gab es einfach noch nicht. Ich meine, dass heute innerhalb der international anerkannten Grenzen Russlands über 100 Sprachen gesprochen werden.

    Noch nie hat sich die Welt so schnell verändert wie in den letzten 20 Jahren. Wie viele Sprachen werden in absehbarer Zeit verschwinden?
    SPINNEY: Das hängt davon ab, wie man Veränderung betrachtet. Es gab auch schon früher Phasen eines raschen Wandels. Aber es stimmt, dass Sprachen mit einer alarmierenden Geschwindigkeit verschwinden. Schätzungen zufolge könnten bis zum Ende dieses Jahrhunderts 1500 aussterben. Wenn man bedenkt, dass heute weltweit zwischen 6000 und 7000 Sprachen gesprochen werden, ist das eine ziemlich ernüchternde Prognose.

    Welche Sprache, glauben Sie, werden die meisten Menschen in 100 Jahren sprechen?
    SPINNEY: Ich denke, dass Englisch in diesem Zeitraum immer noch eine Weltsprache sein wird – wenn auch vielleicht nicht mehr die einzige. Arabisch, Spanisch und Hindi zählen zu den weiteren Anwärtern auf diesen Titel. Es mag seltsam klingen, aber ich glaube nicht, dass Mandarin dazugehören wird. Selbst wenn China die USA als dominierende Supermacht der Welt ablösen sollte. Mandarin war noch nie eine Lingua franca. Selbst dort, wo China heute über seine Landesgrenzen hinaus wirtschaftliche Macht ausübt, ist Mandarin nicht die Geschäftssprache. Englisch und die anderen Verkehrssprachen haben also noch einiges vor sich.

    Zur Person

    Die 53-jährige britische Wissenschaftsjournalistin und Romanautorin, die in Paris lebt, schreibt für den „Guardian“, den „Economist“ und „Nature“. Ihr Buch „1918 – Die Welt im Fieber“ über die Spanische Grippe wurde zum Bestseller. Ihr aktuelles Buch „Der Urknall der Sprache“ ist bei Hanser erschienen (336 S., 26 €).

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