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Interview: Dorothea Sommer leitet die größte Universalbibliothek Deutschlands

Interview

Dorothea Sommer: „Wir sind die größte Universalbibliothek Deutschlands“

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    Erste Frau an der Spitze der Bayerischen Staatsbibliothek: Generaldirektorin Dorothea Sommer
    Erste Frau an der Spitze der Bayerischen Staatsbibliothek: Generaldirektorin Dorothea Sommer Foto: M. McKee / Bayerische Staatsbibliothek

    Frau Sommer, in der Bayerischen Staatsbibliothek sind zuletzt der Nachlass von Eugen Roth, 231 äthiopische Handschriften und ein Autograf des Komponisten Hugo Distler gelandet. Vom millionenschweren Ankauf der berühmten Welle Hokusais ganz zu schweigen.
    DOROTHEA SOMMER: Das sind natürlich Spitzenstücke, aber sie zeigen, dass unser Sammeln die unterschiedlichsten Medien betrifft, also längst nicht nur Bücher, und durchaus auch Wertvolles.

    Könnte ein schlüpfriger Trivialschmöker bei Ihnen landen?
    Sommer: Auch das, wir sind die Archivbibliothek des Freistaats und sammeln sämtliche Verlagspublikationen aus Bayern. Das ist unsere gesetzlich verankerte Aufgabe.

    Man fragt sich tatsächlich, wo das alles aufbewahrt wird.
    Sommer: Oh ja, wir haben einen jährlichen Zugang von 100.000 bis 130.000 gedruckten Büchern. Platzkapazitäten langfristig sicherzustellen, gehört deshalb zu den besonders wichtigen Aufgaben der Direktion. Das sind umfangreiche Investitionen, und es ist gar nicht einfach, an einem Standort wie München den entsprechenden Raum zu bekommen.

    Mehr als 100.000 gedruckte Bücher kommen jährlich zur Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek hinzu.
    Mehr als 100.000 gedruckte Bücher kommen jährlich zur Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek hinzu. Foto: Frank Leonhardt, dpa

    Mit welchen anderen Bibliotheken kann man die Bayerische Staatsbibliothek vergleichen?
    Sommer: Was die historischen Bestände anbelangt, sind wir sicher mit der Bibliothèque national de France oder der British Library in London vergleichbar, auch mit der Biblioteca Vaticana. Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt und Leipzig hat zwar durch den Zugang der deutschen Verlagsproduktion, der Pflichtliteratur, sehr umfangreiche Bestände, aber wenn man die Gesamtheit aller Wissensgebiete, ihre Geschichte und verschiedenen Sprachen betrachtet, dann ist die Bayerische Staatsbibliothek die größte Universalbibliothek in Deutschland.

    Ihre analogen Bestände werden seit Jahren digitalisiert. Wie weit sind Sie?
    Sommer: VON UNGEFÄHR 38 MILLIONEN MEDIEN – 11 MILLIONEN DAVON SIND BÜCHER – HABEN WIR FAST 5 MILLIONEN DIGITALISIERT. SEIT KURZEM HABEN WIR AUCH MIT DER DIGITALISIERUNG DER 15 MILLIONEN BILDER DES „STERN“-FOTOARCHIVS BEGONNEN. DAS IST EINE RELATIV NEUE AUFGABE: Wir wollen 5 Millionen Bilder bis 2029 zur Verfügung stellen.

    Dann spielt die Bildersammlung eine gewichtige Rolle.
    Sommer: Tatsächlich haben wir mit 19,4 Millionen Fotos mittlerweile das umfangreichste Bildarchiv in öffentlicher Hand. Wir betrachten es auch als Ergänzung der zeitgeschichtlichen Sammlungen. Es geht weniger um die künstlerische als die zeithistorische Fotografie. Dafür steht gerade das „Stern“-Archiv.

    Was muss eine Forschungsbibliothek heute leisten und sammeln? Sie können nicht wissen, was relevant wird.
    Sommer: Man sollte möglichst breit vorausschauend sammeln und natürlich auch wissenschaftlich orientiert. Dann sollten die gedruckten wie die digitalen Bestände in den richtigen Umgebungen und digitalen Portalen möglichst kontextualisiert zur Verfügung stehen. Wichtig ist auch, dass Wissenschaftler die Inhalte leicht herunterladen und in ihrem Forschungsgebiet damit arbeiten können. Wir bieten mit „Daten für die Forschung“ einen kostenlosen Service, den es momentan an keiner anderen deutschen Bibliothek in diesem Umfang gibt.

    Spielt die Künstliche Intelligenz bei der Verschlagwortung schon eine Rolle?
    Sommer: Sie wird eine zunehmende Rolle spielen. Momentan setzen wir sie bei der Bildähnlichkeitssuche in bavarikon, dem Online-Portal des Freistaats Bayern zur Präsentation von Kunst-, Kultur- und Wissensschätzen, ein. Bei der Verschlagwortung haben wir die KI noch nicht im Einsatz, wobei intensiv darüber diskutiert wird.

    Ist das noch zu riskant?
    Sommer: Ja, wir haben den Anspruch, qualitätsgesicherte Daten anzubieten. Ungenauigkeiten oder Fehler wären in einem solchen System nicht nur peinlich, sondern desaströs.

    Ihr Vorgänger Klaus Ceynowa war ein Cyber- und Digitalisierungsfreak, der mit Google einen Millionen-Deal eingefädelt hat. Wie stehen Sie dazu?
    Sommer: Als ich nach München kam, hatte ich bereits in Halle die damals zweitgrößte digitale Bibliothek im deutschen Bibliothekswesen mit auf die Beine gestellt. Die Digitalisierung ist also durchaus auch mein Thema. Hier in München geht die Kooperation mit Google, wir haben den urheberrechtsfreien Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek zum wesentlichen Teil digitalisiert und bewegen uns jetzt weiter ins 19. und 20. Jahrhundert hinein. Die zehn regionalen staatlichen Bibliotheken sind mit ihren historischen Beständen in das Google-Programm einbezogen. In diesem Jahr läuft die Digitalisierung der Bestände in der Landesbibliothek Coburg an, dann folgen die Studienbibliothek in Dillingen und die Provinzialbibliothek Amberg mit bedeutenden Klosterbeständen.

    Die Kooperation mit Google wurde auch kritisiert.
    Sommer: Dennoch ist das eine klare und gute strategische Entscheidung gewesen. Wenn Sie sich den Digitalisierungs-Output der anderen deutschen Bibliotheken ansehen, hat uns das Google-Projekt deutlich abgesetzt. Wir wollen uns nichts vormachen, man muss auch in öffentlichen Bibliotheken wirtschaftlich und effizient arbeiten. Der Forschung stehen sämtliche Digitalisate frei zur Verfügung. Sie können nicht nur innerhalb eines Texts, sondern über verschiedene Texte, ja sogar Sammlungen hinweg bis auf die Ebene eines einzelnen Wortes suchen. Das ist eine Qualität, die andere Bibliotheken noch nicht in diesem Umfang aufweisen können.

    Wie sichert man einen so großen Bibliothekstanker gegen Virenangriffe und Cyberkriminalität?
    Sommer: Das ist eine der drängendsten Aufgaben überhaupt. Der Cyber-Angriff auf die British Library hat die Bibliothekswelt natürlich alarmiert. Über 30 Millionen Einträge in den Katalogen waren auf einmal nicht mehr online abrufbar, und es wird wohl noch lange Zeit dauern, bis man in London wieder auf den Stand vor der Attacke kommt. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, aber man kann einiges tun, um sich zu schützen. Die Bayerische Staatsbibliothek arbeitet an einem integrierten Sicherheitsmanagementsystem. 2021 haben wir bereits ein neues Bibliothekssystem eingeführt und die Überführung unseres Systems in die Cloud vorbereitet.

    Augsburger Bauprojekt liegt „erfreulicherweise im Kostenrahmen“

    Auf der anderen Seite haben Sie sich als Generaldirektorin um die klassischen Gebäudesicherungen und Sanierungen zu kümmern. Wie ist der Stand in Augsburg?
    Sommer: Nach dem Auszug der Staats- und Stadtbibliothek Ende 2022 in ein Interimsgebäude soll jetzt im Mai / Juni der Grundstein für den Neubau gelegt werden. Die archäologischen Untersuchungen sind abgeschlossen, da sollte nichts mehr dazwischenkommen. Wir sind im Zeitplan und rechnen damit, 2027 an der Schätzlerstraße wieder einziehen zu können. Das Projekt liegt auch erfreulicherweise im Kostenrahmen.

    120.000 Bände aus Augsburg sind derzeit in München gelagert.
    Sommer: Ja, allerdings an einem Außenstandort, die Handschriften werden jedoch im Hauptgebäude an der Ludwigstraße aufbewahrt. Aber Augsburg ist nach wie vor gut bestückt, rund 500.000 Bände sind dort ins Interimsgebäude gezogen.

    Zur Person Die Anglistin und Bibliotheksmanagerin, Jahrgang 1962, hat in Halle und im walisischen Aberystwyth studiert. Nach Stationen an der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, wechselte sie 2015 an die Bayerische Staatbibliothek, die sie seit dem 1. Mai als erste Frau an der Spitze.

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