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Ein neuer Blick auf "Don Giovanni": Proserpina begleitet den Verführer - eine außergewöhnliche Inszenierung.

Kritik

In diesem Don Giovanni steckt eine Frau

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    Diesen Don Giovanni will Donna Anna unbedingt haben: Vera-Lotte Boecker und Konstantin Krimmel in der Neuinszenierung von David Hermann für die Bayerische Staatsoper.
    Diesen Don Giovanni will Donna Anna unbedingt haben: Vera-Lotte Boecker und Konstantin Krimmel in der Neuinszenierung von David Hermann für die Bayerische Staatsoper. Foto: Geoffroy Schied, Bayerische Staatsoper

    Einen „Don Giovanni“ neu zu inszenieren, macht Regisseuren mittlerweile viel Schweiß. Ist die Geschichte vom Verführer, der die Frauen zu Tausenden rumkriegt und am Ende zur Hölle fährt, doch schon lange auserzählt, sind parallel dazu die Versuche, der Mozart/Da Ponte-Oper einen neuen Twist zu verschaffen, nichts weniger als obligatorisch. Was David Hermann sich ausgedacht hat für seine Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper, nimmt sich denn auch zunächst aus wie eine Kopfgeburt von reinstem Geblüt – um recht bald aber doch Schlüssigkeit (cum grano salis), Charme, ja sogar Witz zu entfalten. Entsprechend groß der Publikumsjubel am Premierenabend im 150. Jahr der Münchner Opernfestspiele.

    Beim Konzipieren seiner Inszenierung ist der Regisseur über zwei Namen gestolpert, die in der letzten Szene der Oper in einem Halbsatz Erwähnung finden: Pluto und Proserpina. Die beiden, so weiß es der antike Mythos, wurden einst zum Paar, weil Unterweltgott Pluto die Proserpina raubte – ein Gewaltakt also, gemildert nur durch Plutos Versprechen, Proserpina alle Halbjahre zurück in die Oberwelt ziehen zu lassen. Hier hakt Hermanns Regiegedanke ein: Was, wenn Proserpina auf einem ihrer Ausflüge beschlösse, in den Körper von Don Giovanni zu schlüpfen und mitzubekommen, wie es sich anfühlt im Innersten eines rastlosen Schürzenjägers?

    Die Göttin verursacht Don Giovanni einen Hexenschuss

    Die Metamorphose vollzieht sich auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters noch während der Ouvertüre. Proserpina, als stumme Rolle dargestellt von Erica D’Amico, greift sich Don Giovanni von hinten, und dass das Götterwesen nun in ihm haust, ist daran erkenntlich, dass sein Gewand nun im selben Feuerrot leuchtet wie dasjenige Proserpinas (Kostüme: Sibylle Wallum).

    Eine Frau im Körper eines Mannes, der Frauen verführt – unter Gendergesichtspunkten keine ganz uninteressante Spielanordnung. Wobei – und das ist der Inszenierung doch ein wenig zu Lasten zu legen – man im Folgenden nicht immer recht weiß, wer denn nun eigentlich den Don Giovanni regiert. Er selbst, also der männliche Teil? Ist Proserpina bloß Beobachterin? Oder hat sie Einfluss-, Entscheidungsmöglichkeiten gar? Für letzteres spricht, dass sie durchaus wieder herausfährt aus Don Giovanni, was sie mehrere Male tut, wenn es ihr offenbar zu bunt wird. Aber dann auch wieder in ihn hineinschlüpft – Konstantin Krimmel spielt den Übergriffsakt ein jedes Mal so, als würde ihm ein Hexenschuss in den Rücken jagen.

    Vor allem ist Donna Anna scharf auf den Verführer

    David Hermann belässt es in seiner „Don Giovanni“-Neuerfindung keineswegs bei der Implantierung der Proserpina. Auch Pluto erscheint ebenfalls als stummer Gast (Andrea Scarfi) auf der Bühne, der misstrauisch seine Mann gewordene Ehefrau beäugt, er ist sogar der maßgeblich Verantwortliche am Tod des Komturs. Daneben zäumt Hermann  auch das im Libretto-Ursprung männlich-gewaltbestimmte Verhältnis des Titelhelden zu Donna Anna neu auf. Bei ihm ist es Anna selber, die, überdrüssig ihres Don Ottavio, Giovanni leidenschaftlich ins Bett holt, eine Affäre, die logischerweise erlischt, als sie in ihm den faktischen Mörder ihres Vaters erkennen muss.

    Szenisch angesiedelt zwischen nüchternen Betonwänden, die mal ein Schlafzimmer, mal ein Standesamt darstellen (Bühne: Jo Schramm), bedarf das Wechsle-dich-Spiel der Inszenierung eines darstellungsfreudigen Ensembles. Das war auf allen Positionen der Fall, zunächst natürlich bei Konstantin Krimmel, der mit der Titelrolle zugleich sein Rollendebüt gab. Der gebürtige Ulmer fasst den Don Giovanni nicht als einseitig überlegenen Aufreißer, sondern macht deutlich, dass da noch etwas Anderes in ihm steckt, eben die Proserpina-Seite. Das kommt Krimmels Stimmtyp entgegen, sein Bariton ist zu herrlich samtener Einhüllung fähig, herausragend in „Deh vieni alla finestra“. Doch kein überzeugender Don Giovanni ohne Dämonie in der Stimme, und auch dies lässt Krimmel durch passend gesetzte vokale Attacken aufblitzen.

    Auch in der dramatischen Attacke wird es nie schrill

    Sowohl Vera-Lotte Boecker als auch Samantha Hankey sind Sängerdarstellerinnen, denen man das emotionale Ringen um Don Giovanni abnimmt. Wobei in sängerischer Hinsicht Boecker als Donna Anna aber doch die Krone gebührt für ihre homogen geführte Stimme, die auch bei dramatischen Affekten nie schrill wird, exemplarisch bei „Or sai chi l‘onore“. Samantha Hankey in der Partie der Donna Elvira muss forcierten Höhen Tribut zahlen, man hört die Anstrengung, nicht zuletzt in „Mi tradì quell’ alma ingrata“.

    Ein unterm Gesichtspunkt der Ensemble-Farbpalette schöner Griff ist die mit mezzotypischer Fülle ausgestattete Avery Amereau als Zerlina. Michael Mofidian ist ein gebührend rachedurstiger Masetto, Kyle Ketelsen ein exzellenter Leporello, der nicht nur in der Registerarie seinen gemischten Rollencharakter deutlich zugunsten ernsterer Töne akzentuiert. Giovanni Sala bleibt, da man im Wesentlichen die Prager Fassung spielt, das „Dalla sua pace“ versagt, weshalb er sich arios nur in den hörbar heiklen Koloraturen von „Il mio tesoro“ beweisen kann. Christoph Fischessers als Komtur ist schlicht exzellent.

    Vladimir Jurowskis Dirigat ist mitreißend

    Dreh- und Angelpunkt der Aufführung ist Vladimir Jurowski. Wie Proserpina in der Titelfigur, hält sich der Generalmusikdirektor inwendig in Mozarts Partitur auf, atmet mit ihr, formuliert lautlos Texte mit, und die großen formenden Gesten dienen sichtlich allem anderen als dem Schaueffekt. So sind es nicht nur die typischen „Don Giovanni“ Signets wie der d-Moll-Donner und das Streicher-Züngeln, die Jurowskis mitreißendes Dirigat kennzeichnen, sondern auch subtilere Momente wie das immer wieder Unruhe stiftende Pulsieren orchestraler Zwischenstimmen.

    Wie nun geht Proserpinas Abstecher aus? Für Pluto schlecht. Denn im Don Giovanni-Gehäus‘ hat sich seine Ehefrau verguckt, und zwar in die patente Zerlina. Was Folgen hat für deren Masetto. Der spürt es, letztes Bild, plötzlich im Rücken knacken und sieht sich in feuerrote Hosen gewandet.

    Verräterisches Rot: Konstantin Krimmel in der Titelrolle von Mozarts "Don Giovanni".
    Verräterisches Rot: Konstantin Krimmel in der Titelrolle von Mozarts "Don Giovanni". Foto: Geoffroy Schied, Bayerische Staatsoper
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