
Bei "Don Giovanni" fällt in Salzburg ein Sportwagen vom Himmel


Das Opernprogramm in Salzburg hat begonnen. Gespielt wurde ein opulenter "Don Giovanni" mit hunderten Statisten, echten Tieren und einem zerstörten Sportwagen.
Andere Länder, andere Sitten im Umgang mit der Pandemie, gerade auch auf dem Feld der Kultur. Bei den Bayreuther Festspielen haben sie dieses Jahr den Roten Teppich gar nicht erst ausgerollt, um nur ja keinen Trubel entstehen zu lassen. In Salzburg dagegen bei der ersten diesjährigen Festspiel-Opernpremiere, einem vergleichbaren gesellschaftlichen Hochamt, Gewusel und Gedränge und Promi-Shootings wie in Vor-Corona-Zeiten, und vor allem: Keine halben Sachen wie in Bayreuth, volle Platzbelegung im Großen Festspielhaus, über 2000 Besucherinnen und Besucher zur Premiere von „Don Giovanni“.
Wie die Salzburger Festspiele Corona trotzen wollen
Hätte man nicht vor ein paar Tagen einen Infizierten bei einer „Jedermann“-Aufführung zu vermelden gehabt, wäre das Publikum auch der Masken ledig gewesen, die nun immerhin – Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler höchstselbst weist mahnend aus dem Lautsprecher darauf hin – während der Aufführung zu tragen sind. Erst die kommenden Tage und Wochen werden weisen, ob sich die Salzburger mit ihrer Vollbelegungsstrategie nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Letztes Jahr, als sonst allenthalben der Kultur die Häuser versperrt waren, übernahmen die Salzburger mit ihrem problemlos realisierten Schachbrettmuster-System eine Vorreiterrolle. Möge es diesmal nicht anders sein.

Alles war natürlich auch in Salzburg nicht möglich gewesen im ersten Sommer der Pandemie. Mozarts „Don Giovanni“ hätte schon 2020, zum hundertjährigen Bestehen der Festspiele, in einer Neuproduktion über die Bühne gehen sollen, was seinerzeit unter anderem daran scheiterte, dass dem russischen MusicAeterna-Orchester die Einreise nicht möglich war. Nun also die nachgeholte Jubiläums-Inszenierung, an die die Erwartungen hochgesteckt waren: Der Dirigent Teodor Currentzis gilt als einer der spannendsten Mozart-Dirigenten unserer Tage, was er mit „Titus“ und „Idomeneo“ auch in Salzburg schon unter Beweis gestellt hatte. Und Romeo Castellucci hat sich spätestens mit seiner faszinierenden Salzburger „Salome“ von 2019 in die vorderste Reihe der Opernregisseure vorgearbeitet.
Romeo Castellucci eskaliert: War das zu viel des Guten?
Typischen Castellucci-Versatzstücken begegnet man auch im neuem „Don Giovanni“. Lebende Tiere kommen auf der Bühne – ein Ziegenbock quert einmal die Bildfläche, Don Ottavio führt gerne Pudel mit sich –, Naturlaute von Vögeln oder Grillen sind zwischen den Szenen zu vernehmen, nicht zuletzt ist da die Vorliebe für die Farbe Weiß in Bühnenbild und Kostümen (beides von Castellucci mitverantwortet). Ganz in Weiß sieht man noch vor der Ouvertüre das Innere einer barocken Kirche, in der gerade die Zeichen ihrer sakralen Zweckbestimmung weggeräumt werden – die Kirchenbänke hinausgeschoben, das Altargerät verpackt und zuletzt das Kreuz von der Wand abgenommen. Castellucci verdeutlicht mit dieser szenischen Präambel, was der Philosoph Sören Kierkegaard schon im 19. Jahrhundert für maßgeblich hielt an Mozarts Gestalt des Frauenverführers: Dass der nicht mehr gewillt ist, sich dem Joch des kirchlichen Sexualkodex zu beugen, vielmehr nach seinen eigenen (Trieb-) Regeln existieren will und gerade damit zu einer wichtigen Figur im „Säkularisationsprozess des Abendlandes“ wird. Vor diesen weißen Kirchenwänden spielt denn auch fast die komplette Handlung der Oper: Don Giovannis Versuche nach dem Mord an Donna Annas Vater, sein Verführungswerk ungerührt weiter fortzusetzen, was jedoch dazu führt, so wollten es Mozart und sein Librettist Da Ponte, dass ihn die Strafe des Himmels ereilt und er zur Hölle fährt.
An handfesten Überraschungen mangelt es nicht in dieser Inszenierung. Aus dem Bühnenhimmel fällt mit ohrenbetäubendem Aufprall ein kompletter Sportwagen auf die Bühne – Chiffre für Giovannis weltlichen Sinn –, später wiederholt sich das mit einem Rollstuhl (für den gebrechlichen Komtur) und einem zerberstenden Klavier. Dankenswerterweise kommt in der Folge der Requisiteneinsatz unter weniger Getöse zustande, wenn etwa ein stattlicher Bürokopierer hereingerollt wird und zur Registerarie von Leporello, in welcher der die tausendunddrei Eroberungen seines Dienstherrn allein in Italien besingt, beziehungsreich sein Werk verrichtet. Im zweiten Akt dann ziehen zwar nicht tausend, aber immerhin 150 Statistinnen aus Salzburg über die Bühne, sie sollen, so der Regiegedanke, die Verführten nicht als anonyme Menge erscheinen lassen, sondern den Frauen individuelle Gesichter geben. Wobei Giovannis Verführung durchaus auf weibliche Resonanz stößt, wie die Inszenierung in einer Rückblende gerade im Falle Donna Annas zeigt.
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Castelluccis Deutung ist in vielem klug und dazu hinreichend verschlüsselt, um der Gefahr platter Bebilderung zu entgehen. Und doch ist sie in der Summe überfrachtet, irgendwann kommt ihr der dramatische Faden abhanden. Die Schussfahrt hin zu Giovannis bösem Ende erlahmt zusehends, und da trifft sich die Inszenierung in unglücklicher Eintracht mit der musikalischen Deutung durch Teodor Currentzis. Der dirigiert die Partitur zwar einerseits aus dem Geist des 18. Jahrhunderts heraus, elastisch und ohne den faustisch-juanesken Schmock des „Dämonischen“. Aber dort, wo die Figuren ihr inneres Erleben besingen, neigt er zu teils erheblichen Tempodehnungen, zu einem Insistieren auf dem Moment, das nicht nur der Dramatik, sondern auch aller spielerischen Leichtigkeit dieses „Dramma giocoso“ (Mozarts Genrebezeichnung) zuwider läuft. Da hilft es auch nichts, wenn das Hammerklavier in den Rezitativen nach Herzenslust improvisieren darf.
Sängerische Höchstleistungen und schauspielerische Schwächen bei Romeo Castelluccis "Don Giovanni"
Das tun, nach der Gepflogenheit des Zeitalters, aus dem die 1787 uraufgeführte Oper entstammt, auch die Sängerinnen und Sänger, je nach Rolle die einen mehr, die anderen weniger. Vor allem Nadezhda Pavlova als Donna Anna lässt ihre Stimme in improvisierten Kadenzen zu Spitzentönen aufsteigen, virtuos anzuhören gewiss – doch ohne, dass der Rollencharakter erweitertes Profil zu verbuchen hätte, und das gilt gleichermaßen für Donna Elvira (Federica Lombardi) und Zerlina (Anna Lucia Richter). Die Sängerinnen verfügen wie ihre männlichen Kollegen – vorneweg Michael Spyres (Ottavio) und Vito Priante (Leporello) – über jugendlich-schlanke, homogen geführte Stimmen.

Nicht anders Davide Luciano in der Titelpartie, der in seinen beiden Arien einmal mit Schmelz und gut dosierter Süße, das andere Mal mit kontrollierter Stimmbravour ein modernes Rollenbild gelingt. Das Ende wartet auf diesen Verführer nicht mit Rauch und Flammen, sondern mit Gemütszerrüttung. Überraschend einhelliger Applaus für Salzburgs neuen „Don Giovanni“, über dessen nicht leicht zu verdauende Lesart schon zur Pause mancher im Publikum den Kopf geschüttelt hatte.
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